Wählen schon ab 16? - „Eine Absenkung des Wahlalters würde keine Wahl umwerfen“

Im Zuge der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP werden Forderungen lauter, das Wahlalter bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre abzusenken. Der Demoskop Hermann Binkert sieht gute Argumente sowohl für als auch gegen eine Absenkung. Gleichwohl hätte die nötige Verfassungsänderung vor allem Symbolwert. Denn auf künftige Wahlergebnisse wäre der Einfluss marginal.

Junge Grüne bei einem Wahlkampftermin von Annalena Baerbock im September / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Hermann Binkert, Jahrgang 1964, ist ehemaliger Politiker und seit 2011 Geschäftsführer des Markt- und Sozialforschungsinstitutes Insa-Consulere. Binkert ist Mitglied der CDU. 

Herr Binkert, warum haben die Erstwähler aus Ihrer Sicht vor allem Grüne und FDP gewählt?

Wir stellen vor allem ein völlig unterschiedliches Wahlverhalten der Leute unter 30 Jahren und denen über 60 Jahren fest. Über-60-Jährige wählen Union und SPD, bei den Unter-30-jährigen bekommen diese Parteien aber keinen Fuß auf den Boden. Insofern wäre eine Ampel-Koalition auch eine Chance, dass der Blick auf die generationenverbindenden Punkte zunimmt. Grüne und FDP müssten in Regierungsverantwortung auf ihre besonderen Zielgruppen der Jungen achten.

Woran liegt dieses unterschiedliche Wahlverhalten? Klimaschutz zum Beispiel ist ja nicht zwangsläufig eine Generationenfrage.

Die jungen Wähler stellen fest, dass FDP und Grüne ihre Themen pointierter und moderner behandeln. Deshalb gehen Wähler dieser Alterskohorte, die vielleicht auch Union-affin wären, zur FDP, und jene, die vielleicht auch SPD-affin wären, zu den Grünen. Modern und pointiert: Das könnten die alten Volksparteien auch, die schon deshalb ein Problem haben, Volkspartei zu sein, weil sie nicht mehr alle Altersgruppen ansprechen. Ich halte das aber für ein wesentliches Element für eine Volkspartei.

Liegt die jugendliche Affinität zur FDP und zu den Grünen auch daran, dass Christian Lindner und Annalena Baerbock eher zugetraut wird, ein Verständnis für die Themen der Jungen zu haben?

Insbesondere Christian Lindner ist jemand, der bei jungen Leuten auch weit über die FDP hinaus Akzeptanz findet. Bei den Grünen trifft das aber stärker auf Robert Habeck als auf Annalena Baerbock zu.

Derzeit wird darüber diskutiert, das Wahlalter bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre zu senken. Welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt sein?

Um das Wahlalter abzusenken, müsste die Verfassung geändert werden. Das heißt, eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag ist nötig. Die Ampel-Parteien bräuchten entsprechend die Unterstützung der Union, damit es dazu kommt.

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Welchen Einfluss hätte eine Absenkung des Wahlalters denn überhaupt auf, zum Beispiel, die nächsten Bundestagswahlen?

Ergebnisse von Wahlen würde eine Absenkung des Wahlalters nicht radikal verändern, weil wir hier nur von zwei Jahrgängen sprechen. Ob man dafür ist, das Wahlalter abzusenken, ist also auch eine stark symbolische Geschichte. Aber es würde den Blick der Parteien sicherlich wieder stärker auf die jungen Zielgruppen lenken.

Das heißt, der Einfluss wäre marginal?

Richtig. Eine Absenkung des Wahlalters würde keine Wahl umwerfen.

Bemerkenswert ist, dass eine Absenkung des Wahlalters selbst bei Menschen unter 18 Jahren nicht unbedingt eine Mehrheit hat. Woran könnte das liegen?

Zumindest unter allen Befragten gibt es keine Mehrheit für ein Wahlrecht ab 16 Jahren. Es ist sicher wichtig, über die Pro- und Contra-Argumente vor einer Entscheidung über die Absenkung des Wahlalters offen zu diskutieren. Aber am Ende entscheiden nicht Umfragen, sondern parlamentarische Mehrheiten.

Ein Argument gegen die Absenkung des Wahlalters lautet zum Beispiel, dass junge Wähler eher zu radikalen Positionen neigen.

Dieses Argument ist nicht belegt. Weder die Linke noch die AfD konnten bei den Erstwählern besonders euphorische Ergebnisse erzielen. Dass Grüne und FPD bei den Jungwählern stark sind, ist ja auch nicht unbedingt ein Beleg dafür, dass die Jungen besonders extrem wählen würden.

Hermann Binkert / Insa-Consulere

Welche zentralen Argumente sprechen also für, welche gegen eine Absenkung des Wahlalters?

Ich bin Demoskop und möchte mir die Argumente dafür und dagegen nicht zu eigen machen. Was sich aber sagen lässt: Es gibt gute Argumente sowohl für als auch gegen die Absenkung. Und es wäre sicherlich nicht der Untergang des Landes, wenn das Wahlalter abgesenkt wird. Man muss das aber trotzdem bis zum Ende denken. Ein Argument, das ich sehr gut nachvollziehbar finde, ist, dass das Wählen an den Eintritt in die Volljährigkeit geknüpft wird, weil Menschen ab 18 Jahren eben andere Rechte und Pflichten haben als Menschen, die jünger sind.

Es wird ja viel davon gesprochen, dass junge Leute – etwa durch Fridays for Future – wieder stärker politisiert werden. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen gesellschaftspolitischem Aktivismus und einem echten Interesse an Parteien und Wahlen, oder?

Wir stellen grundsätzlich fest, dass sich junge Wahlberechtigte im Verhältnis weniger an  Wahlen beteiligen als ältere Wähler. Das gilt auch für jene Landtagswahlen, bei denen schon ab 16 Jahren abgestimmt werden darf. Bei jungen Menschen sind politische Aktivitäten eben stärker projektbezogen und zeitlich begrenzt. Möglicherweise müssen das die Parteien im Blick auf ihre Angebote auch stärker berücksichtigen. 

Mal angenommen, das Wahlalter wird abgesenkt: Was müssten die Parteien denn tun, um mehr junge Wähler an die Wahlurnen zu bringen?

Gerade für junge Leute ist es wichtig, dass das Wählen auch wirklich etwas bewirkt. Bei den Jungen wird ja nicht aus Tradition gewählt, sondern mit dem Anspruch, dass die eigene Stimme eine Wirkung hat.

Wäre es entsprechend denkbar, dass die jungen Wähler der Grünen und der FDP schnell wieder weg sind, wenn sie das Gefühl haben, dass beide Parteien zwar in Regierungsverantwortung sind, aber nicht liefern?

Die jungen Wähler sind grundsätzlich flexibler bei der Frage, welche Partei sie wählen. Bei den Älteren ist die Parteibindung stärker. Insofern bedeuten mehr junge Wahlberechtigte auch mehr Wechselwähler.

Die Fragen stellte Ben Krischke.

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