Wahlkampf in Berlin - Eine einzige Farce

In Berlin wird in vier Wochen gewählt, doch der Wahlkampf ist eine Zumutung. Der Ausgang steht längst fest. Die Wahl ist das letzte Aufgebot eines Parteiensystems, das längst erodiert ist

Bunte Plakate, wenig Inhalt. Das Motto des Berliner Wahlkampfes / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Vielleicht liegt es ja an den Sommerferien. Berlin ist voll von Touristen, die achtlos an den vielen bunten, aber inhaltsleeren Wahlplakaten vorbeilaufen. Berliner hingegen liegen am Strand, an der Ostsee oder auf Mallorca. Vielleicht liegt es an dem ausgelaugten politischen Personal, das sich aus vielen Kungelrunden bestens kennt. Oder haben die dramatischen Umbrüche im bundesdeutschen Parteiensystem die Wahlkämpfer in der Hauptstadt in eine Art politische Schockstarre versetzt?

Es gibt mehr als genug zu tun

In einer Stadt, die so selbstverliebt links und so selbstverständlich cool ist, dass niemand merkt, wie die Stimmung kippt, werden den Populisten von der AfD die Wähler in die Arme getrieben. Die Aggressionen nehmen zu, die Egoismen auch. Trotzdem tun alle politisch Verantwortlichen so, als könne man Wahlkampf machen wie immer und sei es als Farce. Vielleicht liegt es auch daran, dass längst festzustehen scheint, wer die Stadt in den kommenden vier Jahren regieren wird. 

Die Qual dauert noch vier Wochen. Am 18. September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Aber selten war ein Wahlkampf in der Stadt langweiliger, selten waren die Wahlkämpfer uninspirierter. Von den Herausforderungen, vor denen die Stadt steht, ist kaum die Rede. Von der Stadt, die wächst, schon bald vier Millionen Einwohner haben könnte und deshalb neue Wohnungen, neue Schulen und neue Straßenbahnen braucht. Von den neuen sozialen Konflikten, die eine wachsende Stadt heraufbeschwört, die ja auch eine engere Stadt sein wird. Vor allem dann, wenn zugleich zehntausende Flüchtlinge integriert werden müssen.

Probleme werden totgeschwiegen und Chancen ignoriert

Nicht, dass es keine Konzepte gäbe, keine Visionen oder keine Ideen. Wahlkampf in Berlin könnte spannend sein, denn erstmals seit zwei Jahrzehnten bieten sich der Stadt wieder Perspektiven, Zukunftschancen. Die Wirtschaft boomt, die Zahl der Arbeitslosen sinkt, Geld für Investitionen ist auch da. Aber in einem ehrlichen Zukunftswahlkampf müssten die Parteien auch ein paar unbequeme Botschaften präsentieren.

Etwa jene, dass billige Mieten schnell zu versprechen, aber schwer zu machen sein werden. Oder auch, dass die eine oder andere Brachfläche der Stadt bebaut werden muss. Auch wenn dort Fledermäuse heimisch geworden sind. Den Autofahrern müsste man sagen, dass sie die Straßen nicht allein für sich haben, seit der Fahrradverkehr in der Stadt explodiert. Der Rückbau von Straßen zugunsten von Fahrradwegen dürfte in Berlin schon bald genauso auf der politischen Agenda stehen wie eine Citymaut. Mit dem liberalen Bürgertum der Stadt wird man indes in den Dialog darüber treten müssen, dass die Integration von Migranten mehr kostet als eine Spende an die Kleiderkammer des Flüchtlingsheims. Und sich Ghettos nur verhindern lassen, wenn sie Flüchtlingsunterkünfte auch in der eigenen Nachbarschaft akzeptieren und die Schulen ihrer Kinder nicht länger nur danach auswählen, wie niedrig die Ausländerquote ist.

Doch keine Partei traut sich, die Zukunft der Stadt im Wahlkampf in den Blick zu nehmen. Stattdessen lässt der Regierende Bürgermeister Plakate aufstellen, die ästhetisch zwar ein Hingucker sind, aber eine für den Wähler durchaus wichtige Information verschweigen: seine Parteizugehörigkeit. „Müller, Berlin“ heißt die Zeile dazu. Das soll bescheiden klingen, den Wählern signalisieren „Ich bin einer von euch“. Zugleich ist es aber eine Selbstdistanzierung von der SPD und von der Parteiendemokratie insgesamt. Die Parteien werfen mit Worten wie „bunt“, „gradlinig“ oder „stark“ um sich, als ließe sich mit Adjektiven die Welt retten. Und die Berliner CDU feiert das Teil-Burka-Verbot schon als Sieg des Rechtsstaats, dabei macht die peinliche Symbolpolitik nur die AfD stark. Sie liegt in Umfragen bei 15 Prozent.

Rot-rot-grün ist die einzig denkbare Koalition

Das Kernproblem dieses langweiligen Berliner Wahlkampfes ist allerdings der Mangel an personellen Alternativen. Niemand fordert die Sozialdemokraten heraus, jene Partei, die in dieser Stadt seit 1989 ununterbrochen regiert und seit 15 Jahren den Regierenden Bürgermeister stellt. Keine Partei, außer der SPD, will diese Wahl wirklich gewinnen. Die CDU, die Grünen und auch die Linken bewerben sich alle lediglich um die Rolle des Juniorpartners.

Die CDU hat mit Frank Henkel einen Bürgermeisterkandidaten aufgestellt, der als Innensenator in den vergangenen fünf Jahren hinreichend bewiesen hat, dass er die Stadt nicht regieren kann. Nicht einmal die eigenen Parteifreunde trauen ihm das zu, zumal er die Grünen als möglichen Koalitionspartner nachhaltig verprellt hat. Die Grünen wiederum haben vorsichtshalber gleich vier Spitzenkandidaten nominiert, damit wirklich kein Wähler auf die Idee kommt, die Partei wolle stärkste Kraft werden und den Regierenden Bürgermeister stellen. Selbst das in Wahlkämpfen sonst so beliebte Wer-mit-wem-Spiel wirkt deshalb ziemlich schal.

Alle Wahlkämpfer wissen, dass die Entscheidung für ein rot-rot-grünes Bündnis längst gefallen ist. Das Verhältnis von SPD und CDU gilt nach fünf Jahren Großer Koalition als zerrüttet, zugleich kommen beide Parteien in aktuellen Umfragen zusammen auf nur noch 41 bis 43 Prozent der Stimmen. Auch für Rot-Grün wird es nicht reichen.

Die Parteien kapitulieren und das hat Folgen

Kommt es so, werden SPD, Grüne und Linke ihren Wahlsieg als Triumph der solidarischen Stadtgesellschaft feiern und als politisches Signal für die Bundestagswahl 2017. Dabei wäre das Bündnis der drei Parteien in Wirklichkeit das letzte Aufgebot eines Parteiensystems, dass längst erodiert ist und deren letzte Legitimation es ist, die AfD von der Macht fernzuhalten. Ein Blick auf Nachbarländer wie die Niederlande, Dänemark oder Österreich zeigt: Auf Dauer wird das nicht gut gehen.

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