Wahlkampf 2017 - Alle auf Sicherheit

Kolumne: Leicht gesagt. Innere Sicherheit wird das entscheidende Thema des Bundestagswahlkampfes sein. Dabei sind sich alle Parteien seltsam einig in den Positionen. Das ist eine Chance für die Regierungsparteien. Sie müssen bis zum Wahltag zeigen, dass sie ihren Worten auch Taten folgen lassen

Innenminister de Maizière und Justizminister Maas haben sich auf schärfere Gesetze verständigt / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Die ersten zwei Wochen dieses großen Wahljahres haben eines ganz klar gezeigt: Angela Merkels bewährte Wahlkampftaktik ist passé. 2009 wie 2013 gelang ihr der weitgehend streitlose Durchmarsch zur Macht dank der „asymmetrischen Demobilisierung“. So bezeichnen Politikwissenschaftler die Taktik, die Gegnerschaft klein zu halten, indem kontroverse Themen gemieden werden.

2017 wird die „asymmetrische Demobilisierung“ ins Gegenteil verkehrt. Begonnen hat das Wahljahr der „symmetrischen Mobilisierung“. Symmetrisch, weil alle, linke wie rechte Parteien, geradezu spiegelgleich in eine Richtung steuern. Weil es das eine Thema ist, das alle mobilisiert: Innere Sicherheit.

Alle Parteien wollen dasselbe

Die CSU machte den Auftakt mit  ihrer Klausur in Seeon. Die CDU fuhr ihr in die Parade, indem Innenminister Thomas de Maizière Sicherheitsgesetze ankündigte, die verschärft und teils ganz neu geschaffen werden sollten. Vor allem sein Vorschlag, den Verfassungsschutz ganz in die Hände des Bundes zu legen, sorgte für – wohlkalkulierten – Wirbel. Und auch die SPD beansprucht die Innere Sicherheit als ihr angeblich ureigenes Thema. Parteichef Sigmar Gabriel versucht, die Vorschläge der Union als „Scheinlösungen“ abzutun und ruft seinerseits zu einem „Kulturkampf“ gegen den Islamismus auf.

Bei der Opposition sieht es ähnlich aus. Die Grünen wie auch die FDP gaben sich auf ihren jeweiligen Neujahrsklausuren als Rufer nach mehr Sicherheit und Überwachung durch den Staat. Die AfD ist hier seit Langem eindeutig positioniert. Sogar Sahra Wagenknecht von den Linken will der rechten Konkurrenz Wähler abfischen, indem sie mehr innere Sicherheitsmaßnahmen fordert.

Zuzug 2016 entspricht in etwa der geforderten Obergrenze

Bei der ersten Kabinettssitzung in diesem Jahr war Erleichterung zu spüren. Denn de Maizière konnte einen drastischen Rückgang der Zahl der Asylsuchenden verkünden: „Die Maßnahmen der Bundesregierung entfalten ihre Wirkung. Es ist gelungen, das Migrationsgeschehen zu ordnen, zu steuern und die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, zu begrenzen.“ Nach 890.000 Asylsuchenden 2015 habe die Zahl 2016 bei 280.000 gelegen. Diese Zahl wäre noch niedriger, so de Maizière, wenn das Türkei-Abkommen nicht erst im März gegriffen hätte. Aber auch, wenn die Balkanroute früher geschlossen worden wäre.

Zöge man den starken Zuzug des ersten Quartals 2016 ab, dann ergäbe sich tatsächlich eine politisch hochbrisante Zahl: etwa 200.000 Asylsuchende. Das entspräche der Obergrenze, die von der CSU vehement gefordert wird. Zudem ist auch die Zahl derer gestiegen, die Deutschland verlassen. 2016 gingen 55.000 freiwillig, abgeschoben wurden 25.000. Damit wäre die magische CSU-Zahl sogar weit unterschritten.

Der Bundesinnenminister weiß um das Politikum, vermied es aber wohl gerade deshalb, diese Rechnung aufzumachen. Er sagte, dass 280.000 eine im europäischen Vergleich noch immer außergewöhnliche Anzahl an Schutzsuchenden sei, um die sich Deutschland kümmere. Zwischen den Zeilen heißt das: Es sollten und würden – da die Maßnahmen nun griffen – weniger werden.

Schaukampf zwischen den Schwesterparteien

Die Obergrenze ist also faktisch erreicht, der politische Kampf darum Schau – und zwar von beiden Seiten. Die CSU fordert die Obergrenze, um rechts der Mitte nicht weiter Wähler zu verlieren. Die CDU verweigert sich, um links der Mitte jene Wähler zu halten, die in Merkel noch immer die Flüchtlingskanzlerin sehen. Die aber ist sie längst nicht mehr, wie die jüngsten Zahlen zeigen. Ihre Politik setzt darauf, die Außengrenzen dicht zu bekommen. Inzwischen lässt sie ihren Innenminister sogar die Schließung der Balkanroute loben, etwas, wofür sie vor einem Jahr noch die südosteuropäischen Regierungen kritisiert hatte.

Der Attentäter Anis Amri mit dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz zeigt allerdings, dass Gefährder wie er längst in Deutschland sind. Terroristen wie ihn hätte selbst eine nationale Grenzschließung 2015 nicht mehr draußen gehalten. Schlimmer noch: Mehrfache Identitäten und damit Sozialbetrug in hohem Maße sind schon lange bei uns möglich.

Taten zählen

Deswegen dürfen nun nicht Worte und symbolische Forderungen zählen, sondern nur konkrete Maßnahmen. Immerhin scheinen Union und SPD das auch so zu sehen: Als Konsequenz aus dem Anschlag haben sich de Maizière und Justizminister Heiko Maas auf schärfere Gesetze verständigt. Gefährder sollen künftig leichter in Abschiebehaft genommen und auch ohne eine Verurteilung mit einer elektronischen Fußfessel ausgestattet werden können. Für ausreisepflichtige Asylbewerber, die über ihre Identität täuschen, wird eine verschärfte Residenzpflicht eingeführt. Sogar die Oppositionsparteien, namentlich die Grünen, stimmen dem grundsätzlich zu.

Natürlich werden alle Parteien weiter miteinander streiten, das gehört zur demokratischen Kultur. Doch vor allem müssen sie im Bund und in den Ländern miteinander das Land tatsächlich sicherer machen. Das ist die Chance für die etablierten Parteien, sich zu beweisen. Sie nicht zu nutzen, wäre fatal.

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