Werbung der Bundesregierung - Renaissance der Propaganda

Die Große Koalition hat ihre Budgets für Werbung in eigener Sache auf beispiellose Weise erhöht. Noch dazu wurde von der Bundesregierung ein regelrechtes Imperium an Online-Kanälen mit oft enormen Reichweiten und teilweise verdeckten Influencer-Netzwerken aufgebaut, um das Meinungsklima zu prägen. Dieser Spuk muss aufhören.

Regierungsinfluencer Eckart von Hirschhausen (re.) mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Mitte) / dpa
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Autoreninfo

Jan Schoenmakers ist Gründer und Geschäftsführer der Analyse- und Beratungsfirma Hase & Igel, die sich darauf spezialisiert hat, mit Verhaltensdaten – von Google-Suchen über Social Media Gespräche bis zu Werbeausgaben – Entwicklungen in Markt und Gesellschaft zu bewerten. Nach seinem Studium der Medien- und Politikwissenschaft arbeitete der Statistikexperte lange Zeit als Kommunikationsmanager in der Energiewirtschaft.

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Demokratie braucht Gewaltenteilung – ein Gemeinplatz, der durch Wiederholung nicht weniger richtig wird. Ebenso einig sind sich alle Demokraten darin, dass die Unabhängigkeit der Medien dafür entscheidend wichtig ist. Weil wir in Deutschland in dieser Hinsicht gebrannte Kinder sind, gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang klare rote Linien für die Vermischung von Politik und Medien, damit der Staat nicht seine finanzielle und politische Macht in die Waagschale wirft, um die Lufthoheit über dem Meinungsmarkt durchzusetzen.

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In mehreren wegweisenden Urteilen in den 1960er- und 1970er-Jahren hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) klar geregelt, dass die Regierung durch Öffentlichkeitsarbeit zwar aufklären soll, aber nicht einseitig für eigene politische Projekte werben (und dafür schon gar nicht die Parlamente umgehen) darf. Ebenso deutlich hat das BVG dem Staat untersagt, Massenmedien redaktionell zu betreiben.

Mit den Regeln gebrochen

Die aktuelle Bundesregierung hat von Anfang an mit diesen Regeln gebrochen wie keine zuvor. Während der Großen Koalition unter Angela Merkel und Olaf Scholz immer wieder vorgeworfen wurde, mehr zu verwalten als zu gestalten, hat sie den direkten Einfluss des Staates auf die öffentliche Meinung in beispielloser Weise ausgebaut – und ist bei diesem Tabubruch kaum auf Gegenwehr gestoßen.

Die Bundesregierung zählt inzwischen zu den größten Werbetreibenden der Republik. Mit 150 Millionen Euro (2020) spielt sie damit in einer Liga mit großen Automobilkonzernen und führenden Supermarktketten. Hierbei sind die millionenschweren Social-Media-Aktivitäten und die achtstelligen Budgets für externe Berater noch nicht einmal eingerechnet.

Dammbruch in der Corona-Krise

Diese Entwicklung ist kein Ergebnis besonderer Corona-Zeiten. Bereits seit Beginn der vorigen Legislaturperiode sind die Ausgaben für PR und Werbung in allen Kanälen regelrecht explodiert. So stieg der Etat für Öffentlichkeitsarbeit von Ende 2013 bis Anfang 2020 um annähernd zwei Drittel (Antwort auf eine Anfrage der FDP von 2020), zwischenzeitlich hatte er sich sogar mehr als verdoppelt (Antwort auf eine Anfrage der AfD von 2018). Im selben Zeitraum wurden die Ausgaben für Social-Media-Werbung sogar verdreißigfacht. In der Corona-Krise kam es schließlich endgültig zum Dammbruch: Binnen eines Jahres steigerte die Bundesregierung ihre Werbeausgaben um 150 Prozent.

Diese Entwicklung zieht sich durch beinahe alle Ressorts – unter den Ausgabenmeistern waren zu verschiedenen Zeitpunkten Justiz-, Arbeits-, Verteidigungs-, Bildungs- und Gesundheitsministerium. Dies ist nicht durch einzelne Krisen oder eine etwaige Kostenexplosion im Werbemarkt zu erklären – vielmehr hat die Regierung über die vergangenen zwei Wahlperioden ihren Werbedruck kontinuierlich und in einem bisher noch nie dagewesenen Maß erhöht.

Das ist in gleich dreierlei Hinsicht ein ernst zu nehmendes Problem für die Demokratie: Erstens setzt der Staat stark auf Außenwerbung an belebten Orten, die Verteilung von Flyern und Broschüren sowie Social-Media-Werbung – also Formate, mit denen sich die Politik an den journalistischen Medien und dem Parlament vorbei direkt an die Bürger wendet, ohne dass Presse und Opposition eine Chance haben, kritische Nachfragen zu stellen oder Gegenargumente zu äußern.

Zweitens hat die Bundesregierung ihre Werbebudgets in journalistischen Medien ebenfalls stark erhöht, sich somit auch bei den Verlagen unter die größten Werbetreibenden gesellt. Das ist eine Gefahr für die Pressefreiheit in Deutschland. Denn während es zum ehrlichen Selbstbild eines jeden Journalisten gehört, sich auf keinen Fall kaufen zu lassen, zeigen etliche wissenschaftliche Untersuchungen (darunter: Andresen 2006, Kolb & Woelke 2010), dass große Werbekunden signifikant besser in der redaktionellen Berichterstattung der entsprechenden Verlagsmedien dargestellt werden. Insbesondere, wo in ansonsten kritischen Medien massiv Werbung geschaltet wird, muss man hellhörig werden.

Digitalisierung verschlafen

Drittens belässt es die Große Koalition alarmierenderweise nicht dabei, für Gesetze zu trommeln, die bereits beschlossen sind – sondern wirbt mit Millionen an Steuergeldern für eigene Vorschläge, die noch nicht einmal im Parlament eingebracht wurden. Besonders dreist geschah dies im Frühjahr beim Lieferkettengesetz. Mit gekaufter Aufmerksamkeit in Zeitungen, Sozialen Medien und auf haushohen Plakaten wird so das Parlament unter Druck gesetzt, im Sinne der Bundesregierung abzustimmen.

Gleichzeitig missachtet die Große Koalition immer offener die eiserne Regel, dass die Regierung nicht selbst Medienmacherin sein darf. Während alle Versuche seit Gründung der BRD, staatliche Werbesender im Rundfunk oder regierungseigene Zeitschriften zu gründen, an einer wachsamen Opposition und einem bissigen Verfassungsgericht zerschellten, verschliefen beide Akteure die Digitalisierung vollends.

So baute sich die Bundesregierung über die vergangenen Jahre ungehindert ein regelrechtes Imperium an Online- und Social-Media-Kanälen mit oft enormen Reichweiten und – teilweise verdeckten – Influencer-Netzwerken auf, um das Meinungsklima im Netz in höchstem Maße zu prägen. Mit Millionenaufwand wurden immer mehr Online-Portale und -Magazine geschaffen, die erkennbar nicht – wie vom BVG vorgeschrieben – primär der Aufklärung dienen, sondern die Regierung und ihr Handeln in einem möglichst guten Licht darstellen sollen. Zum Teil sind diese nur noch im Impressum als Kanäle der Bundesregierung erkennbar (wie zum Beispiel deutschland.de oder civic-innovation.de).

Doch auch die Zahl und das Budget der „Content-Marketing“-Kanäle, die für jeden sichtbar unter dem Bundesadler betrieben werden, haben sich gewaltig erhöht. Die Grenze zwischen Aufklärung und werblicher Selbstdarstellung verläuft hier fließend – kritisch wird es allerdings dort, wo die Bundesregierung ihr Budget und ihre Verhandlungsmacht nutzt, um eigene Informationsangebote besser im Netz zu platzieren als die Seiten unabhängiger Medien und parlamentarischer Institutionen.

So konnte erst das Landgericht München die gelebte Praxis von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stoppen, durch bilaterale Verträge mit Google die Informationen seines Ministeriums besser ausgespielt zu bekommen als jeder andere im Netz. Geklagt hatte, wohlgemerkt, ein privates Portal – nicht etwa die Opposition oder eine Medienanstalt. Parallel übersteigen die Ausgaben der Bundesregierung für Suchmaschinenoptimierung, Suchmaschinenwerbung et cetera die Möglichkeiten der Oppositionsparteien, des Parlaments und der meisten Zeitungen deutlich.

Rundfunkverbot wird umgangen

Ein noch größerer Tabubruch liegt in der Kommunikationsform, die inzwischen zum Lieblingsvehikel der Regierung geworden ist: eigene Videokanäle, -streams und Podcasts im Netz, unterstützt von offiziellen Social-Media-Accounts. Spätestens in der Corona-Pandemie haben die Live-Streams der Regierung Tagesschau und Co. als Erstinformationsquelle für viele Menschen abgelöst und – zusammen mit den zugehörigen Portalen – die Bundesregierung als Medienmacherin etabliert. Doch bereits in den Jahren davor hat sich die Zahl der regierungseigenen YouTube-Kanäle, Podcasts und ähnlichem vervielfacht, im Gleichschritt mit den dafür verwendeten Budgets und den Zuschauerzahlen.

Medienrechtler und Journalisten zeigen sich seit Längerem darüber alarmiert, dass hier das Rundfunkverbot offen umgangen wird. Denn wenn Live-Streams an den Medien vorbei mit der Regelmäßigkeit einer Nachrichtensendung betrieben werden und Millionen erreichen, wenn die Bundeswehr eigene Serien produziert mit Hunderttausenden Abonnenten, und wenn die Kanzlerin mit ihren Social-Media-Accounts zeitweise zur wichtigsten Influencerin beim Thema Klima aufsteigt, gibt es kein Vertun: Hier betreibt die Bundesregierung Massenmedien – in denen keine kritische Stimme aus Parlament, außerparlamentarischer Opposition oder Presse zu Wort kommt.

Prominente werden eingebunden

Mindestens ebenso anrüchig ist es, wie die Bundesregierung auch außerhalb der eigenen Kanäle und Werbeschaltungen ihre einzigartigen Mittel einsetzt, um das Online-Meinungsklima zu ihren Gunsten zu beeinflussen. So ist insbesondere in der aktuellen Legislaturperiode der Etat für Influencer-Marketing massiv gestiegen, und in die eigenen Aktivitäten werden immer mehr Verbände, Prominente und Unternehmen eingebunden. Sprich: Die Bundesregierung schickt nicht nur ihre eigenen Sprecherinnen und Sprecher nach vorn, sondern aktiviert mit Bundesmitteln Privatpersonen und Akteure aus der Wirtschaft, um für sie Stimmung zu machen. Mehr als 150 Influencer unterhält die Bundesregierung inzwischen aus Steuergeldern; man schmückt sich mit Prominenten von Eckhart von Hirschhausen über Atze Schröder bis Uschi Glas. Ob sich dabei die Exekutive an ihre eigenen Regeln zur Kennzeichnungspflicht von werblichen Inhalten hält, ist umstritten.

Eindeutig ist indes: Es wird mit öffentlichen Mitteln eine Phalanx an Nicht-Regierungsmitarbeitern aufgebaut, die in sozialen Medien Stimmung für die Regierung machen sollen – ein Mandat, das in keiner Weise mit den Haltelinien des Bundesverfassungsgerichts in Einklang stehen dürfte. Parallel dazu, dass die Bundesregierung mit bezahltem Applaus den Eindruck breiterer Unterstützung erweckt, erhöht sie mit der Androhung restriktiver Gesetzesvorhaben den Druck auf Social-Media-Plattformen, missliebige Inhalte zu entfernen.

Manipulative Mittel

Wo diese eindeutig gegen Gesetze verstoßen, dürfte das einigermaßen unstrittig sein – doch unter dem Label „Fake News“ werden inzwischen Inhalte in Abstimmung mit staatlichen Organisationen gesperrt, die in der Wissenschaft keineswegs einheitlich beurteilt werden (bei Facebook beispielsweise Posts dazu, ob Corona aus dem Labor stammt oder wie das Nutzen-Risiko-Profil von Impfungen für Kinder zu bewerten ist). Es versteht sich von selbst, dass weder die kleineren Oppositionsparteien noch parlamentarische Ausschüsse oder Journalisten auch nur annähernd denselben Zugang zu diesen – offen manipulativen – Mitteln haben.

Wo Regierungen zielgerichtet versuchen, öffentliche Meinung zu formen, indem sie ihre Sicht der Dinge einseitig darstellen, die Möglichkeit auf Nachfragen und Gegendarstellung einschränken und ihre Geld- und Machtmittel dazu nutzen, um an den parlamentarischen und medialen Kontrollmechanismen vorbei auf die Bürger einzuwirken, spricht die Wissenschaft von Propaganda. Unter Union und SPD haben wir in den vergangenen Jahren nach all diesen Kriterien eine Renaissance der Propaganda erlebt, die für den pluralistischen Diskurs und den demokratischen Wettbewerb in Deutschland eine echte Bedrohung darstellt.

Spirale durchbrechen

Wenn es die Grünen als „Haltung“ feiern, nicht mit der Bild am Sonntag zu sprechen, und die AfD das Wort „Lügenpresse“ wie eine Fahne vor sich herträgt, drängt sich die Befürchtung auf, dass manche in der Opposition diesem Vorbild gerne gefolgt wären und nur die Mittel dafür (noch) nicht besaßen.

Dieser Spuk muss aufhören. Nicht nur leben wir in einer Situation der fortgesetzten Grundrechtseingriffe, wie es sie in der Bundesrepublik noch nie gab. Auch stehen uns in den nächsten Jahren größere Konflikte und Prüfungen als Corona erst noch bevor – vom demographischen Wandel bis zum Klimawandel. Ohne einen Diskurs, der die Vielfalt in der Gesellschaft wenigstens halbwegs abbildet, wird die Schlacht um Information und Realität eskalieren – wie man in den USA gesehen hat, kann dies auch schnell zu physischer Gewalt führen.

Unabhängig davon, wer welche Partei bevorzugt, muss es für jeden überzeugten Demokraten eine Kernforderung an die nächste Bundesregierung sein, diese Spirale zu durchbrechen und die Propaganda wieder zurück in die Geschichtsbücher zu verbannen.

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