Gegen Nachrufe auf die eigene Person kann sich niemand wehren. Aber es hat durchaus etwas Makabres, wenn sich die geballte Schar der langjährigen Widersacher und teilweise erbitterten Gegner des streitbaren und unbeugsamen Anwalts und Politikers Hans-Christian Ströbele jetzt in Lobeshymen gefällt. Besonders hervor tut sich dabei jene Garde von grünen Spitzenpolitikern, die sich teilweise seit Jahren, aber besonders aktuell dabei überbietet, alles, wofür Ströbele in seinem politischen Leben stand, möglichst geräuschlos zu entsorgen oder gar in sein Gegenteil zu transformieren.
Verteidiger der RAF-Terroristen
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Ströbele bereits in den 1970ern bekannt, als er gemeinsam mit dem späteren Bundesinnenminister Otto Schily und dem seit den späten 1990er-Jahren zum militanten Rechtsextremisten mutierten Horst Mahler die Verteidigung prominenter Mitglieder der Roten Armee Fraktion übernahm, darunter deren Gründer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Die Stammheimer Richter hielten ihn gar für einen RAF-Sympathisanten und schlossen ihn von der Verteidigung aus. Im Juni 1975 wurde er wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verhaftet, über drei Wochen in Untersuchungshaft gehalten und später zu zehn Monaten Haft verurteilt, was die SPD veranlasste, ihn aus der Partei zu werfen.
Vom Anwalt zum Politiker
Ströbele richtete seinen Fokus anschließend auf die politische Arbeit. Er gehörte in Westberlin zu den Gründern der „Alternativen Liste“ (AL), eines eher am linken Rand der grünen Bewegung verorteten Vorläufers der Grünen Partei. Auch bei der Gründung der taz als „linksalternativer Tageszeitung“ spielte er eine maßgebliche Rolle. Spätestens jetzt avancierte Ströbele mit seinem roten Schal und dem stets allgegenwärtigen Fahrrad als Beförderungsmittel zur Kultfigur, besonders in Kreuzberg. Ein Image, das er gerne kultivierte, denn so manche Anfahrt mit dem Fahrrad war wohl eine sehr kurze, weil das Gefährt zuvor aus dem in Nähe geparkten PKW geholt wurde, wie bisweilen beobachtet wurde.
Der „linke Robin Hood“ von Kreuzberg
1985 zog er erstmals als Nachrücker für die Grünen in den Bundestag ein und blieb dort bis zum Ende der Legislaturperiode 1987. Anschließend widmete er sich verstärkt der Berliner Politik und wurde 1989 zu einem der „Architekten“ der ersten „rot-grünen“ Landesregierung. Doch bald zog es ihn wieder in die Bundespolitik. 1998 zog er über die Landesliste erneut in den Bundestag ein – und wurde dort zum erbitterten Gegner der grünen „Realo“-Fraktion um Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer. Dessen Kurs, etwa bei der Beteiligung am Jugoslawienkrieg und der Durchsetzung der Hartz-Reformen, war in der Partei mittlerweile mehrheitsfähig geworden. Was auch dazu führte, dass Ströbele für die nächste Wahl 2002 nicht mehr auf einen aussichtsreichen Listenplatz gelangte. Er kandidierte stattdessen als „linksgrüner Robin Hood“ in Kreuzberg erfolgreich für das Direktmandat, unter anderem mit Losungen wie „Ströbele wählen / heißt Fischer quälen“. Drei Mal konnte er dieses Mandat verteidigen. Im Bundestag avancierte er zu einem respektierten, aber teilweise auch gefürchteten Experten für Sicherheitsbehörden und Geheimdienste. 2017 verzichtete er auf eine weitere Kandidatur, der Wahlkreis blieb aber bis heute ein grüner „Erbhof“.
Streitbar bis zum Schluss
Zwar zog sich der gesundheitlich allmählich immer stärker eingeschränkte Ströbele ein wenig von der großen politischen Bühne zurück, doch streitbar blieb er bis zum Schluss, etwa als Kritiker der Ukraine-Politik der neuen Bundesregierung, besonders die Lieferung schwerer Waffen betreffend. Bereits am Montag starb Ströbele in Berlin, wie sein Anwalt Johannes Eisenberg mitteilte. Er selbst habe entschieden, „dass er den langen Leidensweg, den ihm seine Erkrankung zugemutet hat, nicht mehr fortsetzen wollte und lebenserhaltende Maßnahmen reduziert. Er war bis zuletzt bei vollem Bewusstsein. Nicht der Geist, der Körper wurde ihm zur Qual und hat ihn am 29. August 2022 verlassen.“