Wahl zum SPD-Vorsitz - Die Katze im Sack

Dieser Tage stimmen die SPD-Mitglieder über ihre neuen Parteivorsitzenden ab. Vom Ausgang der Stichwahl könnte das Schicksal der Groko abhängen. Das Duo Walter-Borjans/Esken stand bislang für ihr Ende. Für die SPD könnte es aber noch schlimmer kommen

Gleich raus aus der Groko oder lieber später? Das Duo NoWaBo/Esken könnte die SPD aufmischen/ picture alliance
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Autoreninfo

Hans-Roland Fäßler ist Geschäftsführer der Polimedia Beratungsgesellschaft mbH und war langjähriges SPD-Mitglied. Der Medienberater half unter anderem Peer Steinbrück in seinem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013.

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Eines haben die vier sozialdemokratischen Bewerber um den Parteivorsitz gemein: als der liebe Gott Charisma unter die Menschen gebracht hat, haben sie – anders, als Franziska Giffey – miteinander in der falschen Schlange gewartet. Das ist nicht unbedingt ein Schaden, aber von Nutzen ist das bei einer Mitgliederbefragung auch nicht. Natürlich kennen alle SPD-Mitglieder Olaf Scholz, aber Norbert Walter-Borjans (NoWaBo) ist laut Forsa nur 21 Prozent der SPD-Anhänger bekannt, Klara Geywitz 14 Prozent und Saskia Esken gerade mal 13 Prozent. In der Gesamtbevölkerung ist ihr Bekanntheitsgrad noch geringer.

Das Bewerberduo Esken/NoWaBo ist für die meisten Bürger und für viele Sozialdemokraten die Katze im Sack. So einen Fall hatte die SPD schon mal. Martin Schulz profitierte zu Beginn seiner Kanzlerkandidatur geradezu davon, dass die Menschen nicht genau wussten, wofür der Europäer im nationalen Kontext eigentlich stand. Er galt nicht als „Berlin-verseucht“ und löste einen Hype aus, der einen SPD-Parteitag dazu verleitete, ihn mit 100 Prozent der Delegiertenstimmen zum Parteivorsitzenden zu wählen. Nach ein paar Wochen waren das Thema und Schulz erledigt. Die Menschen merkten, dass nicht nur aus Berliner Leitungen abgestandenes Wasser tropft. Das Ergebnis ist bekannt. Schulz kassierte bei der Bundestagswahl eine Niederlage historischen Ausmaßes.

Ein Glücksfall für die SPD 

Olaf Scholz kennt jeder. Niemand braucht Aufklärung darüber, wo und wofür er steht. Ein begnadeter hanseatischer Langweiler ist besser für die Partei (und das Land!), als unbekannte „Frohnaturen“ vom rheinischen Karneval oder aus schwäbischer „Fasnet“ aus dem tiefsten südlichen und mittleren Westen der Republik. Natürlich profitiert Klara Geywitz von ihrer politischen Partnerschaft mit Olaf Scholz. Die dreifache Mutter aus Potsdam ist die jüngste des Quartetts, sie hat im brandenburgischen Landtag entscheidend zur Durchsetzung des Parité-Gesetzes beigetragen, wonach die Parteien ab 2024 gleich viele Männer und Frauen aufstellen müssen, um an der Landtagswahl teilnehmen zu können.

Sie war Generalsekretärin der brandenburgischen SPD, bis sie wegen der Aussetzung der Kreisgebietsreform zurücktrat, für deren Zustandekommen sie gekämpft hatte. Sie zeigt Haltung; einer der Gründe, warum Olaf Scholz sie bat, mit ihm zusammen anzutreten. Von ihrer Bodenständigkeit und ihrer ostdeutschen Sozialisation profitiert wiederum Scholz: für beide – und für sie SPD! – ein Glücksfall. Mit 43 Jahren ist sie eine erfahrene Parlamentarierin, sie saß 15 Jahre als direkt gewählte Potsdamer Abgeordnete im brandenburgischen Landtag und verlor ihren Wahlkreis jetzt an die grüne Kandidatin, weil ihr 144 Stimmen fehlten. Sie ist Mitglied des Parteivorstandes und kennt den Laden.

Bettensteuer für Touristen 

Dies alles trifft weder auf NoWaBo noch auf Saskia Esken zu. Der 67jährige war nie Parlamentarier und hatte in der SPD nie bedeutende Funktionen inne. Er war immer ein Mann der Exekutive, und sowohl als Kölner Stadtkämmerer als auch als nordrhein-westfälischer Finanzminister war er hoch umstritten. In Köln führte er die Bettensteuer für Touristen ein, und im Kabinett von Hannelore Kraft war er für vier (!) vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehobene Landeshaushalte verantwortlich. Darüber reden seine Unterstützer nicht; sie rühmen ihn für den Aufkauf geklauter Steuer-CDs.

Es gilt in Berlin als offenes Geheimnis, dass diese „Großtat“ den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert dazu brachte, „seiner“ Kandidatin Saskia Esken den Polit-Pensionär NoWaBo zu empfehlen, weil er für die völlig unbekannte, aber links stehende Esken auch Stimmen aus der sozialdemokratischen Mitte mobilisieren könnte. NoWaBo hat sich dann von ihr reaktivieren und ins Boot holen lassen. Im ersten gemeinsamen Interview mit Spiegel online verwahrte er sich gegen die „Denke“, es habe einen Deal gegeben. Das sei ihm zutiefst zuwider. Vielleicht hat er ja in der Zwischenzeit erfahren, welche Absprachen seine Polit-Partnerin schon vor seinem Einstieg in die Kandidatur mit Kühnert getroffen und ihm nicht offengelegt hat. Esken kommt aus der baden-württembergischen SPD, die – ähnlich, wie die bayerische – nur noch in Hinterzimmern blüht, aber bei den Wählern keinen Blumentopf mehr gewinnt. Die SPD holte in ihrem Wahlkreis 14,4 Prozent.

Wasser auf die Mühlen der AfD 

Esken sitzt seit 2014 im Bundestag und zog jeweils über die funktionärsgesteuerte, von jedem Wählerwillen weit entfernte Landesliste ins Parlament ein. Während NoWaBo am liebsten übers Verteilen und Steuern erhöhen schwadroniert, fordert Esken, von der man sonst noch nie etwas Substanzielles gehört hat, unter anderem die Abschaffung aller Hartz-IV-Sanktionen. Mag sein, dass diese Idee bei Latte Macchiato im Kulturcafé gut ankommt, aber ganz bestimmt nicht in denjenigen Pilskneipen, deren Gäste nach dem Feierabendbier zu Bett gehen, weil sie regelmäßig werktags um 6 Uhr zur Arbeit aufbrechen. Sie ärgern sich darüber, dass von ihren Sozialbeiträgen Leute leben, die wiederholt Jobs als unzumutbar abgelehnt haben. Keine Frage: Auch das ist Wasser auf die Mühlen der AfD.

Nun gibt es, lobt Kühnert, eine unterschiedliche Betrachtungsweise seines Kandidaten-Duos, was den Ausstieg aus der GroKo betrifft. Esken will gleich raus, aber NoWaBo wäre das zuviel „Brexit“. Seltsam. Ausgerechnet der erklärte GroKo-Gegner Kühnert findet so viel Differenziertheit gut?

Quengelige Opposition 

Es ist schon der Gedanke beklemmend, dass Geywitz/Scholz den Mitgliederentscheid verlieren könnten. Und natürlich würde Scholz nach einem negativen Votum der Mitglieder als Vizekanzler zurücktreten. Soweit, so schlecht. Ein solches Ergebnis – das ist allen Beteiligten klar – hätte das Potenzial, die SPD zu spalten, weil der Sozialismus, von dem Kühnert träumt (große Betriebe kollektivieren), für die immer noch schweigende Mehrheit der Sozialdemokraten im Wortsinne rote Linien überschreitet.

Es gibt den begründeten Verdacht, dass die Sieger, um dies zu vermeiden, den Verlierern zur – vermeintlichen – Versöhnung den Verbleib in der GroKo anbieten. Selbst Kühnert und Genossen können nicht bestreiten, dass der am Sonntag erzielte Kompromiss bei der Grundrente, der ja weit mehr bietet als im Koalitionsvertrag vereinbart, nur als Regierungspartei zu erreichen ist und eben nicht als quengelige Opposition, die immer mehr fordert und nie etwas kriegt.

NoWaBo ante portas

Der Preis für den Wahlsieg und den Verbleib in der GroKo wird für stabile Regierungsverhältnisse zu hoch sein. Esken/NoWaBo und die Kühnert -Truppe werden der Union und Angela Merkel auf ihren letzten Metern als Kanzlerin mal richtig zeigen wollen, was eine sozialistische Harke ist. Ob die Union die Sozialdemokraten dann wegen Unerträglichkeit vorzeitig aus der Regierung kippt oder Merkel ihre Amtszeit bis zum Ende durchhält, ist zweitrangig.

Jedenfalls brauchte die SPD dann erst einmal einen neuen Vizekanzler und Finanzminister. Und welcher Unbekannte könnte sich dann im Amt „profilieren“? Annegret Kramp-Karrenbauer hat's ja vorgemacht: NoWaBo ante portas! Jedenfalls hat er Erfahrung darin, verfassungswidrige Haushalte vorzulegen und neue Steuern einzuführen, beziehungsweise alte zu erhöhen. Diese Vorstellung ist für die SPD und unser Land ein Horror: weitere Talfahrt programmiert. Die französischen Sozialisten sind diesen Weg schon zu Ende gegangen.

Form schlägt Inhalt 

23 aufwändige Regionalkonferenzen mit am Ende sieben Politduos haben nichts gebracht. Form schlug Inhalt. Alle Bewerber brauchten jeweils nur eine Minute zu einem Thema zu reden. Der Blick auf die „verdammte Uhr“ hat jede inhaltliche Debatte von Anfang an verhindert. Dieses Format ist krachend gescheitert und hat zugelassen, dass alle Kandidaten außer Geywitz/Scholz in 60-Sekunden-Statements ihre wahren Absichten in Wattebäuschchen packen oder ganz verschweigen konnten. 

Nun irrlichtert NoWaBo durch die Medien. Zunächst wollte er nur noch einen Spitzenkandidaten für die nächste Bundestagswahl aufstellen, jetzt will er, um „Führungsautorität" zu beweisen und selbst als Kanzlerkandidat antreten. Als Vizekanzler und Finanzminister stünde er ja dann schon mal im Rampenlicht. Gegen den Rat des glücklosen Generalsekretärs Lars Klingbeil haben sich führende Sozialdemokraten, die das Elend kommen sehen, nun eindeutig für Geywitz/Scholz ausgesprochen. Das Schicksal der SPD liegt jetzt in der Hand ihrer Mitglieder.

Inhaltsleeres Casting

Dort ist es zwar am besten aufgehoben, aber wenn die sich, entsetzt von einer inhaltsleeren und sinnlosen Casting-Show, weiter resigniert  abwenden, dann klicken Jusos und durchorganisierte Linke im Online-Voting Esken/NoWaBo in den Parteivorsitz. Im ersten Wahlgang hat sich gerade mal die Hälfte der Mitglieder an der Abstimmung beteiligt. Gerade die alten Sozialdemokraten waren im unklaren darüber gelassen worden, ob sie den Wahlbrief bloß zur Post bringen oder auch noch frankieren mussten.

Es geht nicht um den Kauf einer Briefmarke an sich: Aber wer schon das ganze Verfahren verstörend findet, macht sich nicht auch noch Umstände. Die Katze im Sack freut sich. Sie lebt von den Klicks, und wer wegguckt, kann sie nicht durchschauen und braucht sich später nicht zu wundern, wenn sie – aus dem Sack gelassen – ihre Krallen zeigt. Klara Geywitz und Olaf Scholz haben nur eine Chance, wenn der nächste Wahlzettel nicht im Papierkorb landet, sondern im Briefkasten. Das Rückporto für den Wahlbrief an den Parteivorstand zahlt übrigens der Schatzmeister; und jede Stimme zählt. 

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