Wahlkampf-Endspurt der SPD - Kurz vorm Kolbenfresser

Die SPD wird bei dieser Bundestagswahl wohl die dritte schlimme Niederlage in Folge einfahren. Zuvor aber dreht die Parteispitze nochmal richtig auf und greift verzweifelt zu den letzten Mitteln. Innerparteilich aber bestimmt längst eine andere Frage die Debatte

Die Argumente, die Schulz und Gabriel kurz vorm Wahltag ins Feld führen, riechen stark nach Panik / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Früher kannte man das vom Mofa. Und bei der Fichte gibt es ein ganz ähnliches Phänomen. Das Mofa, fester Bestandteil (m)einer glücklichen Achtziger-Jahre-Jugend, drehte nochmal besonders hoch und fuhr noch mal besonders schnell kurz vor dem Kolbenfresser. Und „Angsttriebe“ nennt man bei den Koniferen jenes geile Austreiben, das kurz vor dem Absterben des Baumes eintritt.

Nahender Kolbenfresser, Angsttriebe: Wähle ein jeder die Metapher, die seiner Vorstellungswelt entspricht. Jedenfalls legt die SPD in den letzten Tagen vor der Bundestagswahl ein Verhaltensmuster eben dieser finalen Kategorie an den Tag.

Die Verzweifelten

So etwa Sigmar Gabriel, Ex-Parteichef, der Martin Schulz die Kandidatur und den Parteivorsitz überlassen hat. Er dreht nochmal voll auf und wirft der Kanzlerin vor, über ihre Fürsorge für die vielen Flüchtlinge diejenigen zu benachteiligen, die im Merkel-Sprech „schon länger hier leben“. Und Martin Schulz prangert hohe Mieten an und bedauert das Versagen der sogenannten Mietpreisbremse.

Das Problem ist nur: Das eine, Merkels Flüchtlingspolitik, haben die Sozialdemokraten in der akut-brenzligen Phase 2015/2016 mitgemacht. Das andere, die Mietpreisbremse, in Person des zuständigen Justizministers Heiko Maas sogar aktiv betrieben und verantwortet.

Nun könnte man in einem strategisch gut geplanten Wahlkampf auch gegen diese beiden Einwände eine wasserfeste Argumentation aufbauen. Aber nicht hundert Stunden bevor die Wahllokale schließen damit um die Ecke kommen. Das sieht nach Panik aus und riecht auch so.

Schlimmer geht nimmer?

Zu den weniger gewagten Aussagen zum Ausgang dieser Bundestagswahl gehört die Prognose, dass die SPD die dritte schlimme Niederlage in Folge einfahren wird. Nach 23 Prozent mit Frank-Walter Steinmeier 2009 und 25,7 Prozent mit Peer Steinbrück 2013 sind die bisherigen Tiefpunkte markiert, was nicht heißt, dass diese nicht noch unterboten werden können.

Ein Kandidat, bei dem viele Wähler alsbald an der Kanzlertauglichkeit zweifelten, und ein wirrer Themenmix führen aller Wahrscheinlichkeit nach zu diesem Ergebnis. Bleiben wird von Martin Schulz ein kurzer Höhenflug, der eine Ahnung davon gegeben hat, was drin gewesen wäre. Mit einem überzeugenderen Kandidaten und einem eigenständigen Programm in früher Abgrenzung von der Amtsinhaberin.

Die verpasste Chance

Um wenigstens die „2“ vorne im Ergebnis zu halten, greifen Schulz und Gabriel verzweifelt zu den letzten Mitteln. Wovon die SPD hingegen im gesamten Wahlkampf nie Gebrauch gemacht hat: Den Unmut an der Kanzlerin als Wasser auf die eigenen Mühlen zu lenken. Es sei die These gewagt, dass Parteien, die eine Koalition (und damit die Hilfe zum Erhalt von Merkels Kanzlerschaft) mit der Union abgelehnt (Linke und AfD) oder streng konditioniert haben (FDP) mit einem relativ starken Ergebnis abschneiden werden. Wohingegen jene, die das nicht tun (Grüne, SPD), mutmaßlich gerupft aus dieser Wahl herausgehen werden.

Die SPD könnte schon deshalb auch ein „Nein“ zu einer dritten Koalition unter Merkel aussprechen, weil sie am Ende an einem Mitgliederentscheid nicht vorbeikommt und die Stimmung an der Parteibasis nicht danach aussieht, dieser dritten Großen Koalition unter Merkel das Jawort zu geben. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass die konkrete Aussicht auf einen Anteil an der Macht am Ende immer einen großen Magnetismus auslöst: Fast 76 Prozent gültiger Stimmen bei einer Beteiligung von 78 Prozent der Mitglieder gaben ihrer Partei vor vier Jahren das Placet. Und vorher war auch viel vom Widerwillen dagegen zu lesen gewesen.

Die neue Chance

Doch nach weiteren vier Jahren (und einem weiteren Absinken) ist ein Argument, das vielen neu zu denken geben wird, vielleicht noch stärker: Kann es nicht vielleicht sein, dass ein Wiederaufbau aus der Opposition heraus größere Aussicht auf ein Erstarken bietet als ein Dasein als kleinerer Koalitionspartner?

Wer mit Sozialdemokraten dieser Tage spricht, merkt, dass diese Frage schon jetzt die innerparteiliche Debatte bestimmt. Ein geschwächter Martin Schulz wird sich viel schwerer tun als ein Parteichef Sigmar Gabriel, der die Wahlniederlage wenigstens nicht persönlich als Kandidat zu verantworten hätte.

Lesen Sie weitere Texte zur Bundestagswahl im Cicero-Dossier.

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