Wahlprogramm der Grünen - Neues Deutschland

Knallhartes Klimaprogramm, erleichterte Einwanderung, Schuldenbremse aufweichen, Vermögenssteuer und bedingungsloses Grundeinkommen einführen: Bündnis90/Die Grünen haben an diesem Freitag ihre Agenda zur Bundestagswahl vorgestellt. Wir dokumentieren auszugsweise die wohl heikelsten Punkte.

Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck präsentieren ihr Wahlprogramm / dpa
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„Wir legen das Programm in einer Zeit vor, in der eine politische Ära zu Ende geht und eine neue beginnen kann“: Mit diesen Worten eröffnete der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck die Präsentation der 136 Seiten umfassenden Agenda zur bevorstehenden Bundestagswahl. Der unter dem Titel „Deutschland. Alles ist drin.“ verfasste Programmentwurf hat es in sich – es handelt sich um ein teilweise radikales Manifest für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbau der Bundesrepublik. Natürlich wird nicht alles davon Realität werden. Aber weil mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Grünen an der nächsten Bundesregierung beteiligt sind, lohnt es sich doch, genauer hinzuschauen – insbesondere für die wahrscheinlichen Koalitionspartner von CDU und CSU. Die haben zwar selbst noch kein Wahlprogramm, wissen aber jetzt immerhin, was da auf sie zukommt. Ob die Unionsparteien und die Grünen wirklich miteinander kompatibel sind, daran könnten bei einem Blick auf die Auswahl der hier dokumentierten Anliegen von Bündnis 90/Die Grünen gewisse Zweifel aufkommen. Andererseits hat sich die Union in den vergangenen anderthalb Dekaden stets als sehr flexibel erwiesen. Man darf gespannt sein, was (und ob) die Christdemokraten dem entgegenzusetzen haben. 

Klimapolitik

„Nicht nur der Strom, auch das Benzin in unseren Autos, das Kerosin im Flugzeugtank, das Öl für die Heizung und das Gas im Industriebetrieb müssen auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Das ist nichts weniger als eine Energierevolution. Dazu braucht es zuallererst eine massive Ausbauoffensive für die Erneuerbaren. Daran hängt die Zukunft unseres Industriestandortes und unsere Versorgungssicherheit. Mit einer umfassenden Steuer- und Abgabenreform wollen wir dafür sorgen, dass die Sektorenkoppelung vorankommt und Strom zu verlässlichen und wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden ist.“

„Es braucht in der ökologischen Transformation ein noch viel besseres Angebot an Weiterbildung und Qualifizierung. Dazu wollen wir ein Recht auf Weiterbildung einführen und mit einem Weiterbildungsgeld auch für Erwerbstätige in Qualifizierungsphasen eine soziale Absicherung schaffen. Mit einem Qualifizierungs-Kurzarbeitergeld ermöglichen wir Unternehmen, in Phasen der Transformation ihre Beschäftigten im Betrieb zu halten und nachhaltig zu qualifizieren.“

„Wir werden das ungenügende Klimaschutzgesetz und den Klimaschutzplan überarbeiten und – im Einklang mit dem höheren neuen europäischen Klimaziel – das deutsche Klimaziel 2030 auf -70 Prozent anheben. Nur so kann es gelingen, dass wir Europäer*innen deutlich vor Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden.“

„Wir wollen die Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro auf das Jahr 2023 vorziehen. Danach soll der CO2 -Preis so ansteigen, dass er im Konzert mit den Fördermaßnahmen und ordnungsrechtlichen Vorgaben die Erfüllung des neuen Klimaziels 2030 absichert.“

„Dazu streben wir neben der Senkung der EEG-Umlage ein Energiegeld an, das jede*r Bürger*in erhält. Über das Energiegeld geben wir alle zusätzlichen CO2-Einnahmen an die Menschen zurück, und zwar fair aufgeteilt pro Kopf. So kann man mit Klimaschutz Geld verdienen und es findet ein sozialer Ausgleich im System statt. Unterm Strich werden so Geringverdiener*innen und Familien entlastet und vor allem Menschen mit hohen Einkommen belastet. Bezieher*innen von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe profitieren ebenfalls, da das Energiegeld nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden soll.“

„Nach dem Willen der Großen Koalition werden in Deutschland Kohlekraftwerke noch bis 2038 dem Klima und unserer Gesundheit schaden. Das ist mit den Klimazielen nicht vereinbar. Wir setzen uns dafür ein, den Kohleausstieg bis 2030 zu vollenden. Um nicht erneut den Kohlekonzernen Milliarden an Steuergeldern zu schenken, wollen wir die massiven Klimaschäden der Kohleverstromung einpreisen. Das ist am sinnvollsten über den EU-Emissionshandel zu regeln – mit einem lenkenden CO2 -Preis, der dem neuen EU-Klimaziel entspricht.“

Regenerative Energien

„Unser Ziel sind 1 Million neue Solardächer in den kommenden vier Jahren. Deshalb werden wir Solardächer fördern und zum Standard machen.“

„Auch beim Ausbau der Windkraft müssen wir schneller vorankommen. Unser Ziel ist ein jährlicher Zubau von 5 bis 6 GW Wind an Land, bei Wind auf See wollen wir 35 GW bis 2035 erreichen. Beim Windausbau gilt es den Konflikt mit Natur- und Artenschutz zu minimieren, Anwohner*innen zu schützen und die Verfahren zur Genehmigung zu beschleunigen. In einem ersten Schritt wollen wir die erneuerbaren Energien als zwingend für die Versorgungssicherheit definieren und dafür 2 Prozent der Fläche bundesweit nutzen.“

„Neue Erdgas-Pipelines wie Nord Stream 2 zementieren auf Jahrzehnte Abhängigkeiten von klimaschädlichen Ressourcen und konterkarieren die Energiewende. Sie sollten daher – im konkreten Fall von Nord Stream 2 – auch aus geopolitischen Gründen gestoppt werden.“

„Die Sanierungsquote muss deutlich gesteigert werden. Für den Bestand muss gelten: Sobald ein Eigentümerwechsel erfolgt, wird ein Sanierungsfahrplan erstellt. Wenn im Gebäudebestand ein Heizungsaustausch ansteht oder umfassend saniert wird, sollen Erneuerbare, wo immer möglich, verbindlich zum Einsatz kommen. Wir legen dazu ein Investitionsprogramm für 2.000.000 Wärmepumpen bis 2025 auf.“

Verkehr

„Busse und Bahnen sind für alle da, bieten preiswerte Mobilität und verringern den Autoverkehr. Wir wollen die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 verdoppeln.“

„Ab 2030 sollen deshalb nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden, zum Beispiel durch eine ansteigende nationale Quote für emissionsfreie Autos.“

„Die Städte sollen mehr Möglichkeiten bekommen, regulierend in den Autoverkehr einzugreifen und öffentlichen Raum neu aufzuteilen, zum Beispiel indem Autos nicht mehr überall, sondern nur noch auf gekennzeichneten Plätzen parken dürfen.“

„Nach der Pandemie wollen wir kein Zurück zum blinden Wachstum des Luftverkehrs, sondern diesen am Ziel der Klimaneutralität ausrichten. Kurzstreckenflüge wollen wir bis 2030 überflüssig machen, indem wir die Bahn massiv ausbauen. Die Zahl von Langstreckenflügen gilt es zu vermindern und das Fliegen gleichzeitig zu dekarbonisieren. […] Umweltschädliche Subventionen im Flugverkehr sind abzubauen und Finanzhilfen für unwirtschaftliche Regionalflughäfen zu beenden. Neben einer Reduktion des Fluglärms durch weniger und bessere Flugzeuge braucht es ein echtes Nachtflugverbot.“

Landwirtschaft, Neugründungen, Quote

„Wir wollen den Ausstieg aus der Pestizidabhängigkeit unserer Landwirtschaft schnell und machbar gestalten: durch eine systematische Pestizidreduktionsstrategie, ein Sofortverbot für besonders umwelttoxische Wirkstoffe und das besonders häufig eingesetzte Pestizid Glyphosat.“

„Um den Wohlstand von morgen zu sichern, brauchen wir eine neue Gründer*innenwelle. Mit einem unbürokratischen Gründungskapital, das Gründer*innen einen Einmalbetrag bis maximal 25.000 Euro sicherstellt, wollen wir dafür sorgen, dass keine gute Idee an zu wenig Eigenkapital scheitert.“

„Obwohl Frauen mindestens gleich gut qualifiziert sind wie Männer, fehlen sie dort. Freiwillige Regelungen haben nichts gebracht. Deshalb soll zukünftig mindestens ein Drittel der Vorstandssitze größerer und börsennotierter Unternehmen bei einer Neubesetzung an eine Frau gehen.“

Einwanderung

„Einwanderung in unser Land erleichtern wir mit der Einführung einer Talentkarte und einer schnelleren Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse, auch wechselseitig in der EU. Geflüchtete sollen die Möglichkeit zum Spurwechsel bekommen, der ihnen während Ausbildung, Studium und Arbeit mehr Rechtssicherheit und damit eine berufliche Perspektive in Deutschland ermöglicht.“

Fiskalpolitik

„Das riskante Investmentgeschäft muss vom Einlagen- und Kreditgeschäft getrennt werden (Trennbankensystem). Es braucht eine starke Fusionskontrolle und zu große Banken sollen entflochten werden. Für kleine Banken, von denen kein Risiko für das Finanzsystem ausgeht, sollten hingegen einfachere Regeln gelten. Spekulation und Kurzfristorientierung werden wir, unter anderem durch eine europäische Finanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage, unattraktiv machen.“

„Wir wollen dafür Sorge tragen, dass die EU ein Instrument für eine dauerhafte, eigene Fiskalpolitik erhält, dessen Einsatz im Krisenfall nicht durch einzelne Länder blockiert werden kann, sondern das den gemeinsamen europäischen Institutionen untersteht. Der Europäische Stabilitätsmechanismus wird zu einem europäischen Währungsfonds weiterentwickelt.“

„Wir wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz zeitgemäß gestalten – um die so dringenden Investitionen zu ermöglichen. Bei konsumtiven Ausgaben bleibt es bei den derzeitigen strikten Regelungen; bei Investitionen, die neues öffentliches Vermögen schaffen, erlauben wir eine begrenzte Kreditaufnahme.“

Steuern

„Heute aber tragen die obersten 10 Prozent der Einkommen über Steuern und Abgaben relativ weniger bei als die mittleren Einkommen. Das ändern wir, indem wir den Grundfreibetrag der Einkommensteuer erhöhen, um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Im Gegenzug wollen wir den Spitzensteuersatz moderat anheben. Ab einem Einkommen von 100.000 Euro für Alleinstehende und 200.000 Euro für Paare wird eine neue Stufe mit einem Steuersatz von 45 Prozent eingeführt. Ab einem Einkommen von 250.000 bzw. 500.000 Euro folgt eine weitere Stufe mit einem Spitzensteuersatz von 48 Prozent. Zusätzlich werden hohe Managergehälter oberhalb von 500.000 Euro nicht mehr zum Abzug als Betriebsausgaben zugelassen. Die Abgeltungsteuer für Kapitalerträge schaffen wir ab und besteuern diese Einkommen wieder progressiv.“

„Die Einführung einer neuen Vermögensteuer für die Länder ist unser bevorzugtes Instrument. Die Länder sollten die Einnahmen dieser Steuer für die Finanzierung der wachsenden Bildungsaufgaben einsetzen. Die Vermögensteuer sollte für Vermögen oberhalb von 2 Millionen Euro pro Person gelten und jährlich 1 Prozent betragen. Begünstigungen für Betriebsvermögen werden wir im verfassungsrechtlich erlaubten und wirtschaftlich gebotenen Umfang einführen.“

„In Europa führen wir eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Unternehmenssteuern und einen Mindeststeuersatz von mittelfristig 25 Prozent ohne Ausnahmen ein. Google, Facebook und Co. werden mit einer Digitalkonzernsteuer endlich angemessen besteuert. Banken und Steuerberater*innen verbieten wir, Geschäfte in Steuersümpfen zu tätigen oder dorthin zu vermitteln.“

Löhne und Grundeinkommen

„Den gesetzlichen Mindestlohn werden wir sofort auf 12 Euro anheben. Für weitere Erhöhungen soll die Mindestlohnkommission den Auftrag bekommen, dass der Mindestlohn wirksam vor Armut schützen und mindestens der Entwicklung der Tariflöhne entsprechen muss.“

„Wir werden ein effektives Entgeltgleichheitsgesetz einführen, das auch für kleine Betriebe gilt und die Unternehmen verpflichtet, von sich aus über die Bezahlung von Frauen und Männern und über ihre Maßnahmen zum Schließen des eigenen Pay-Gaps zu berichten.“

„Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Teilhabe, auf ein würdevolles Leben ohne Existenzangst. Deswegen wollen wir Hartz IV überwinden und ersetzen es durch eine Garantiesicherung. Sie schützt vor Armut und garantiert ohne Sanktionen das soziokulturelle  Existenzminimum. Sie stärkt so Menschen in Zeiten des Wandels und kann angesichts großer Veränderungen der Arbeitswelt Sicherheit geben und Chancen und Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben eröffnen. Die grüne Garantiesicherung ist eine Mindestsicherung, die nicht stigmatisiert und die einfach und auf Augenhöhe gewährt wird. Sie schafft durch die Abschaffung der bürokratischen Sanktionen Raum und Zeit in den Jobcentern für wirkliche Arbeitsvermittlung und Begleitung. Dafür wollen wir die Regelsätze schrittweise anheben, sodass sie das soziokulturelle Existenzminimum verlässlich sicherstellen.“

Rentenpolitik und Krankenversicherung

„In einem ersten Schritt zu einer Bürgerversicherung sorgen wir dafür, dass anderweitig nicht abgesicherte Selbständige, denen sonst Altersarmut droht, und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden. Um Altersarmut zu verhindern, werden wir die Grundrente reparieren und zu einer echten Garantierente weiterentwickeln. Grundsätzlich halten wir an der Rente mit 67 fest. Wir wollen es Menschen aber leichter machen, selbst darüber zu entscheiden, wann sie in Rente gehen wollen.“

„Wir wollen die Riester-Rente durch einen öffentlich verwalteten Bürgerfonds ersetzen und in diesen überführen. Durch den Bürgerfonds profitieren die Menschen am Wertezuwachs der Wirtschaft. Der Fonds kann langfristig orientiertes Eigenkapital für die Wirtschaft bereitstellen. In den Bürgerfonds zahlen alle ein, die nicht aktiv widersprechen.“

„Gesetzlich Versicherte warten länger auf Termine bei Fachärzt*innen, und viele privat Versicherte können sich die hohen Prämien nicht mehr leisten. Von dieser Zwei-Klassen-Medizin profitieren wenige, zum Nachteil vieler. Unser Ziel ist eine solidarisch finanzierte Bürgerversicherung, in der jede*r unabhängig vom Einkommen die Versorgung bekommt, die er oder sie braucht. Die Bürgerversicherung bezieht alle in die Finanzierung eines leistungsstarken Versicherungssystems ein.“

Drogen

„Das Verbot von Cannabis richtet mehr Schaden an, als dass es nützt. Wir setzen auf wirksame Prävention, auf Entkriminalisierung und Selbstbestimmung. Deshalb werden wir mit einem Cannabiskontrollgesetz das bestehende Cannabisverbot aufheben und einen kontrollierten und legalen Verkauf von Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften ermöglichen.“

Mieten

„Unser Ziel sind deshalb faire und bezahlbare Mieten und starke Rechte für Mieter*innen. Konkret wollen wir Mietobergrenzen im Bestand mit einem Bundesgesetz ermöglichen und die Mietpreisbremse entfristen und nachschärfen. Reguläre Mieterhöhungen sollen auf 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels begrenzt werden.“

Diversität und Minderheiten

„Wir werden verbindliche Zielvorgaben zur Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund einführen. Das „Diversity-Budgeting“, also den Einsatz und die Evaluierung von Haushaltsmitteln in einer Vielfalt besonders fördernden Weise, wollen wir voranbringen.“

„Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, wollen wir die verschiedenen gesellschaftlichen Themen, die die Teilhabe an der offenen und vielfältigen Einwanderungsgesellschaft betreffen, bei einem Ministerium bündeln und diese Themen aus dem Innenministerium herauslösen. Für mehr Repräsentanz und Teilhabe werden wir ein Partizipations- und Teilhabegesetz vorlegen und das Bundesgremiengesetz reformieren. Alle, die dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt hier haben, sollen ein kommunales Wahlrecht erhalten.“

„Wir wollen den Schutz vor und die Beseitigung von Diskriminierungen und strukturellem Rassismus mit einem staatlichen Gewährleistungsanspruch in der Verfassung verankern, ergänzend zur überfälligen Ersetzung des Begriffs „Rasse“ sowie der expliziten Benennung von Diskriminierung aufgrund sexueller Identität. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) muss unabhängiger und wirkmächtiger werden – mit mehr Personal, Budget und Kompetenzen. Zudem wollen wir eine*n weisungsunabhängige*n und finanziell gut ausgestattete*n Antirassismusbeauftragte*n einsetzen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll zu einem echten Bundesantidiskriminierungsgesetz weiterentwickelt werden. Das Netz zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen soll flächendeckend ausgebaut und in den Institutionen sollen Anlaufstellen geschaffen werden. Wir werden die Forschung zu Diskriminierung und Rassismus ausbauen, insbesondere Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten erheben und unabhängige wissenschaftliche Studien in Bezug auf staatliche Institutionen durchführen. Antirassismus, Antidiskriminierung und Postkolonialismus wollen wir in Lehrplänen verankern.“

„Wir unterstützen Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften, die in keiner strukturellen Abhängigkeit zu einem Staat, einer Partei oder politischen Bewegung und deren oder dessen jeweiliger Regierungspolitik stehen und sich religiös selbst bestimmen. Für die eigenständige und selbstbewusste Religionsausübung von Muslim*innen ist eine Imam-Ausbildung in Deutschland dringend notwendig. Dafür wollen wir islamisch-theologische und praxisorientierte Aus- und Weiterbildungsprogramme für Imame und islamische Religionsbedienstete in Kooperation mit den Instituten für islamische Theologie bundesweit etablieren und unterstützen.“

Wahlalter 16

„Wenn Jugendliche in ihrem Lebensalltag demokratische Erfahrungen machen und ihre Rechte wahrnehmen können, stärkt das die Demokratie und macht sie zukunftssicherer. Darum werden wir uns dafür einsetzen, das Wahlalter für Bundestags- und Europawahlen auf 16 Jahre abzusenken.“

Staatsbürgerschaft und Asyl

„Wer in Deutschland geboren wird, soll die Möglichkeit erhalten, deutsche*r Staatsbürger*in zu werden, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Für Menschen, die hier jahrelang leben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollen Einbürgerungen früher möglich werden. Nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland sollen alle einen Antrag auf Einbürgerung stellen können. Den Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht wollen wir abschaffen und Mehrstaatigkeit anerkennen. Die vorgenommenen Aushöhlungen des Staatsangehörigkeitsrechts wollen wir zurücknehmen. Hindernisse bei der Identitätsklärung, die nicht in der Hand der Einzubürgernden liegen, dürfen ihnen nicht angelastet werden.“

„Wir wollen das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen und damit eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Geflüchteten, die ein echtes Ankommen und Teilhabe erschwert. Integrationsfeindliche gesetzliche Regelungen wie Arbeitsverbot und pauschale Wohnsitzauflage schaffen wir ab. Die in den vergangenen Jahren vorgenommenen Aushöhlungen des Asylrechts wollen wir zurücknehmen. Die Ausrufung „sicherer“ Herkunfts- oder Drittstaaten lehnen wir ab – auch auf europäischer Ebene.“

„Nicht zu wissen, ob Deutschland wirklich Heimat wird, erschwert die Integration massiv. Wir wollen die Anzahl der Menschen, die sich von Duldung zu Duldung hangeln müssen, deshalb möglichst auf null reduzieren. Für diese Menschen braucht es nach fünf Jahren Aufenthalt ein sicheres Bleiberecht. Heranwachsende, Jugendliche und Familien mit minderjährigen Kindern sollen nach drei Jahren einen Aufenthaltstitel bekommen.“

„Abschiebungen in Kriegs- und Krisenländer wollen wir beenden, den Abschiebestopp nach Syrien und Afghanistan wieder einsetzen.“

Queer-Politik

„Um queere Jugendliche zu schützen und zu stärken, wollen wir mit einer bundesweiten Aufklärungskampagne für junge Menschen über die Vielfalt sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten informieren und bezüglich Homo- und Transphobie sensibilisieren. Wir werden uns gemeinsam mit den Ländern dafür einsetzen, dass sich geschlechtliche Vielfalt und Diversität in den Lehr- und Bildungsplänen wiederfinden.“

Europa

„Unser Ziel ist, die europäische parlamentarische Demokratie zu stärken: mit einem Parlament, das in allen Bereichen gleichberechtigt mit dem Rat entscheidet, ein vollwertiges Initiativrecht für die Gesetzgebung und ein starkes Haushaltsrecht erhält. Es soll die Kommission auf Vorschlag des Kommissions-Präsidenten bzw. der Kommissions-Präsidentin wählen sowie durch ein konstruktives Misstrauensvotum entlassen können. Für die Wahlen zum Europäischen Parlament setzen wir uns dafür ein, dass die Bürger*innen mit ihrer Stimme für einen Spitzenkandidaten bzw. eine Spitzenkandidatin der Parteien auch die/den nächste*n Präsident*in der EU-Kommission bestimmen.“

Flüchtlinge und Resettlement

„Der Blockade einer gemeinsamen und humanen Flüchtlingspolitik zwischen den Mitgliedstaaten begegnen wir mit folgendem Plan: In gemeinschaftlichen von den europäischen Partnern geführten Einrichtungen innerhalb der EU an den rechtsstaatlich und europäisch kontrollierten EU-Außengrenzen sollen die Geflüchteten registriert werden und einen ersten Sicherheitscheck durchlaufen. So wissen wir, wer zu uns kommt, und werden zugleich unserer humanitären Verantwortung gerecht. Die Menschen, die nach Europa kommen, müssen medizinisch und psychologisch erstversorgt und menschenwürdig untergebracht werden. Unter Berücksichtigung persönlicher Umstände wie familiärer Bindungen oder der Sprachkenntnisse bestimmt die EU-Agentur für Asylfragen den Aufnahme-Mitgliedstaat. Der zugrunde liegende Verteilmechanismus stützt sich zunächst auf die Bereitschaft von Regionen und Städten, Geflüchtete freiwillig aufzunehmen. Wer das tut, erhält Hilfe aus einem EU-Integrationsfonds. Reichen die Aufnahmeplätze nicht aus, weiten alle Mitgliedstaaten im Verhältnis von Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerungsgröße verpflichtend ihr Angebot aus oder leisten einen mindestens gleichwertigen Beitrag zu den Gesamtkosten. Das Asylverfahren findet im aufnehmenden Mitgliedstaat statt. Die Kommission stellt sicher, dass die gemeinsamen Regeln und Mindeststandards eingehalten werden. Wir werden mit handlungswilligen Ländern und Regionen vorangehen, um die derzeitige katastrophale Situation an den Außengrenzen zu beenden. Geschlossene Lager, Transitzonen oder europäische Außenlager in Drittstaaten lehnen wir ab.“

„Im Globalen Pakt für Flüchtlinge ist die Weltgemeinschaft übereingekommen, das Resettlement zu verstärken. Doch faktisch sinkt die Zahl der Aufnahmeplätze seit Jahren. Wir schlagen vor, zusammen mit der neuen US-Administration und Kanada sowie anderen in einer globalen humanitären Partnerschaft die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Geflüchteter aus dem Resettlement-Programm deutlich auszubauen.“

„Länder und Kommunen sollen mehr Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, wenn es um die humanitäre Aufnahme Geflüchteter geht. Mit einer Änderung der Zustimmungsregel zwischen dem Bundesinnenministerium und den Ländern von Einvernehmen in Benehmen wollen wir klarstellen, dass sich Bundesländer künftig über den Königsteiner Schlüssel hinaus selbständig und frei für die Aufnahme von Geflüchteten entscheiden können. Der Bund soll weiter die finanziellen und infrastrukturellen Aufgaben erfüllen.“

Frontex

„Wir wollen, dass die Seenotrettung explizit ins Aufgabenprofil von Frontex aufgenommen wird, und setzen auf eine europäische Grenzkontrolle, die den gemeinsamen Schutz der Menschenrechte zur Grundlage hat und wichtige grenzpolizeiliche Aufgaben wahrnimmt, ohne sie zur Fluchtabwehr zu missbrauchen. Das moderne Asylrecht beruht auf der Einzelfallprüfung, das völker- und europarechtlich verbriefte Nichtzurückweisungsgebot gilt immer und überall. Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt uneingeschränkt. Ihre Aushöhlung führt weder zu mehr Sicherheit noch zu mehr europäischer Handlungsfähigkeit in der Flüchtlingspolitik. Völkerrechtswidrige Pushbacks, von nationalen Grenzpolizeien oder Frontex begangen, müssen geahndet werden.“
 

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