Verfassungsschutz beobachtet AfD Brandenburg - „Gauland hätte die Notbremse ziehen müssen“

Erst schloss der AfD-Bundesvorstand Andreas Kalbitz aus der Partei aus. Jetzt beobachtet der brandenburgische Verfassungsschutz dessen ganzen Landesverband. Der ehemalige Landtagsabgeordnete Sven Schröder hat die AfD wegen ihm verlassen. Ein Blick hinter die Kulissen des Flügels.

Zieht auch nach seinem Parteiausschluss die Strippen in Brandenburg: Andreas Kalbitz (rechts) mit dem Bundestagsabgeordneten Jens Maier (links)/ dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Sven Schröder saß von 2014 bis 2019 für die AfD im Brandenburger Landtag. Er ist gelernter Maurer und nach einer Ausbildung zum Versicherungskaufmann Projektmanager in der Immobilienbranche. Heute engagiert er sich für die Freien Bürger und Bauern im Kreistag Potsdam-Mittelmark.  

Herr Schröder, der Verfassungsschutz hat die AfD-Brandenburg als Verdachtsfall eingestuft – und das, obwohl dem Parteichef Andreas Kalbitz gerade die Mitgliedschaft vom Bundesparteivorstand entzogen wurde. Überrascht Sie das? 
Nein, er wurde zwar aus der Partei ausgeschlossen, beziehungsweise seine Mitgliedschaft wurde annulliert. Aber de facto wird das von der AfD Brandenburg nicht akzeptiert. Er agiert immer noch so, als wäre er der Parteichef. 

Die AfD-Fraktion Brandenburg hat ihre Geschäftsordnung geändert, damit er weiterhin Mitglied bleiben kann. Ist das rechtlich überhaupt möglich?
Es ist auf jeden Fall nichts Ungewöhnliches. Das gibt es auch in anderen Parteien.  

Der Verfassungsschutz geht von einer „Verflügelung“ der Brandenburger AfD aus. Wie hat es Kalbitz geschafft, seinen Einfluss auszuweiten?  
Da muss ich weit ausholen. Wie ist Kalbitz überhaupt in diese Führungsposition hineingeraten? Das verdankt er seinem Protegée, Alexander Gauland. Er hat ihn als seinen Nachfolger installiert und seine Hand in jeder Situation schützend über ihn gehalten. Deshalb konnte Kalbitz tun und lassen, was er für richtig hält, ohne sich einer Kritik aussetzen zu müssen. 

Das war 2017. Wusste Gauland da schon von Kalbitz Verstrickungen in die rechtsextreme Szene? Oder war er blauäugig?
Gauland ist in der Tat blauäugig, so oder so. Ich glaube, Gauland wusste nicht um diese Verstrickungen  – jedenfalls nicht in dem Ausmaß. Kalbitz hat sich ja auch geschickt verhalten. Er hat es immer vermieden, extreme Ansichten nach außen zu verbreiten. Er hat die rote Linie nie überschritten. Gleichwohl ist er ein Rechtsausleger. Als Gauland das erfahren hat, hätte er die Notbremse ziehen müssen. 

Das heißt, nur weil Gauland das versäumt hat, konnte sich Kalbitz ein Netzwerk über den Flügel aufbauen?
Genau. Er hat sich Anhänger geschaffen, die man nur als Gefolgschaft bezeichnen kann – und zwar als bedingungslose Gefolgschaft.  

Das ist auch der Grund, warum Sie vor der Landtagswahl 2019 aus der AfD ausgetreten sind. Sie sprachen „von einer Atmosphäre, in der sich niemand offen traue, seine Meinung zu sagen.“ Woran machen Sie das fest? 
Kalbitz demonstriert seine Macht nach innen nie direkt, sondern eher subtil. Er würde nie jemandem drohen oder ihm offene Angebote machen. Das geht in der Regel über Dritte und Vierte in seinem Kern – und sickert dann irgendwann durch. Es ist ganz einfach: Wer ihm oder dem Flügel nicht folgt, der kriegt kein Mandat.

Ähnliche Mechanismen gibt es auch in anderen Parteien. Was ist das Besondere an Kalbitz Führungsstil?
Ich kann das nicht beurteilen, weil ich die anderen Parteien nicht kenne. Wenn man aber gesagt bekommt, man sei ein „Verräter“ oder ein „Putschist“ und würde deshalb kein Amt mehr in dieser Partei bekommen. Dann ist das ein Führungsstil, der nicht mehr autokratisch, sondern schon tyrannisch ist. 

Sie sprechen aus eigener Erfahrung?
Ja, ich hatte mir erlaubt, mich mit einem AfD-Bundestagsabgeordneten zu treffen und anderen Kreisvorsitzenden. Vor dem Landesparteitag zur Listenwahl wollten wir die Tagesordnung durchsprechen und einige Dinge orchestrieren. Unter anderem ging es um die Frage, wer als Spitzenkandidat in den Wahlkampf ziehen sollte. Kalbitz stand als einziger Kandidat auf der Tagesordnung. Es traute sich niemand, gegen ihn zu kandidieren. Wir fanden, ein Spitzenkandidat reiche nicht. Die Partei müsse ihre Kandidaten selbst wählen. So ist es am Ende dann  ja auch gekommen. 

Aber was kann Kalbitz für das Duckmäusertum in der Partei? Ein Chef kann doch nur so autoritär sein, wie ihn die Partei lässt.    
Das ist richtig. Es hat viel mit der Mitgliederstruktur zu tun, die sich stark gewandelt hat. Anfangs kamen viele Mitglieder aus dem bürgerlichen Lager. Na ja, es ist halt die Partei der kleinen Leute geworden.  

Und jetzt? 
Ich habe nichts gegen Menschen, die einen ordentlichen Beruf gelernt haben. Ich bin selbst kein Akademiker. Aber das  Niveau ist dramatisch gesunken. Die Mehrheit versteht unter „Einheit“ „Gefolgschaft“. Das sind Dinge, die kenne ich noch aus der DDR-Diktatur. In einer Demokratie hat das nichts verloren. 

Aber Brandenburg ist da keine Ausnahme. Solche Geschichten kennt man auch von anderen AfD-Landesverbänden, zum Beispiel aus Bayern. 
So weit muss man gar nicht gehen. Schauen Sie sich an, wie sich Sachsens AfD-Chef Jörg Urban verändert hat. Am Wochenende hat er Andreas Kalbitz den Roten Teppich in Sebnitz ausgerollt. Dass dort eine AfD-Veranstaltung ohne AfD-Logo stattgefunden haben soll, hat mich verwundert. Es sagt mir, dass man sich eigentlich schon von der Partei separiert. 

Als außerparlamentarische Opposition?
Die Vermutung liegt nahe.  

Ein Jahr vor Ihnen ist Steffen Königer aus der AfD-Fraktion ausgetreten. Er hatte das mit dem strammen Rechtskurs des Landesverbands unter der Leitung von Kalbitz begründet. „Die Bürgerlichen haben den Kampf gegen die Destruktiven verloren.“ 
Die Bürgerlichen haben diesen Kampf gar nicht erst geführt. Das ist ja das Bedauerliche. Sie kriegen die nicht unter einen Hut. Das sind keine Leute, die sich oder andere für irgendwas begeistern. Das schafft offenbar nur der Flügel mit seinen Themen. 

Aber formell gibt es den Flügel jetzt nicht mehr. Er hat sich aufgelöst. 
Na ja, das ist doch eine Farce. Den Flügel gab es nie als Institution. Das war eine lockere Vereinigung mit Höcke und Kalbitz als Aushängeschildern. Der Verfassungsschutz konnte die Mitglieder identifizieren, denn sie trafen sich einmal im Jahr beim Kyffäuser-Treffen. 

Jetzt will der Verfassungsschutz die gesamte AfD in Brandenburg unter Beobachtung stellen – das sind angeblich dreimal so viele Mitglieder, wie dem Flügel angehören. Wie soll das gehen?
Das weiß ich auch nicht. Die Auflösung des Flügels war keine besonders kluge Entscheidung. Sie müssen sich das vorstellen wie ein Gift, das man auflöst. Es kann sich jetzt ungehindert und unbeobachtet verbreiten. Die Protagonisten an der Spitze sind immer noch dieselben. Das zeigt mir, dass sich die AfD im Sturzflug befindet. 

Zumindest im Bundesvorstand der AfD haben die Bürgerlichen aber wieder die Mehrheit. Oder wie bewerten Sie den Rauswurf von Kalbitz? 
Diese Mehrheit war aber nur knapp, und das ist ja auch schon wieder bezeichnend. Denken Sie daran, wie vorher mit Jörg Meuthen umgegangen wurde. 

Er musste sich öffentlich dafür entschuldigen, dass er gefordert hatte, der Flügel solle eine eigene Partei gründen
Das hätte ihm nicht passieren dürfen. Er hätte wissen müssen, dass er sich damit in der AfD keine Freunde macht, wenn er sich für eine Spaltung der Partei ausspricht. Jetzt muss man aufpassen, dass sich die AfD nicht noch mehr radikalisiert.  

Aber ist das nicht die einzige Chance der AfD, jemals an die Regierung zu kommen, wenn sie sich von den Radikalen trennt? 
Ich glaube, diese Chance ist vertan. Die AfD hätte eine wirklich gute Chance gehabt, wenn sie das bürgerliche Lager früher angesprochen hätte. Stattdessen ist sie lieber den radikalen Weg gegangen und hat Mauern gebaut. Früher oder später wird sie in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. 

Aber wäre die AfD auch so erfolgreich geworden, wenn ihr nicht erst der Flügel Aufmerksamkeit verschafft hätte? 
Der Flügel war Teil des Erfolgs, aber nicht der Erfolg schlechthin. Ohne Provokationen geht es nicht in der Politik. Die AfD hat sich aber darauf konzentriert, nur zu provozieren. Und die Menge macht das Gift. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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