Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern - Christdemokraten im Schockzustand

Die AfD triumphiert, die CDU erleidet eine historische Wahlniederlage. Die SPD feiert trotz Verlusten. Bundespolitische Themen haben die Wahl entschieden, die Parteien der Großen Koalition stehen vor unruhigen Monaten

Selbst in ihrem eigenen Wahlkreis auf Rügen wenden sich die Wähler von Angela Merkel ab / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

So erreichen Sie Christoph Seils:

Anzeige

Was für ein Wahlergebnis bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Historisch wird man es wohl nennen müssen.

Die AfD triumphiert. Die Rechtspopulisten sind der einzige Sieger an diesem Wahlsonntag. Sie holen aus dem Stand mehr als 20 Prozent der Stimmen. Die CDU stürzt in der Wählergunst auf Platz drei ab. Auch die Linke erlebt ein Debakel. Die Protestwähler sind weitergewandert. Die SPD bleibt trotz Verlusten stärkste Partei. Ministerpräsident Erwin Sellering wird im Amt bleiben, auch die Zusammenarbeit mit den Christdemokraten wird er fortsetzen können, so wie er es im Wahlkampf angekündigt hat. Allerdings hat nur noch jeder zweite Wähler in Mecklenburg-Vorpommern eine der beiden großen Parteien gewählt, zusammen haben SPD und CDU ersten Hochrechnungen zufolge zwischen 8 und 10 Prozentpunkte verloren. Man wird eine solche Landesregierung eine Koalition der Verlierer nennen müssen, eine rot-schwarze Notgemeinschaft.

Niederlage der Kanzlerin

In Berlin sollten jetzt vor allem bei den Christdemokraten die Alarmglocken läuten. Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel steht unter Druck. Die Niederlage der CDU in Mecklenburg-Vorpommern ist ihre Niederlage. Nicht deshalb, weil sie den Nordosten zu ihrer politischen Heimat gemacht und auf Rügen ihren Bundestagswahlkreis hat. Sondern weil viele Wähler die Landtagswahl nutzten, um mit der Politik der Bundesregierung und vor allem mit Merkels Flüchtlingspolitik abzurechnen. Abwiegeln hilft nicht.

Natürlich: Man kann Mecklenburg-Vorpommern für ein kleines, unbedeutendes Bundesland halten. 1,3 Millionen Wahlberechtigte sind nicht viel im Vergleich zu Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, den großen Flächenländern im Westen, wo Landtagswahlen zugleich kleine Bundestagswahlen sind. Man kann darauf verweisen, dass die Wähler im Osten schon immer unberechenbarer waren und die Neigung zur Protestwahl dort schon seit mehr als zwei Jahrzehnten groß ist. Wahlkampf ist zudem eine Herausforderung in dem dünn besiedelten Flächenland.

Bundespolitik hat die Wahl entschieden

Aber all das erklärt das Desaster der Christdemokraten nicht einmal im Ansatz. All das erklärt nicht den Absturz der CDU von 23 Prozent auf unter 20 Prozent. Nur zwei Mal in der Geschichte der Bundesrepublik schnitt die CDU bei einer Landtagswahl in einem Flächenland schlechter ab, 1950 in Hessen und 1994 in Brandenburg. All das erklärt nicht, warum vor allem die CDU so viele Wähler in Mecklenburg-Vorpommern an die AfD verloren hat. Zumal die wirtschaftliche Entwicklung in dem Land in den vergangenen Jahren gut war, Mecklenburg-Vorpommern nur etwa 20.000 Flüchtlinge aufnehmen musste und es unter den Wählern eigentlich keine Wechselstimmung gab.

Es ist völlig klar. Die Bundespolitik hat die Wahl entschieden. Mecklenburg-Vorpommern war ein Stimmungstest für die Große Koalition in Berlin. Deren Politik macht die AfD stark, der Unmut über die politischen Eliten ist groß, das Land ist gespalten. Vier von fünf Wählern der AfD gaben in Umfragen vor der Wahl an, für sie sei das Thema Flüchtlinge wahlentscheidend gewesen.

Denkzettel auch für die SPD

Die Christdemokraten befinden sich an diesem Sonntag im Schockzustand. Hilflos erklären führende Repräsentanten der Partei, man wolle die eigene Politik fortan besser erklären. Zugleich warnen sie vor Personaldebatten. Doch die Unruhe in der Partei, die sich wie keine andere über die Macht definiert, wird zunehmen, zumal es die CSU nicht wird lassen können, weiter gegen die CDU und gegen Angela Merkel zu sticheln. Die Zweifel an der Kanzlerin werden in der Union zunehmen. Die Union steht vor schwierigen innerparteilichen Debatten.

Aber auch für die Sozialdemokraten gibt es überhaupt keinen Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Auch der SPD haben die Wähler in Mecklenburg-Vorpommern einen Denkzettel verpasst. Schließlich hat die Partei insgesamt mehr Wähler verloren als die CDU, davon sind viele zur AfD abgewandert.

In einem Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt. Im September 2017 müssen die Große Koalition und Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Wähler treten. Zwei Trends gehen von den vier Landtagswahlen dieses Jahres aus, nicht nur von der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch von den drei Landtagswahlen im Frühjahr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

Zwei Trends: Flüchtlingspolitik treibt der AFD Wähler in die Arme, Amtsinhaber werden bestätigt

Erstens treibt die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition treibt der AfD viele Protestwähler in die Arme. Nach Lage der Dinge wird diese im kommenden Jahr auch in den Bundestag einziehen. Kann sich die AfD auch bundespolitisch etablieren, wird dies die Republik und die Parteiendemokratie grundlegend verändern. Die Christdemokraten geraten politisch von rechts unter Druck, die Zentrifugalkräfte in der Union werden zunehmen. Die CDU könnte in eine Existenzkrise schlittern.

Zweitens stärken die Wähler in diesen politisch schwierigen Zeiten den Amtsinhaber. Alle vier Ministerpräsidenten konnten in diesem Jahr ihre Macht verteidigen, egal ob sie von den Grünen, der CDU oder der SPD kamen. Das verheißt bei der Bundestagswahl 2017 für die SPD nichts Gutes. Die Parteien der Großen Koalition stehen vor unruhigen Monaten.

 

Zu diesem Artikel gibt es eine Umfrage
Cicero arbeitet mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Civey erstellt repräsentative Umfragen im Netz und basiert auf einer neu entwickelte statistischen Methode. Wie das genau funktioniert, kann man hier nachlesen. Sie können abstimmen, ohne sich vorher anzumelden.
Wenn Sie allerdings  direkt die repräsentativen Ergebnisse – inklusive Zeitverlauf und statistische Qualität – einsehen möchten, ist eine Anmeldung notwendig. Dabei werden Daten wie Geburtsjahr, Geschlecht, Nationalität, E-Mailadresse und Postleitzahl abgefragt. Diese Daten werden vertraulich behandelt, sie sind lediglich notwendig, um Repräsentativität zu gewährleisten. Civey arbeitet mit der Hochschule Rhein-Waal zusammen.

Anzeige