Ergebnis der Bayernwahl - Bayern bebt, Berlin steht Kopf

Absturz für die CSU, Debakel für die SPD, die Grünen im Höhenrausch – die bayerische Landtagswahl endet mit dramatischen Verschiebungen in der Wählergunst. Die Erschütterungen sind auch in der Bundespolitik gewaltig

Kann Söder bleiben? / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Es ist das erwartete politische Beben, das an diesem Sonntag das Land erschüttert. Nicht nur Bayern, sondern die gesamte Republik. Die schlechte bundespolitische Stimmung und die große Unzufriedenheit der Wähler mit der Bundesregierung haben voll auf Bayern durchgeschlagen. Ob die Große Koalition in Berlin nach dieser heftigen Ohrfeige durch die Wähler noch einmal auf die Füße kommt, scheint an diesem Abend völlig offen.

Die CSU ist bei der bayerischen Landtagswahl abgestürzt. Sie hat ersten Hochrechnungen (ARD/Infratest dimap, 19.57 Uhr) zufolge nur noch 37,3 Prozent erreicht, 12,5 Punkte weniger als vor fünf Jahren. Die SPD ist noch tiefer gestürzt, auf das Niveau einer Klientelpartei zusammengeschrumpft. Sie kommt in Bayern nur noch auf 9,5 Prozent, steht damit in der Wählergunst nur noch an fünfter Stelle. Sieger der bayerischen Landtagswahl sind die Grünen (17,8 Prozent) und die Freien Wähler (11,6 Prozent) sowie die AfD (10,7 Prozent). Die FDP (5,0 Prozent) muss noch um den Einzug in den Landtag bangen, die Linke hat ihn deutlich verfehlt.

Es gab keinen Linksruck in Bayern

Noch ist es schwer, das ganze Ausmaß dieses Bebens zu erfassen. In Bayern genauso wie im Bund, zumal es bislang aus Bayern bislang nur Hochrechnungen gibt. Bis das vorläufige amtliche Endergebnis feststeht, kann es noch Verschiebungen geben, die sich auf die Koalitionsoptionen der Parteien auswirken. Vor allem dann, wenn die FDP noch unter der Fünf-Prozent-Hürde sackt.

Allerdings: Einen Linksruck hat es in Bayern nicht gegeben. Im Saldo haben SPD, Grüne und Linke ihr Niveau von 2013 nur leicht verbessert. Gestärkt wurden nicht nur die Grünen, die vom Niedergang der SPD und von der Unzufriedenheit vieler CSU-Wähler gleichermaßen profitiert haben. Gestärkt wurden mit den Freien Wählern und der FDP auch zwei bürgerlich-konservative Alternativen zur CSU sowie die rechtspopulistische AfD. Wobei die AfD deutlich schlechter abgeschnitten hat, als bei der Bundestagswahl vor einem Jahr, als sie in Bayern 14,4 Prozent erreichte. Offenbar sind der Mobilisierungsfähigkeit der Rechtsaußenpartei doch Grenzen gesetzt, vor allem dann, wenn die Parteiführung wie nach Chemnitz mit rechtsextremistischen Gedanken flirtet.

Ein Seehofer-Rücktritt wird kaum reichen

Was die Niederlage für die CSU bedeutet, wie groß der personelle Umbruch ausfallen wird, wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen. Dass es allerdings gelingt, Horst Seehofer als alleinigen Sündenbock hinzustellen, darf bezweifelt werden. Für die vielen strategischen Fehler, die die gesamte Partei im Wahlkampf und auch in den Auseinandersetzungen mit der CDU über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gemacht hat, wird die CSU nicht allein den Parteivorsitzenden und Bundesinnenminister verantwortlich machen können. Es werden in der Partei voraussichtlich noch ein paar Köpfe mehr rollen. Möglicherweise auch der von Ministerpräsident Markus Söder. Denn auch sein unermüdlicher persönlicher Einsatz hat nicht dazu geführt, dass die Stimmung in den letzten Tagen des Wahlkampfes noch gedreht werden konnte. Nicht nur an Seehofer klebt diese Niederlage, sondern auch Söder.

Dazu wird in der CSU eine Strategiedebatte beginnen. Soll die Partei Schwarz-Grün wagen, obwohl man in die Verhandlungen aus einer Position der Schwäche gehen müsste? Oder soll die CSU den leichteren Weg gehen und ein bürgerliches Bündnis mit den Freien Wählern schmieden? Die strategische Debatte in der CSU wird allerdings weit über diese Koalitionsfrage hinausgehen. Auch das Bündnis mit der CDU wird in den kommenden Wochen von Christsozialen zur Disposition gestellt und eine bundesweite Ausdehnung erwogen werden. Denn eines ist klar, der bayerische Sonderweg der CSU geht mit dieser Wahl zu Ende. Anders als 2008, als schon einmal die absolute Mehrheit verloren ging, wird die Partei die Niederlage nicht wieder als Betriebsunfall hinstellen können. Und das heißt auch: Der CSU wird es sehr viel schwerer fallen, in der Bundespolitik noch ihre politischen Extrawürste zu braten.

Vor Hessen muss die SPD Ruhe bewahren

In der SPD werden die Genossen versuchen, die Reihen geschlossen zu halten, weil erstens in Hessen in zwei Wochen eine weitere Landtagswahl ansteht und der dortige Landesverband in Umfragen deutlich über dem Bundestrend liegt. Zweitens ist der Abgrund, an dem die gesamte SPD jetzt steht, nur noch einen einzigen Schritt entfernt. Jeder unüberlegte Schritt, jede panische Reaktion kann die Existenz der Partei insgesamt gefährden, auch wenn unübersehbar ist, dass sich die Partei personell und programmatisch grundsätzlich neu aufstellen muss. Der innerparteiliche Druck ist riesig, die Oppositionssehnsucht unter den Sozialdemokraten in den vergangenen Monaten weiter gewachsen. Das Grummeln im Bauch der Sozialdemokratie war schon in den Tagen vor der Bayernwahl so stark, dass Parteichefin Andrea Nahles sich gezwungen sah, am vergangenen Donnerstag in einem Zeitungsinterview die Große Koalition infrage zu stellen. Ob da in den kommenden beiden Wochen alle Genossen den Mund halten, darf also bezweifelt werden.

Bleiben FDP und Grüne. Beide haben in Bayern die Dividende der gescheiterten Jamaika-Sondierungen nach der Bundestagswahl eingefahren. Die FDP eine magere, weil sie in den Augen bürgerlicher Wähler doch vor allem eine Funktionspartei ist, eine Partei, von der ihre Wähler erwarten, dass sie regiert. Und wenn die FDP unter Parteichef Christian Lindner diese Funktion verweigert, dann kann ihr Hubert Aiwanger in Bayern mit seinen Freien Wählern den Rang ablaufen. Die Grünen hingegen haben in Bayern eine fette Rendite für ihren realpolitischen Kurs der vergangenen zwölf Monate eingefahren. Die FDP ohne machtstrategischen Kompass, die SPD in der Großen Koalition schon auf dem Absprung. Die Grünen sind derzeit die einzige Partei, die einerseits ein klares politisches und personelles Profil hat und die es andererseits an der Seite der Union an die Macht drängt. Die Grünen stehen für das Versprechen, dass es eine Alternative zur Großen Koalition gibt. Solange sie dieses Versprechen im Bund nicht einlösen muss, wird der Höhenflug andauern.

Die CDU bleibt diszipliniert, vorerst

Die CDU stand in Bayern nicht zu Wahl und trotzdem hat das bayerische Beben auch sie erreicht. Ähnlich wie die Sozialdemokraten werden auch die Christdemokraten versuchen, alle innerparteilichen Debatten auf die Zeit nach der Hessen-Wahl zu verschieben. Es wird ihr etwas leichter fallen, weil erstens die Christdemokraten disziplinierter sind, wenn einer der ihren noch um die Macht kämpft. Zudem ist Schwarz-Grün in Hessen noch nicht verloren, weil es den Grünen gelingen könnte, die starken Verluste der CDU auszugleichen. Zweitens wird die CSU erstmal mit sich selbst beschäftigt sein. Die Partei ist so tief gestürzt, dass alle Versuche der CSU, der CDU und vor allem Kanzlerin Merkel eine Hauptschuld an der Niederlage bei der bayerischen Landtagswahl zu geben, als billiges Ablenkungsmanöver pariert werden können.

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hat schon zwei Tage vor der bayerischen Landtagswahl mit dem Finger auf die CSU gezeigt. Diese sei „leider in den letzten Monaten für das Ansehen der Union insgesamt nicht besonders hilfreich“ gewesen, sagte er in einem Zeitungsinterview. Man könne nicht über Monate den Eindruck erwecken, dass vieles durcheinandergeht und die Regierung nicht handlungsfähig ist, „und dann erwarten, dass die Leute der Union vertrauen.“

14 Tage sind nicht viel Zeit, um für die CDU verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Ob die Ära Merkel also schon in ein paar Wochen zu Ende geht, vielleicht auf dem CDU-Parteitag im Dezember in Hamburg, oder ob die CDU noch ein paar Monate Luft erhält, um im kommenden Jahr in Ruhe den Wechsel an der Spitze der Parteien und im Kanzleramt zu vollziehen, wird also weniger von Bayern und der CSU abhängen, sondern stattdessen von Hessen. Womöglich jedoch stürzt Merkel nach der Landtagswahl in Hessen nicht über die CDU oder ihre eigene Partei, sondern über eine SPD, die schon bald versuchen wird, den freien Fall in der Opposition zu stoppen.

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