Streit um Gratis-Kaffee für Ungeimpfte - „Ich kann es mir nicht leisten, Ungeimpfte zu verprellen“

Weil die 2G-Regel bei ungeimpften Gästen auf Unverständnis stößt, spendiert ein Berliner Gastronom seinen Kunden noch bis Ende Dezember einen „Kaffee". Die Solidaritätsaktion kam nicht überall gut an. Einige Kunden drohten sogar mit Boykott. Im Interview erklärt der Geschäftsführer der Kette „Wonderwaffel", warum er das Angebot trotzdem beibehält.

Ärger über „2G“: Um ungeimpfte Stammgäste zu versöhnen, hatte eine Waffelkette mit Gratis-Kaffee geworben / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Bahri Murat Topcuoglu ist Geschäftsführer der sieben Berliner Filialen der Kette „Wonderwaffel“.  

Herr Topcouglu,  Sie haben am Dienstag auf Instagram einen Aufruf gepostet, dass Ungeimpfte in den sieben Berliner Filialen einen Gratis-Kaffee erhalten. Seither haben Sie fast 5.000 E-Mails bekommen, davon 4.500, die sie zu der Aktion beglückwunscht haben. Und der Rest enthält wüste Beleidigungen und Drohungen. Eine gelungene PR-Aktion?

Doch, ich denke schon. Das Angebot galt allerdings auch für Geimpfte. Das stand aber bloß im Kleingedruckten.

Warum nur da?

Wir wollten eben auf das Angebot aufmerksam machen.

Auch in Ihren Läden gilt die 2G-Regel. Wie sollen Ungeimpfte denn da an ihren Kaffee kommen?

Ungeimpfte dürfen zwar nicht bei uns sitzen. Sie dürfen aber Essen im Take-away mit nach Hause nehmen – so wie die Hygieneregeln es vorschreiben.

Wieviel Prozent Umsatz haben Sie dadurch verloren, dass nur noch Geimpfte und Genesene bei Ihnen sitzen dürfen? 

Also, ich würde den Umsatzverlust auf 20 bis 30 Prozent beziffern. Für unsere Branche ist das extrem viel. Wir haben mehrere gastronomische Marken. Und wir haben extrem gelitten in der Corona-Zeit – erst durch die Begrenzung der Kapazitäten, dann durch die Lockdowns. Und jetzt durch die 2G-Regeln. Ich glaube, die Bevölkerung ist dadurch allgemein verängstigt.

Wiegt das Feedback auf  Ihre Aktion den Verlust wieder auf?

Noch ist es zu früh, das zu beurteilen. Aber das war auch nicht das Ziel der Aktion.

Sondern?

Bei uns hatte sich Unmut aufgestaut. Wir mussten wegen der 2G-Regel viele Gäste wieder nach Hause schicken, darunter auch Stammgäste, die wir teilweise schon jahrelang kennen. Es war uns extrem unangenehm, die ohne Impfpass wieder nach Hause zu schicken. Deshalb haben wir denen einen Kaffee spendiert.

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Um sie wieder zu versöhnen?

Genau, bei vielen stieß das auf Unverständnis, wenn wir sie nach ihrem Impfpass gefragt haben. Aber hey, wir haben uns das nicht ausgedacht. So schreibt es das Ordnungsamt nun mal vor. Wir machen nur unseren Job.

Sie selbst sind geimpft. Woher rührt Ihre Solidarität mit den Ungeimpften? 

Meine ganze Familie ist geimpft. Mein Vater hat sich gerade seinen Booster abgeholt. Mich hat es einfach geärgert, dass Ungeimpfte gemobbt werden.

Von wem?

Na, schauen Sie sich doch mal an, was auf Social Media gerade passiert.

Screenshot / Facebook 

Da bekriegen sich gerade Geimpfte und Ungeimpfte. Ich würde sagen: Die Ungeimpften nehmen sich da auch gerade nichts.

Ja, das stimmt. Ich will das gar nicht bewerten, wer von beiden Recht hat. Ich bin kein Wissenschaftler. Ich kann das nicht beurteilen. Ich stelle nur fest: Da stehen sich zwei Blasen feindlich gegenüber.

Merken Sie das auch in Ihren Läden?

Ja, von Aggressionen würde ich aber nicht sprechen. Es kommt manchmal Unverständnis rüber, wenn wir Gäste nach dem Impfpass fragen. Es ist manchmal nur ein Augenrollen. Oder ein Spruch: „Muss das sein?“

Sprechen Sie mit den Kunden darüber, warum sie sich nicht impfen lassen?

Nein, das steht mir als Gastronom nicht zu. Ich habe auch noch nicht gehört, dass jemand gesagt hat, man wolle ihm einen Chip einpflanzen. Aber von der Angst vor Langzeitschäden ist die Rede und davon, dass die noch nicht erforscht seien.

Eine Frau schrieb auf Facebook: „Schön, dass nicht alle Gastronomen dieses faschistische System unterstützen.“ Sind solche Kommentare eine gute Werbung für Ihr Unternehmen?

Nein, wir würden das auch nicht unterschreiben. Jetzt wird uns sogar unterstellt, wir würden Rechten eine Bühne bieten. So ein Schwachsinn. Es ist in Ordnung, dass Leute über unsere Aktion diskutieren. Aber so ein Statement sprengt den Rahmen.

Bahri Murat Topcuoglu / privat 

Aber dass Sie mit der Aktion polarisieren würden, war doch absehbar. Das ist der Preis für die Aufmerksamkeit.

Aber dass der Ballon, in den wir gestochen haben, so prall gefüllt war, damit hatten wir nicht gerechnet. Unser Angebot war auch nichts anderes als eine zugespitzte Überschrift in einer Zeitung. Die soll ja auch erstmal Leser anlocken. Wir wollten damit aber niemanden beleidigen. Deshalb haben wir uns auch dafür entschuldigt.

Wer fühlte sich denn beleidigt?

Na ja, zum Beispiel Leute, die gerade jemanden durch Corona verloren haben.

Der Post der Frau zeigt, dass Unterstützung von Leuten kommt, die sie sich aus Protest gegen den Staat nicht impfen lassen. Können Sie es sich leisten, sich den Ruf als Anwalt solcher Leute zu erwerben?

Nein, natürlich nicht. Es gibt aber nicht nur Impfgegner und Impfbefürworter. Das wäre zu einfach. Aber dafür, dass es jetzt so wahrgenommen wird, dass sich zwei Lager gegenüberstehen, dafür ist die Politik verantwortlich.

Was würden Sie denn machen, wenn morgen ein bekannter Rechtsextremist wie der sogenannte Volkslehrer Nikolai Nehrling bei Ihnen vor der Tür steht und sich für seinen Video-Kanal dabei filmen lässt, wie Sie ihm einen Kaffee spendieren?

Ach, von so jemandem würde ich mich natürlich distanzieren. Aber so jemand  würde schon deshalb nicht zu uns kommen, weil ich einen türkischen Namen habe. Ich weiß nicht, wie oft ich schon als Dreckstürke beschimpft wurde, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin. Außerdem bin ich auch gar kein Impfgegner. Ich bin ja geimpft.

Mit der Aktion senden Sie das Signal, dass Sie Ungeimpfte nicht ausgrenzen wollen. Das mag ja eine nette Geste sein. Bei vielen ihrer Kunden ist es aber so angekommen, dass Sie Ungeimpfte belohnen.

Ich glaube, die Diskussion wäre auch nicht anders verlaufen, wenn wir nicht nur im Kleingedruckten geschrieben hätten, dass das Angebot auch für Geimpfte gilt. Als Gastgeber kann ich es mir nicht leisten, Ungeimpfte zu verprellen. Die Gäste, die wir jetzt rausschicken, brauchen wir auch später.

In einigen Dönerläden kriegt man bei diesen Temperaturen erstmal einen heißen Tee angeboten. Ist die türkische Definition von Gastfreundschaft eine andere als die deutsche?

Man kann das sicherlich nicht verallgemeinern, aber bei uns zu Hause ist das tatsächlich so. Wahrscheinlich bin ich deshalb auch auf die Idee für das Angebot gekommen.

Kritiker sagen, Ihre Aktion suggeriere, dass Ungeimpfte Unterstützung verdienen. Ist es aber nicht gerade diese Gruppe, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Staat Maßnahmen wie die umstrittene 2G-Regel ergreifen muss, weil wir noch weit von einer Herdenimmunität entfernt sind?

Was ist denn schon ein Kaffee? Wir unterstützen ja niemanden extrem. Und wie hoch ist unsere Reichweite gemessen an der Reichweite einer Tageszeitung, die einen Bericht über Ungeimpfte mit einer reißererischen Zeile überschreibt? Die Medien haben auch ihren Teil dazu beigetragen, dass die Stimmung gerade so aufgeheizt ist.

Viele Kunden haben jetzt angekündigt, Wonderwaffel zu boykottieren. Wiegen die Neukunden den Schaden wieder auf?

Ach, ich bin da  gelassen. Die Leute, die heute sagen, sie würden uns boykottieren, kommen morgen vielleicht schon wieder. Wie gesagt, das Lob für die Aktion überwiegt. Als nächstes machen wir vielleicht ein anderes Angebot: Jeder, der den Booster bekommen hat, kriegt einen Saft aufs Haus.

Wäre eine Aktion wie Gratiskaffee für Krankenpfleger und Krankenschwestern auf Intensivstationen nicht eine  bessere Werbung? Dagegen kann tatsächlich keiner etwas haben?

Ja, das wäre nochmal eine Idee. Sowas Ähnliches haben wir 2020 schon mal gemacht. Da haben wir in Berlin 3.000 Wonderwaffeln an Leute verteilt, die in Einrichtungen wie der Polizei oder der Feuerwehr arbeiten. Ich will damit eigentlich nicht hausieren gehen. Aber ich kenne keinen Gastronomen, der etwas Ähnliches gemacht hat.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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