Videochats in der Corona-Krise - Der CEO im Kinderzimmer

Corona verlangt Unternehmen Einiges ab – auch bei der Kommunikation. Doch während die Lage durchaus angespannt und stressig ist, wird die Kommunikation zwischen Führungskräften und Belegschaft informeller und vielerorts auch menschlicher.

Auch die Regierungschefs kommunizieren in diesen Zeiten nur noch online / picture alliance
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Autoreninfo

Tom Buschardt hat jahrelang als Journalist für private und öffentlich-rechtliche TV-Sender gearbeitet. Als Medientrainer coacht er seit 20 Jahren Politiker und Vorstandsmitglieder für öffentliche Auftritte. Er ist spezialisiert auf Krisenkommunikation.

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Toilettenpapier habe ich nicht gehamstert. Aber vor dem Hochkochen der Corona-Krise wurde noch schnell eine professionellere Video-Konferenztechnik angeschafft. Man kann ja nie wissen. Inzwischen ist das Modell gut 200 Euro teurer geworden und nicht mehr lieferbar, wogegen man Toilettenpapier durchaus noch kaufen kann. Videokonferenzen sind in diesen Zeiten für Menschen und Unternehmen weit mehr, als nur eine Kommunikationsalternative in Krisenzeiten.

Unsere Kommunikation verändert sich dadurch – hoffentlich nachhaltig an den Stellen, wo es uns gut tut. Fangen wir im Büro an: Kolleginnen und Kollegen, Chefinnen und Chefs. Sie alle gewähren nun zwangsweise Einblick in ihr Privatleben. Selbst diejenigen unter den Führungskräften, die im Unternehmen noch nicht einmal Besucher in ihrem Büro empfangen („Wofür hat man denn einen Konferenzraum?“), weil ihr eigenes Büro ihnen zu persönlich erscheint.

Der CEO sitzt nun im Kinderzimmer

Nun hocken sie zu Hause auf dem Sofa oder am Küchentisch, eine Katze läuft durchs Bild, man hört schon einmal ein Kind von nebenan, der Hund bellt dazwischen. Oder der CEO sitzt gar direkt im Kinderzimmer zwischen Eisprinzessinnen-Merchandising, weil das gerade der einzige Raum ist, wo er ungestört sein kann.

Wer in der Prä-Corona-Ära bereits in der Umlaufbahn kreiste, wenn jemand eine Minute zu spät zum Meeting kam, der hat nun eine Engelsgeduld, wenn es 10 Minuten länger dauert, bis auch beim letzten Teilnehmer die Videoverbindung steht. Wichtig sind auch in diesen Zeiten die Zwischenräume, die uns die technischen Mängel beim Aufbau einer Videokonferenz bescheren.

Physische Distanz beschert kommunikative Nähe

Wir überbrücken die Zeit mit Smalltalk – oft zum Top-Thema „Corona“ – und da wir uns meist in unserem privaten Umfeld bewegen, kommunizieren wir auch leichter über Privates. Corona macht uns alle gleich, es verschwinden die beiden Führungskräfte-Götter „Status“ und „Habitus“. So kommt über die physische Distanz, eine kommunikative Nähe zustande.

Da kann es durchaus ein verbindendes Element sein, wenn man die Erfahrung macht, dass ein Vorstand gerade dieselben Probleme mit der Kinderbetreuung hat, wie man selbst. Ein Tipp ist schnell ausgetauscht, aber was langfristig hängen bleibt: Man hat sich gegenseitig weitergeholfen. Nicht nur über eine räumliche Entfernung, sondern auch über eine hierarchische Ebene hinweg.

Videochats fördern Social Skills

Meine eigene Beobachtung, aber auch die zahlreicher Befragten, ist, dass die derzeitige Form der Kommunikation sogar oftmals als wertschätzender empfunden wird, wie so manches Businessmeeting, zu dem man sich früher im Laufschritt im Konferenzraum versammelt. Videochats sind in diesen Zeiten seltener eine Befehlsausgabe an die Abteilungen, als im Reallife.

Vorgesetzte wissen um die Bedeutung von Social Skills in diesen Zeiten – und sei es nur, weil sie gerne selbst etwas erzählen möchten, was sie derzeit beschäftigt. Man löst mit „Corona“ auch Kommunikationsverpflichtungen aus: „Du hast was erzählt von Dir und Corona – jetzt hör auch mir mal eine Minute zu.“ So, wie die eine Kollegin früher, als man noch reisen konnte, vom Urlaub auf Sardinien berichtete und der Kollege mit einer Anekdote aus Portugal antwortete.

Die Ablehnung gegen Digitalisierung rächt sich

Allerdings rächt sich jetzt auch bei vielen Menschen in der Belegschaft die bisherige Ablehnung, alternativer Kommunikationsformen. Wer bislang mit Telefon und Mailprogramm schon an der kommunikativen Leistungsgrenze angekommen war, dem fällt die Videokonferenz nun hart auf die Füße. Was allerdings komplett unangebracht ist, ist die Eitelkeit, dass man sich ja nun sehen kann.

Meine Güte: Im Büro sieht man sich schließlich auch und wenn sie aus dem Schlafzimmer chatten müssen, wegen tobender Kinder im Haus, dann lasst die Nachttisch-Schublade halt zu. Ich darf höflich daran erinnern: Die Generation, die früher gegen die Volkszählung demonstrierte, hat später dann Facebook und andere Social-Media-Kanäle mit all den privaten Postings erst groß gemacht.

Der Widerspruch liegt in der Selbstdarstellung

Den Widerspruch sollte man mir mal bitte erklären: Auf Instagram privat gerne Influencer sein wollen – aber dann unter Kollegen beim Videochat den Datenschützer als Säulenheiligen verehren. Dann lasst die Kamera halt aus. Privat ist die Videofonie für mich wertschätzender. Für meinen Vater reichte früher oft ein Anruf zwischendurch zur sozialen Kontaktpflege.

In seiner nächsten Lebensmittellieferung, die ich vor seiner Tür abstellen werde, wird auch eine Webcam dabei sein. Meine momentane Panik-Attacke: Ihm mit seinen 80 Jahren telefonisch zu erläutern, wie er das Ding anschließt und was er dafür installieren muss. Im Privatleben ersetzt derzeit ein Videochat einen Kommunikationsvorgang, der früher per Anruf oder WhatsApp erledigt wurde.

Online-Enkel-Besuch

Da mag sicher bei dem ein oder anderen noch die Lust auf die „Neuland“-Eroberung modernster Internettechnik mitschwingen – aber jetzt, wo wir alle räumlich und körperlich auf Distanz gehen müssen, vermittelt uns das bewegte Videobild deutlich mehr Nähe. Meine Söhne (17 und 15) haben Merkels Aufforderung, den Großeltern ein Video zu schicken, nach väterlicher Aufforderung im Grundsatz befolgt.

Das Ergebnis war jetzt nicht so, dass es dem Geiste Merkels zur Generationen-Kommunikation entsprach (wohl eher dem, zweier gelangweilter männlicher Teenager, die YouTube und Online-Games cool finden – und vor allem sich selbst), aber Opa hat sich dann doch gefreut, in seiner Risikogruppen-Enklave etwas Enkel-Bewegtbild aufs Handy zu bekommen.

Ein Learning für die Zeit nach Corona?

Nähe durch Bewegtbild: Keine neue Erkenntnis, weiß man doch schon seit Erfindung des Fernsehens, dass – im Gegensatz zum Bewegtbild im Kino – ein Video, welches uns in unserem engeren Wohn- und Arbeitsumfeld erreicht uns auch emotional stärker berührt. Wichtig ist nun die berufliche Transferleistung auf die Zeit nach Corona. Wir haben durch Videochats eine andere Nähe im Beruflichen, wie im Privaten erlangt.

Halten wir diese Nähe bei und übertragen sie für unsere tägliche Kommunikation, dann können alle Seiten davon profitieren. Der Vorstand, der nun nach der Corona-Videonähe wieder auf Abstand zu seinen Mitarbeitern gehen möchte, wird es schwer haben, diesen alten Abstand zurückzuerobern, ohne komplett unauthentisch und unglaubwürdig zu wirken.

So, wie ein Abteilungsleiter, der auf dem Betriebsfest allen das „Du“ anbietet und dann am nächsten Montag wieder zurückrudern möchte. Also schauen wir nach vorn. Vorne spielt die Musik. Vorne gibt’s Geld. Und da vorne ist auch die Kamera in unserem Laptop.

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