Verfassungsrichterin Borchardt - Eine Extremistin soll die Verfassung schützen - na und?

Eine altgediente SED-Genossin und Linksextremistin als Hüterin der Verfassung? Dass das möglich ist, sagt viel über den Zustand dieses Landes - mehr, als Demokraten lieb sein kann. Es offenbart ein Abgrenzungsproblem der CDU und einen strategischen Vorteil der Linken.

Der Fall Borchardt ist mehr als eine landespolitische Petitesse im hohen Norden / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Mecklenburg–Vorpommern ist eine landschaftlich schöne Region, aber sicher nicht der Nabel der Welt. Auch das dortige Landesverfassungsgericht ist bisher nicht durch wegweisende Entscheidungen aufgefallen. Die Wahl der seit 44 Jahren der SED/PDS/Linkspartei/Die Linke angehörenden Barbara Borchardt in dieses Gremium hat jedoch bundesweit für Aufsehen gesorgt.

Schließlich bekennt sich die aus den Ruinen der DDR politisch wiederauferstandene Genossin zu ihrer Mitgliedschaft in der vom Verfassungsschutz linksextremistisch eingestuften Arbeitsgemeinschaft „Antikapitalistische Linke“. Obendrein verdankt die in der DDR per Fernstudium zur Diplom-Juristin aufgestiegene Genossin ihre Berufung auch den Stimmen von SPD und CDU, die in Schwerin gemeinsam regieren. 

Ein Lehrstück über die Bundesrepublik

Eine altgediente SED-Genossin und Linksextremistin als Hüterin der Verfassung? Dass das möglich ist, sagt viel über den Zustand dieses Landes - mehr, als Demokraten lieb sein kann. Der Fall Borchardt ist deshalb mehr als eine landespolitische Petitesse im hohen Norden. Er ist ein Lehrstück über die Bundesrepublik im Jahr 30 nach dem Mauerfall.

Lehre Nr. 1: Ja er lebt noch, der Geist von Honecker. Die neue Verfassungsrichterin verteidigt den Mauerbau fast 70 Jahre danach unverdrossen als „alternativlos“ und als Beitrag zur friedlichen Koexistenz in Europa. Mit dieser Entspannungslyrik liegt sie politisch auf einer Linie mit vielen linken Gruppierungen in der alten Bundesrepublik und zahllosen westdeutschen „Friedensfreunden“ von einst. Die Mauertoten relativiert sie mit Verweis auf zu Tode gekommene Grenzsoldaten. Kein Wunder, dass die Parteispitze der Linken die Wahl Borchardts bejubelte. Offenbar stößt sich dort niemand am menschenverachtenden Zynismus dieser „Hüterin“ der Verfassung. Frei nach Brecht: Erst kommt die Macht, dann kommt die Moral.

Lehre Nr. 2: In der SPD und bei den Grünen stört sich niemand an dieser Personalie. Die Linke mit ihren vielen DDR-Relativierern und DDR-Nostalgikern ist bei den Sozialdemokraten in Ländern ein willkommener Koalitionspartner. Das war früher in Sachsen-Anhalt und Brandenburg so und wird aktuell in Berlin, Bremen und Thüringen praktiziert. Auch in den Kommunen gibt es keine Berührungsängste. Im Bund werden SPD und Grüne, falls sie 2021 die Wahl haben, lieber mit den Vertretern des ganz linken Rands koalieren als mit der CDU/CSU. Beim SPD-Spitzenduo Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans ist das offenkundig. Auch Robert Habeck wird sich lieber von der Linken zum Kanzler wählen lassen als von der Union zum Vize. Darauf darf gewettet werden.

Das Abgrenzungsproblem der CDU 

Lehre Nr. 3: Die CDU im Osten hat ein Abgrenzungsproblem nach ganz links und nach ganz rechts. Da können die Spitzengremien der CDU oder gar ein Bundesparteitag zig-Mal Koalitionen und Kooperationen mit der Linken wie mit der AfD ausschließen - in den ostdeutschen Landesverbänden hält man sich nur bedingt daran. In Thüringen hat die CDU mehr oder weniger offen mit der AfD gemeinsame Sache gemacht, um den FDP-Mann Thomas Kammerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten zu wählen. In Sachsen-Anhalt blinkt man ebenfalls recht offen nach ganz rechts. In Mecklenburg-Vorpommern wiederum hatte die CDU kein Problem damit, sich von der Linken eine Kandidatin vorsetzen und mittragen zu lassen, an deren demokratischer Gesinnung man große Zweifel haben darf, nein muss. Deren Wahl wird dann als Pragmatismus verkauft, ist aber nichts anderes als Prinzipienlosigkeit. 

Lehre Nr. 4: Bei den meisten Medien genießen SED-Altkader wie Borchardt einen Sympathie-Bonus. Man sollte sich einen Moment vorstellen, in irgendeinem Landtag hätte die CDU einem AfD-Politiker zu einem Sitz in einem wichtigen Gremium verholfen. Was hätte das für einen medialen „Shitstorm“ ausgelöst, allen voran bei ARD und ZDF. Die Wahl von Borchardt wurde dagegen eher als Nachricht aus Absurdistan abgetan. Die Verfassungstreue der neuen Richterin wurde so gut wie nicht in Zweifel gezogen. Auch das Abstimmungsverhalten der mecklenburg-vorpommerschen SPD wurde eher beiläufig vermerkt. Kritisiert wurde fast ausschließlich die CDU in Schwerin - und das aus gutem Grund. Freilich leistete die Union „nur“ Beihilfe. Haupttäter waren die Linke, die diese Kandidatin nominierte, und die SPD, die deren Wahl gegenüber der CDU zur Koalitionsfrage erhob. 

Und die Moral von der Geschicht‘? Wir haben es in Deutschland mit zwei Parteien zu tun, bei denen der Verfassungsschutz extremistische Bestrebungen beobachtet. Allerdings genießt Die Linke einen strategischen Vorteil: Ihre Extremisten gelten als gute Extremisten - bei SPD und Grünen, in den meisten Redaktionen und in ostdeutschen Landesverbänden der CDU. 

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