Werte-Union in Dresden - „Wir tun inzwischen weh“

Neben Gloria von Thurn und Taxis war er am Wahlabend Stargast der konservativen Werteunion in Dresden: Hans-Georg Maaßen, der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes in der Rolle des Helden, der gegen die CDU der Kanzlerin kämpft. Doch ist er das wirklich?

Gruppenbild mit Gloria: Am Wahlabend schart Hans-Georg Maaßen in Dresden lauter Fans um sich / Bastian Brauns
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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„Ich bin kein Berufspolitiker. Ich bin auch kein Parteifunktionär und auch kein Schönredner“, sagt Hans-Georg Maaßen an diesem Sonntagabend in Dresden zu den Gästen der alternativen Wahlparty, veranstaltet von der Werteunion. Und dies sei der Grund, warum er nicht geklatscht habe, als er wenige Minuten zuvor um 18 Uhr die erste Hochrechnung auf der Leinwand verfolgte. Dafür, dass Maaßen sagt, er sei kein Berufspolitiker, hat er in den letzten Wochen des sächsischen Landtagswahlkamps ziemlich häufig die Schlagzeilen bestimmt. Aus seiner Sicht ist das aber die Schuld der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer oder des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. AKK ließ die Interpretation zu, sie wolle ihn aus der Partei ausschließen. Kretschmer sagte im Spiegel-Interview: „Ich habe Herrn Maaßen nicht eingeladen“, woraufhin Maaßen sich zurückzog und in Brandenburg weiter wahlkämpfte.

Vielleicht ist Maaßens Rede an diesem Abend auch deshalb der Anlass für viele Gäste hier, überhaupt das erste Mal zu klatschen. Für die Party einer Partei, die wohl auch den nächsten Ministerpräsidenten stellen wird, war es nämlich bislang bemerkenswert still. Dafür gibt es viel empörtes Kopfschütteln, als Michael Kretschmer im ARD-Fernsehen sagt, es gebe „nicht einen in der CDU, der das so sieht“ – was der Ministerpräsident meint, ist eine künftige Zusammenarbeit mit der AfD.

Die hier in der Dresdner Ostra-Allee im Penck-Hotel rund 70 versammelten Mitglieder der Werteunion fordern zwar offen keine Zusammenarbeit mit der AfD. Was sie aber fordern, ist eine Minderheitsregierung, toleriert von der AfD. Das sei faktisch keine Zusammenarbeit, sagen viele. Denn viel schlimmer als das wäre: eine Koalition mit den Grünen.

Keinen plötzlichen Umsturz

„Die Partei 'Die Grünen' ist für mich, ich sage es ganz offen, eine esoterische Umweltsekte“, sagt Maaßen und erntet Gelächter und Applaus. Nach den Ausschreitungen von Chemnitz hat er „extremistische Tendenzen in der SPD“ ausgemacht. Jetzt sieht er sich plötzlich von Grünen bedroht. Hier in Sachsen müsse alles dafür getan werden, eine Koalition mit den Grünen zu verhindern. „Ich halte die Idee eines Sonderparteitags für sehr gut. Die Basis muss gehört werden“, sagt Maaßen.

Der sächsische Landesverband der Werteunion will heute und morgen versuchen, über Mitglieder im CDU-Landesvorstand, zur Not auch über Kreisverbände einen solchen Sonderparteitag zu erzwingen. Aber selbst wenn dies gelingen sollte, dürfte Michael Kretschmers Machtbasis trotz der Stimmverluste inzwischen zu stark sein, als dass es wirklich ein Mitgliedervotum pro Minderheitsregierung geben wird. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der CDU, Frank Kupfer, wünscht sich zumindest Sondierungen. Dann könne man die AfD zumindest mal politisch-inhaltlich stellen.

Es sind Gedankenspiele, die der sozialdemokatische Spitzenkandidat Martin Dulig wenige hundert Meter entfernt in der SPD-Landesparteizentrale als „vollkommen absurdes Gedankenspiel“ bezeichnet. Er sei sich schlicht sicher, dass Kretschmer entweder Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot-Grün machen werde.

Das weiß auch Hans-Georg Maaßen. Deshalb geht es dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes an diesem Abend auch nicht um einen plötzlichen Umsturz, wie ihn manche Anwesenden sich herbeiwünschen. Einige wollen gar eine eigene Partei gründen. „Eine Reform der CDU wird nicht von heute auf morgen gelingen. Die jetzige Situation ist das Ergebnis einer Entwicklung von über zehn Jahren, von der viele Parteifunktionäre profitieren“, versucht Maaßen zu ordnen. Nichts sei unumstößlich. Aber man müsse geduldig sein. Viel ist an diesem Abend die Rede von Druck, der erzeugt werden solle auf die Union. Druck von innen, das soll die Werteunion erledigen.

Der Thilo Sarrazin der CDU

Als durchaus geschickten Schachzug bezeichnet Maaßen dabei die Beitrittsvoraussetzungen für den CDU-nahen Verein. Nur wer CDU- oder CSU-Mitglied ist, kann auch Mitglied der Werteunion werden. So will die Werteunion aussprechen, was die CDU-Führung nicht auszusprechen bereit sei. Mundtot könne man die eigenen Mitglieder kaum machen, außer man strengt ein Parteiausschlussverfahren an. Hans-Georg Maaßen, der Thilo Sarrazin der Union?

Eine Pferdekutsche, bemalt in schwarz, rot und weiß, gezogen von zwei schwarzen Rappen biegt um die Ecke vor der Party-Location und fährt Touristen zum Dresdner Zwinger. Auf der anderen Straßenseite die Redaktionsräume der Sächsischen Zeitung. Solange die Wahlkreise noch nicht ausgezählt sind und nicht klar ist, wie viele Direktmandate welche Partei gewinnt, werden hier die Lichter nicht ausgehen. Auch bei der Werteunion starren sie gebannt auf die Bildschirme der aufgestellten Laptops. Ein wenig Freude kommt dann doch auf, wenn ein CDUler sein Mandat verteidigen konnte.

Ein Foto mit der Fürstin

„Ich bin sehr froh, dass Gloria gekommen ist“, sagt Hans-Georg Maaßen am Ende seiner Rede und kündigt den wohl prominentesten Gast des Abends an: Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Auf einer Veranstaltung hätten sie sich kennen und schätzen gelernt. Mit dem Flugzeug aus München sei sie angereist, sagt sie. Ob sie für die kurze Strecke keine Flugscham empfinde? Was das denn nun wieder sei, fragt sie in gespielter Arglosigkeit und scherzt: „Ich tue alles, was der Umwelt schadet.“ Gloria von Thurn und Taxis blickt auf die Leinwand mit der Koalitionsoption schwarz-grün und kann es nicht fassen. „Diese grässlichen Grünen!“ Auch in Bayern müsse sie fassungslos zusehen, wie ihre CSU mit Söder ergrüne. „Ich werde Mitglied der Werteunion“, kündigt sie an.

Ein Mann in blauem Sakko und gestreifter Deutschlandkrawatte ist anwesend. Er wünscht sich ein Foto mit Gloria von Thurn und Taxis und bittet die Umstehenden, ihn und sie zu knipsen. „Ach lassen Sie uns doch ein Selfie machen“, sagt die Fürstin und zeigt sich interessiert an einer Veranstaltung zu 30 Jahre Mauerfall, die der Mann ihr nebenbei schmackhaft machen möchte. Thurn und Taxis ist davon überzeugt, dass in Deutschland niemand die wichtigen Fragen stelle. Denn wer habe denn ein Interesse daran, Europa zu destabilisieren, fragt sie und lässt ihre Vermutung lieber offen. Sonst würde man ihr nur Verschwörungstheorien unterstellen.

Vermutlich läge man damit sogar richtig. Es sei kein Zufall, behauptet sie unwidersprochen, dass plötzlich „halb Afrika nach Deutschland kommt“. Wo denn der Spiegel, die Zeit und all die anderen Medien mit ihrer Recherchekraft seien, um endlich aufzudecken wer dahinter stecke. Die SZ, die FAZ und viele andere, die würden sich inzwischen lesen, als seien sie alle das Neue Deutschland. Es erinnert an Maaßens Äußerung, wonach er lieber die NZZ lesen würde als deutsche Medien. Das sei wie früher Westfernsehen. Ein Vergleich, zu dem er auch heute Abend steht.

Der Leibhaftige kommt

Die eigentliche Party wandelt sich inzwischen zu einer Art erzkonservativem Sit-in. Um die Fürstin und Hans-Georg Maaßen entsteht ein Stuhlkreis aus Interessierten. Ein Bio-Landwirt ergreift das Wort und spricht sich gegen Demonstrationen mit anderen rechten Bewegungen aus. „Wir müssen klar als Werteunion erkennbar bleiben.“ Maaßen stimmt dem Mann zu. „Ich rate dringend davon ab, den Versuch zu starten, eine eigene Partei zu gründen, nur weil man mit der aktuellen Politik unzufrieden ist. Wichtig ist, sich einzubringen und an einer Politikwende mitzuarbeiten.“

Tatsächlich aber habe er den Eindruck, dass dies in Berlin einfach nicht begriffen werde. „Deswegen muss man auch Personalfragen stellen“, sagt Maaßen nicht das erste Mal an diesem Abend. Er hat nichts gegen die Rolle des Märtyrers, der als Chef des Verfassungsschutzes geschasst wurde, obwohl er nur das Beste für die Bürger wollte. Er hat diesen Verlust noch nicht verwunden.

Das merkt man, als er zwischendurch  in den Landtag huscht und vor Fernsehkameras von „Sa-bo-ta-ge“ im Wahlkampf spricht. weil AKK und Kretschmer sich ohne Not gegen ihn und die Werteunion gestellt hätten. Er hat jetzt einen staatstragenden Gesichtsausdruck aufgesetzt. Und so, wie er jede einzelne Silbe betont, klingt es fast, als sei  er nur knapp einem Terrorakt entkommen. Keine Frage, der Mann genießt es, weiterhin im Rampenlicht zu stehen. Die Aufmerksamkeit ist Balsam für seine Wunde. Er sagt, im Landtag seien ihm vom Pförtner bis zum Kellner alle Menschen extrem freundlich begegnet. Als er bei der Union auftauchte, habe man dagegen den Eindruck gewinnen können, er sei der Leibhaftige, der nun den Amtszimmerschlüssel von Kretschmer einfordern würde.

„Jetzt sprechen wir mal normal“

Aber Maaßen wird nicht müde, Konsequenzen zu fordern. Er sagt, kein Freund von Personalfragen, sondern von Sachfragen zu sein. Darum habe er sich bislang diesbezüglich auch zurückgehalten. Aber nach mehr als zehn Wahlen mit derart heftigen Verlusten müsse man auch fragen: „Wer ist dafür verantwortlich?“ Und dies sei ganz einfach zu beantworten: „Das sind drei Personen: Die Bundeskanzlerin. Die Parteivorsitzende. Und der jeweilige Spitzenkandidat.“ Auch da sei er persönlich der Meinung: „Ein 'Weiter so' kann nicht stattfinden.“

Eine Frau im geblümten Kleid gesteht, weder CDU-Mitglied noch Fördermitglied der Werteunion zu sein. Es sei das erste Mal, dass sie seit der DDR wieder auf einer derartigen Veranstaltung sei. Sie erinnere sich noch an ihre Kindheit, als ihr Vater zuhause gesagt habe: „Jetzt sprechen wir mal normal.“ In der Schule hätte sie so nie reden dürfen. „An diesem Punkt sind wir doch heute wieder. Manche Sachen kann man nur noch Zuhause sagen.“

„Eigentlich müsste man Volksfront-Regierung sagen“

Maaßen greift auch dieses Thema in der improvisierten Bürgersprechstunde auf: „Unsere Bildungseinrichtungen sind in einem schlechten Zustand. Grün-linke Ideologen nutzen sie, um junge Menschen zu indoktrinieren“ , behauptet er. Wozu das schließlich führe, schmerze ihn insbesondere in Berlin. Während überall auf der Welt große Infrastrukturprojekte gelängen, öffne der BER noch immer nicht. Dass man es nicht schaffe, endlich diesen Flughafen in Berlin fertig zu bauen, sei schlicht unglaublich. „Dass uns die rot-rot-grüne Regierung – eigentlich müsste man Volksfront-Regierung sagen – erzählt, der Brandschutz im BER sei nicht gegeben, auf dem maroden Flughafen Tegel aber schon, ist schlicht absurd“, sagt Maaßen. Es wirkt, als schäme er sich. Man spreche von Deutschland im Ausland als „Deppennation“. Es sind Äußerungen, die hier unwidersprochen bleiben. Nur zustimmendes Nicken und viele weitere Fragen an den Ex-Chef des Verfassungsschutzes, den sie hier als letzten aufrechten Helden gegen die CDU-Politik von Angela Merkel sehen. Aber ist er das wirklich? Oder verrät die Verehrung für ihn nicht mehr über die Hoffnungen der Wähler als über Hans-Georg Maaßen? 

Immer wieder verschwindet er an diesem Abend in Nebenzimmer. Er führt Telefonate, gibt ein Interview für Gabor Steingart und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Aber er will hier an der Basis bleiben, die für ihn der fleischgewordene Stachel im Fleisch der CDU bleiben soll. Er zieht sein Jackett aus und lässt sich noch ein Pils bestellen. Seine Manschettenknöpfe blitzen auf. Sie sind Rubiks Cubes nachempfunden, jenen bunten Zauberwürfeln aus den 80er Jahren, in denen man sich stundenlang verbeißen kann und man doch nicht alle Farben geordnet bekommt. Er habe diesen Würfel immer gemocht, sagt er, und er mag diese Manschettenknöpfe, die ein Geschenk seiner Frau sind.

„Wir tun inzwischen weh“

In der CDU gibt es Menschen, die finden, Maaßen habe der Sächsischen Union mit seinen Wahlkampf-Auftritten geschadet. Er selbst ist davon überzeugt,  er habe ihr mit der Werteunion geholfen. Die Union sei im Juli bei etwa 25 Prozent gesehen worden, Kopf an Kopf mit der AfD. Danach haben sich die Werteunion und er eingebracht im Wahlkampf. Tatsächlich holte der sächsische Landtagspräsident Matthias Rößler zwar sein Direktmandat. Maaßen war in Radebeul für ihn aufgetreten. Geert Mackenroth, den er ebenfalls unterstützte, schaffte es aber nur über die Landesliste. In Brandenburg schafft es ein „Maaßen-Kandidat“ erst gar nicht in den Landtag. Gibt es einen Maaßen-Effekt? Beweisen kann er das nicht. Darum bemüht er sich aber um die Deutungshoheit. „Ich muss feststellen, dass das heutige Ergebnis deutlich besser ist als in den Meinungsumfragen im Juli. Und dieses Ergebnis rechne ich insoweit auch der Werteunion zu“, sagt er und genießt den darauf folgenden Applaus.

Er rechne nun mit „Schmutzkampagnen“ gegen ihn aus der Parteiführung. Maaßen sagt, das müssten er und die Werteunion dann aushalten. „Dass sofort auf eine emotional persönliche Ebene gegangen wird, spricht dafür, dass die CDU-Führung sich schlicht nicht mit unseren Inhalten auseinandersetzen will“, behauptet er, „sie haben keine Argumente.“ Wenn es dann demnächst um die Kanzlerkandidatur geht, wollen er und die Werteunion eine Urwahl fordern. „Die Basis muss gehört werden!“, stimmen viele im improvisierten Stuhlkreis zu. Es geht auf Mitternacht zu. Das vorläufige amtliche Endergebnis steht fest. Es gibt jetzt mit 27,5 Prozent eine neue Volkspartei in Sachsen, die Alternative für Deutschland. Und es gibt diesen Verein, der eine interne Alternative für die CDU sein will, die Werteunion.

Seit Annegret Kramp-Karrenbauer sich öffentlich gegen Hans-Georg Maaßen positioniert hat, sei die Mitgliederzahl von 2.000 auf 3.000 Mitglieder gestiegen. Er machen sich keine Illusionen, gibt Maaßen der Runde zu verstehen. Das sei noch immer eine splitterhafte Größe. „Aber wir tun inzwischen weh.“

In einer früheren Version war die Rede davon, dass auch Max Otte auf der Veranstaltung anwesend war und Gloria von Thurn und Taxis um ein Foto bat. Es handelte sich dabei nicht um Max Otto, sondern um jemand anderen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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