Wählen und wählen lassen – Die Kolumne zur Bundestagswahl - Küsst die Faschisten

In Sachsen hat ein Verwaltungsgericht einer rechtsextremen Partei erlaubt, Plakate mit menschenverachtenden Inhalten zu plakatieren. Keine Frage: Das geht gar nicht! Doch neben angebrachter Empörung wäre es jetzt Zeit für Selbstkritik.

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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Mal ehrlich, könnten Sie einen Skinhead liebkosen? Könnten Sie ihn innig herzen und seine Glatze mal so richtig knutschen? Einem historisch oder zumindest weitestgehend herzensgebildeten Menschen muss bei dieser Vorstellung schlicht der Atem stocken. Klar, Kurt Tucholsky hat das mal so in den Raum geworfen: „Küsst die Faschisten“, hat der wohl hintersinnigste Schelm der Weimarer Republik einst in einem Lied gefordert: „Ihr müsst sie lieb und nett behandeln, erschreckt sie nicht – sie sind so zart.“ Aber das war natürlich Ironie. Kein Mensch, der einigermaßen bei Trost ist, würde je mit einem Nazi scharwenzeln. Eher schon hält man es mit der Satirepartei Die Partei: Manch einer lacht, wenn an den Laternenpfeilern der Republik dann und wann mal ein Plakat auftaucht, auf dem in weißen Lettern „Hier könnte ein Nazi hängen“ steht.

Derartige Platzhalter für die latente Wut in Anbetracht des wachsenden Rechtsextremismus sind weit eher verständlich. Und ich gebe zu, ich habe auch gelacht, als ich das Plakat der Partei Die Partei, das inzwischen sogar hochrichterlich als Satire anerkannt wurde, jüngst im Straßenwahlkampf wiederentdeckte. Manch ein Demokrat mag bei dem schnell eingeheimsten Lacher zwar etwas Bauchschmerzen bekommen. Doch was soll es: Was darf die Satirepartei? Alles! So oder ähnlich hatte es doch einst auch der eingangs erwähnte Kurt Tucholsky niedergeschrieben. Warum also unpäpstlicher sein wollen als der Satirepapst?

Verstoß gegen die Menschenwürde

Die Partei „Der Dritte Weg“ ist übrigens keine Satirepartei. Wahrlich nicht! Bereits 2014 hat der Verfassungsschutz einen eindeutigen Einfluss von Neonazis in der ein Jahr zuvor von einem einstigen NPD-Funktionär gegründeten politischen Vereinigung festgestellt. Ein Jahr darauf hat selbiger Inlandsgeheimdienst darauf hingewiesen, dass eine Mehrheit der gut 600 Mitglieder als höchst gewaltbereit einzustufen sei. Wenn eine solche Partei, wie jetzt im sächsischen Zwickau geschehen, ein Plakat klebt, auf dem in weißen Lettern auf grünem Grund „Hängt die Grünen auf!“ steht, dann ist das alles andere als witzig. Niemand, dem diese Demokratie auch nur annähernd am Herzen liegt, kann in Anbetracht eines solchen Aufrufs zu Mord und Gewalt seine Mundwinkel um auch nur Millimeterbreite in die Länge ziehen. 

Das Plakat ist – so hat es glücklicherweise auch die Stadt Zwickau gesehen – ein Verstoß gegen die Menschenwürde und Volksverhetzung. Die rechtsradikale Partei Der Dritte Weg wurde daher aufgefordert, die Wahlwerbung umgehend zu entfernen. Doch das Verwaltungsgericht Chemnitz sah das jetzt anders. Am Dienstag hat das Gericht einem Eilantrag der Partei zugestimmt und erlaubt, dass die Plakate unter bestimmten Voraussetzungen hängenbleiben dürften.

Schlechte Witze

Die Entscheidung ist zwar noch nicht rechtskräftig, dennoch hat die Stadt Zwickau schon jetzt Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Bautzen eingelegt, und auch Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, hat angekündigt, rechtlich gegen das Chemnitzer Urteil vorzugehen. „Aufforderungen zu Gewalt haben in unserem Land nichts verloren“, sagte Kellner in Reaktion auf das Urteil.

Keine Frage: Kellner hat recht – ohne Punkt, ohne Komma und ohne irgendeinen weiteren Zusatz. Auch den hier folgenden sollte ich mir sparen. Und dennoch drängt sich mir eine Frage auf: Was eigentlich ist mit den schlechten Witzen und all den Aufforderungen zur unangebrachten Belustigung? Ist es etwa legitim, einen Schenkelklopfer zu erzielen, schlicht dadurch, dass man einen Nazi-Platzhalter am nächstbesten Laternenmast aufhängt – nur um sich dann im weiteren Schritt darüber zu wundern, dass die mörderische Strategie eines schlechten Tages vom rechten Mob kopiert wird? Klar, Humor schafft Luft! Schlechter Humor indes könnte irgendwann dazu führen, dass Demokratie, Aufklärung und Humanismus am Ende die gewonnene Luft wieder abgeben müssen. Vielleicht war Tucholskys Strategie dann doch besser: Küsst die Faschisten! Das nämlich mögen die überhaupt nicht.

 

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