Wehrpflicht-Debatte - Im Zweifel für den Dienst

Brauchen wir die Wehrpflicht oder ein allgemeines Dienstjahr für junge Leute? In Umfragen sprechen sich die Deutschen mehrheitlich dafür aus. Die Politik sollte diesen Willen umsetzen.

Soldaten bei der Grundausbildung: Die Idee der Wehrpflicht klingt verlockend / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Erinnern Sie sich noch an Karl-Theodor zu Guttenberg? Richtig – der Shooting Star der CSU, der nach nur zwei Jahren als Verteidigungsminister ins ins Abseits geschossen wurde, als öffentlich wurde, dass er sich für seine Doktorarbeit etwas zu großzügig an den Texten anderer bedient hatte. Jener Guttenberg verkündete 2010 in einer Nacht- und Nebelaktion die Aussetzung der Wehrpflicht,vollzogen wurde sie 2011 unter seinem Nachfolger. Nun, ein Jahrzehnt später, diskutiert Deutschland über die Wiedereinführung der Wehrpflicht: Die eben zum Amt der Wehrbeauftragten gekommene SPD-Politikerin Eva Högl hat dies am Wochenende gefordert.

Eines vorab: Hätte man die Deutschen direkt gefragt, wäre die Wehrpflicht wohl nie ausgesetzt worden. 2018 sprach sich eine klare Mehrheit für ihre Wiedereinführung aus.

In unseren Nachbarländern hat man sich angesichts der gesellschaftlichen Relevanz dieses Themas beim Volk rückversichert: In Österreich stimmten 2013 in einer Volksbefragung knapp 60 Prozent für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Auch in der Schweiz schlug 2013 der letzte Versuch der Volksinitiative „Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht“ fehl: Fast drei Viertel der Schweizer wollten sie beibehalten. In Schweden wurde die Wehrpflicht vor dem Hintergrund des militärischen Erstarkens Russlands 2017 sogar wieder eingeführt.

Unbezahlbare Einblicke in die Gesellschaft

Die Idee der Wehrpflicht klingt verlockend – besonders für konservative Kreise, für die die das Thema jahrzehntelang zum Markenkern gehörte – aber schauen wir doch mal zurück, wie das damals war. Ich selbst, geboren 1980, gehörte zu einem Jahrgang, bei dem von 440.000 jungen Männern weniger als ein Drittel den zehnmonatigen Grundwehrdienst leisteten, etwas mehr als ein Drittel wurden ausgemustert, ebenfalls ein Drittel leisteten Zivil- oder Ersatzdienst. Hat es uns geschadet? Sicher nicht.

Ausgemustert wurden erwartungsgemäß die besten Sportler, weil sie sich schon Kreuzbandrisse und sonstige Schäden zugezogen hatten, zum Bund gingen die eher patriotisch gesinnten Gesellen, der Rest landete in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Ich selbst, aufgewachsen in einem schwäbischen Dorf, heuerte bei einem Krisendienst für Jugendliche in Berlin-Spandau an, wo sich der damals populäre Begriff „Crashkids“ für mich erstmals mit Inhalt füllte. Dort bekam ich auch von einem Insassen mein erstes veritables blaues Auge verpasst. Kurzum: eine bereichernde Zeit. Ich meine das nur zu einem kleinen Teil ironisch. Dieses eine Jahr „Dienst an der Gesellschaft“ hat mir Einblicke in die Gesellschaft gegeben, die ich nie erhalten hätte, wenn ich direkt nach dem Abitur an die Uni gewechselt hätte. Und dieses Jahr gab mir zumindest noch ein wenig Bedenkzeit, um bei der Wahl der Studienfächer zumindest eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wohin ich wollte.

Macht der Wehrdienst Sinn für die Bundeswehr?

Zumindest was die Bedenkzeit angeht, gilt dies auch für meine Mitschüler, die „zum Bund“ gegangen waren. Selbst wenn sich viele über die monatelange Langeweile beschwerten, die sich an die Grundausbildung anschloss – kaum einer hat es bereut. Allerdings war für alle meine Mitschüler das Kapitel Bundeswehr nach den zehn obligatorischen Monaten beendet. Damit wären wir bei einer anderen Frage: Machte der Wehrdienst für die Bundeswehr Sinn?

Rein organisatorisch waren die Wehrpflichtigen ein Klotz am Bein der Bundeswehr: Jedes Jahr mussten 140.000 junge Männer ausgestattet, in Kasernen untergebracht und von Ausbildern betreut werden. Und das vor dem Hintergrund, dass die Bundeswehr die allermeisten von ihnen später nie wieder sehen würde. Auch das Argument, mit dem die Wehrbeauftragte Högl nun die Wiedereinführung der Wehrpflicht forderte, kann wohl abgetan werden: Gegen Rechtsextremisten in den Reihen der Bundeswehr hilft eine strenge Führung der Truppe, aber keine allgemeine Wehrpflicht. Der eher linksdrehende zukünftige Philosophie-Student ging auch zu meiner Zeit nicht zum Bund, sondern in die Behindertenwerkstatt.

Wer von uns hat in seinem Bekanntenkreis Soldaten?

Auf einem anderen Blatt steht, dass die Bundeswehr damals viel „näher“ an der Gesellschaft war, als sie es heute ist: Man sprach mehr über die Bundeswehr, weil eben auch „ganz normale“ Jungs aus dem Freundeskreis dort zumindest ein paar Monate verbracht hatten. Heute ist die Bundeswehr eine reine Berufsarmee. Wer von uns hat in seinem Bekanntenkreis Soldaten? Es gilt die Faustregel: je akademischer, desto weniger. Es ist paradox: Die Bundeswehr leistet heute einerseits im Zuge der Auslandseinsätze viel mehr als früher, ist aber durch ihre Professionalisierung aus der Gesellschaft verschwunden.

Annegret Kramp-Karrenbauer trat im Sommer 2018 – also etwa ein Jahr, bevor sie Verteidigungsministerin wurde – die Diskussion über die Einführung eines „Allgemeinen Dienstjahrs“ los: Nach der Schulzeit sollten junge Menschen, übrigens Männlein wie Weiblein, ein Jahr bei der Bundeswehr, in der Pflege oder auch bei der Feuerwehr tätig sein.

Eine gute Idee, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken dürfte. Denn anders als bei reinen Freiwilligen-Diensten leisten dadurch auch diejenigen einen Dienst an der Gesellschaft, in deren Lebensplanung die persönliche Karriere klar über der Gemeinschaft stand. Um es zuzuspitzen: Es schadet einem zukünftigen Manager eines DAX-Konzerns sicher nicht, wenn er oder sie mit 18 ein Jahr lang Behinderte durch die Gegend geschoben hat. Im übrigen: Die Krankenhäuser und Sozialverbände waren 2011 nicht glücklich über die Abschaffung der Wehrpflicht, fielen ihnen doch mit den „Zivis“ auf einen Schlag über 100.000 Arbeitskräfte weg.

Allgemeines Dienstjahr - alle sind dafür

Inzwischen ist von AKKs Idee nur noch wenig übrig. Am Wochenende präsentierte sie ihre Pläne für „Dein Jahr für Deutschland“: Auf freiwilliger Basis sollen Jugendliche eine sechsmonatige militärische Grundausbildung erhalten und anschließend für sechs Monate in der Nähe ihrer Heimat zu Reservediensten herangezogen werden. 2021 sollen die ersten Freiwilligen einrücken.

Dabei ist die Unterstützung für ein „Allgemeines Dienstjahr“ in der Gesellschaft riesig: Zwei Drittel der Deutschen sprachen sich 2018 dafür aus. Selbst unter Anhängern von Grünen und FDP unterstützten zwei Drittel die Pläne, ganz anders als bei einer Rückkehr zur Wehrpflicht. Wo liegt also das Problem?

Als Hauptgrund gegen eine allgemeine Dienstpflicht wird angeführt, dass dazu wohl eine Verfassungsänderung notwendig wäre. Denn im Grundgesetz heißt es: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Um das Dienstjahr verfassungskonform zu machen, müsste wohl nur das Wort „herkömmlich“ entfernt werden. Aber selbst dafür bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Und die ist bei diesem Thema heute nur zusammen mit der AfD zu haben. Und ja, damit wäre das Thema wohl für diese Legislaturperiode vom Tisch. Leider.

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