Europawahl-Werbung der Parteien - Populistische Stilblüten

Die erste Werbewelle ist angelaufen, und spätestens jetzt dürften es alle gemerkt haben: Vom 23. bis zum 26. Mai finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auf riesengroßen Plakaten zeigen die Parteien eine wahre Leistungsschau an Kreativität, um die Bürger politisch zu umgarnen

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Von „Populismus“ darf natürlich (mit Ausnahmen) nicht die Rede sein, denn es geht ja um die „Zukunft unseres Kontinents“, wie es dieser Tage immer wieder raunend heißt. Und da gilt dann eben die alte Weisheit, dass übertreiben dürfe, wer die Demokratie in Gefahr sieht. Nachfolgend also ein paar aktuelle Beispiele mit kurzen Anmerkungen.
 

FDP:
Frappierend ist hier vor allem die Farbwahl: Spitzenkandidatin Nicola Beer lächelt in weißem Top unter quietschgrünem Mantel in die Kamera, und das vor einem orangenen Hintergrund, der (wahrscheinlich aus dramaturgischen Gründen) von einer halbdiagonal verlaufenden Linie durchzogen wird. Die Schrift wiederum variiert in den Farben weiß, gelb, hellblau sowie dem neuen FDP-Magenta. Liberale Pop-Art könnte man dazu sagen. Der Spruch wiederum gibt Rätsel auf, nicht nur, weil er als Frage formuliert ist. Er insinuiert nämlich, dass Europa nicht vorankommt, weil „Deutschland stehen bleibt“. Aber wo bleibt es stehen und wie würde Europa vorankommen, wenn Deutschland eben nicht stehen bliebe? Die Bundesrepublik wird offenbar aufgefordert, „Europas Chancen“ zu „nutzen“, indem sie weitergeht. Doch wohin? Vielleicht erfolgt die Aufklärung in der nächsten Kampagnen-Runde. Wir sind gespannt, Nicola Beer!
 

CDU:
Farblich das Gegenteil der FDP: Grau und düster geht es hier zu, es wird auch nicht gelächelt. Die CDU inszeniert sich als Anti-Spaß-Partei, die Merkel’sche Anything-goes-Ära neigt sich spürbar dem Ende zu. Wir erkennen eine Bundeswehrsoldatin, die konzentriert auf einen Bildschirm blickt und dabei aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Minecraft gegen den auf der linken Bildhälfte von hinten zu sehenden Kapuzenpulliträger spielt. Wer soll das sein? Ein russischer Hacker? Ein Islamist, der sich gerade im Internet Bombenbaupläne herunterlädt? Die Tarnfleck-Lady wird dem Treiben mit ihrer Computermaus bestimmt einen Riegel vorschieben! Dass Sicherheit „nicht selbstverständlich“ ist, fällt der einstigen Law-and-Order-Partei allerdings reichlich spät ein, wenn man mal auf den tatsächlichen Zustand der Bundeswehr, der deutschen Nachrichtendienste und auf die Folgen der illegalen Migration schaut. „Unser Europa steht für Recht und Ordnung“, behauptet die CDU einfach mal ganz keck. Das Gegenteil ist zwar richtig, aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.
 

AfD:
So viel Kunst war selten auf einem Wahlplakat: Das Gemälde „Der Sklavenmarkt“ des französischen Künstlers Jean-Léon Gérôme entstand um das Jahr 1866 und dient der AfD anno 2019 zur Illustration dafür, wie es schon bald in „Eurabien“ aussehen könnte: Ein paar lüsterne Orientalen, die gerade dabei sind, eine zum Verkauf stehende, hellhäutige Frau zu mustern. Ganz oben rechts befindet sich der Hinweis, die Darstellung sei Teil der AfD-Serie „Aus Europas Geschichte lernen“. Warum die Haushistoriker der Alternative für Deutschland an der einen oder anderen Stelle ihr Wissen nochmal auffrischen sollten, wurde soeben ausführlich im Kunstmagazin Monopol erläutert. Zumindest in Berlin scheinen die AfD-Plakate viele Sprayer anzulocken, hier ein Beispiel von der Otto-Suhr-Allee. „FCK“ steht mutmaßlich weder für den 1. FC Kaiserslautern noch für den 1. FC Köln; eine Aufforderung zum Geschlechtsverkehr wirkt im Zusammenhang mit dem erotisch aufgeladenen Bildsujet allerdings mindestens genauso irritierend.
 

Die Linke:
Ein einprägsames Symbolbild und zwei klare Botschaften. Während die anderen Parteien mit kryptischen Sprüchen oder höchst interpretationsbedürftigen Bildern herum schwurbeln, bezieht Die Linke unmissverständlich Position. Deren Inhalte kann man ablehnen oder nicht, aber es handelt sich immerhin um politische Statements, wie sie eigentlich für Wahlkämpfe selbstverständlich sein sollten. Ein bisschen seltsam mutet allerdings das dreieckige I-Tüpfelchen im Parteilogo an: Der Pfeil deutet nämlich nach hinten und könnte so als Zeichen für die Rückwärtsgewandtheit von Die Linke interpretiert werden. Das wäre zwar nicht ganz verkehrt, entspricht aber bestimmt nicht dem Selbstverständnis dieser Partei.
 

SPD:
Der SPD-Hashtag #EUROPAISTDIEANTWORT hat erwartungsgemäß schon viel Spott nach sich gezogen, weil es an der entsprechenden Frage mangelt. Ich interpretiere die Sozialdemokraten einfach mal so, dass „Europa“ aus ihrer Sicht die Antwort auf so ziemlich alles ist. Hier von hinten zu sehen sind mutmaßlich Teilnehmer einer „Pulse of Europe“-Kundgebung in der Bankenstadt Frankfurt am Main. Die Europa-Mütze und eine als Umhang getragene Europa-Flagge erinnern allerdings eher an Fußballfans denn an eine klassische Friedensdemo; insofern muss man eine Text-Bild-Schere konstatieren. Ein anderes Motiv aus der SPD-Kampagne zeigt junge Menschen auf Picknickdecken mit Blick auf den Eiffelturm, vor dem groß das Wort „Miteinander“ prangt. Das ist die klassische Wohlfühl-Ästhetik von Fremdenverkehrsämtern; für eine angeblich inhaltegetriebene Partei wie die SPD ist es allerdings ein bisschen wenig. Auch der Slogan „Kommt zusammen!“ passt eher zu einem Swingerclub als zu einer politischen Kraft. Die Sozialdemokraten scheinen ihr Heil in der Beliebigkeit zu suchen.
 

Die Grünen:
Wunderbar! Besser als mit diesem Spruch lassen sich die grünen Allmachtsphantasien nicht auf den Punkt bringen. Eine selbstbewusst dreinblickende Parteichefin, die ihre Hände resolut auf die Hüften stemmt und dabei verkündet, dass sie „den Planeten retten“ will. Als Berliner würde man fragen: „Haben Sie es nicht auch eine Nummer kleiner?“ Nein, haben sie nicht, denn das Duo Baerbock/Habeck sind die neuen Erlöserfiguren der deutschen Politik. Zumindest laut der meisten Medien, und wenn es so schon in allen Zeitungen steht, warum sollen sie nicht auch Werbung damit machen? Zwar kandidieren weder Annalena Baerbock noch Robert Habeck fürs Europaparlament, aber egal. Hauptsache sie „bauen das neue Europa“, retten den Planeten und fangen „mit diesem Kontinent“ an. Unbedarfte Gemüter könnten angesichts dieser Hybris an das alte Soldatenlied von wegen „Heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt“ denken, aber den Grünen geht es selbstverständlich um die gute Sache. Doch warum muss eigentlich in Europa anfangen, wer die Welt retten will? Warum nicht in Asien oder in Amerika? Ist dieser Spruch in Wahrheit nicht mindestens eurozentrisch wenn nicht gar rassistisch? Weshalb wird Afrikanern das Recht abgesprochen, den Planeten zu retten? Und was meinen die Grünen überhaupt mit dem „neuen Europa“, das es zu bauen gilt? Wenn politischer Wahn und Katjes-Werbung zusammenfinden, dann kommt so etwas wie die aktuelle Grünen-Kampagne dabei heraus.
 

Rätselhaft:
Dieses Schild steht in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Europawahlplakaten der etablierten Parteien in zentraler Lage auf dem Berliner Ernst-Reuter-Platz. Zu erkennen sind drei chinesisch aussehende Aktivistinnen, von denen eine mit einer riesigen Klobürste bewaffnet zu sein scheint. „keine angst“ lautet die Überschrift, der Spruch darunter: „wie das prekärsein ist auch das gemeinsame nichts immer schon bestehendes, auf das zurückgegriffen werden könnte; es ist vielmehr etwas, das im politischen handeln erst hergestellt wird“. Ich muss gestehen, dass sich mir der Sinn auch nach mehrfachen Lesen nicht erschließt; dem Duktus und der Kleinschreibweise nach zu schließen dürfte es sich um irgendetwas Linkes handeln. Als Autorin des verquasten Satzes wird auf dem Plakat eine gewisse „isabell lorey“ genannt, allem Anschein nach Inhaberin einer Professur für „Queer Studies in der Wissenschaft und den Künsten“ an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Der Bezug zur Europawahl erschließt sich auf den ersten Blick nicht, aber das ist bei der klassischen Wahlwerbung der meisten Parteien ebenso wenig der Fall. Sollte „isabell loreys“ Plakat also als künstlerische Kritik an inhaltsleeren Partei-Slogans gemeint sein, hat sie voll ins Schwarze getroffen.
 

Fotos: Alexander Marguier

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