Verbot der Berliner Corona-Demo - „Sorgfältig begründet“

Die Veranstalter der Berliner Corona-Demo wollen gegen das Verbot bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Aber wie stehen ihre Chancen? Der Staatsrechtler und Experte für Versammlungsrecht Christian Pestalozza gibt im Interview eine juristische Einschätzung des Demonstrationsverbots.

Bei der vergangenen Corona-Demo wurden die Hygienevorschriften nicht eingehalten / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Albert Rudolf Christian Graf von Pestalozza, Jahrgang 1938, ist emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Freien Universität Berlin. Bekannt ist er als Grundgesetz-Kommentator und Experte für Versammlungsrecht.

Herr Pestalozza, die Berliner Versammlungsbehörde hat die für nächstes Wochenende vorgesehene „Corona-Demonstration“ verboten. Und zwar mit der Begründung, dass es bei dem zu erwartenden Kreis an Teilnehmern zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen würde. Ist diese Begründung ausreichend, um eine Demonstration zu untersagen?
Ja, denn der Sinn des Infektionsschutzes ist es, die Gesundheit aller Beteiligten zu schützen. Und die Gesundheit ist ein hohes Gut – mindestens so hoch wie jenes der Versammlungsfreiheit. Körperliche Unversehrtheit, Leben und Gesundheit sind ja ebenfalls grundrechtlich geschützt.

Allerdings ist überhaupt nicht sicher, ob durch die Teilnahme an einer solchen Kundgebung gesundheitliche Schäden entstehen. Sicher hingegen ist, dass das erlassene Demonstrationsverbot die Versammlungsfreiheit einschränkt.
Genau darin liegt auch die Schwäche der Position der Berliner Versammlungsbehörde. Dass sie sich nämlich auf Prognosen stützen muss: Welche Gefahren drohen, und handelt es sich dabei um Gefahren, vor denen uns unsere Verfassung bewahren will? Grundsätzlich gilt: Je wahrscheinlicher es ist, dass ein Risiko sich realisiert – in dem Fall also, dass es zu Ansteckungen kommt –, umso eher muss vorbeugend gehandelt werden. Denn wenn nicht gehandelt wird, kommt es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu Infektionen. Und dann ist es zu spät. Man wird also sagen: Wenn die Gesundheit mit einiger Wahrscheinlichkeit auf dem Spiel steht, dann ist das ein hinreichender Grund, diese konkrete Versammlung zu verbieten.

Dagegen könnte man einwenden, dass die Wahrscheinlichkeit, sich unter freiem Himmel mit Corona zu infizieren, sehr gering ist. Deswegen müsste ein Demonstrationsverbot doch mit epidemiologischen Daten hinterlegt sein.
Das ist in diesem Fall auch geschehen. Die Versammlungsbehörde weist ja ausdrücklich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und auf Daten des Robert-Koch-Instituts hin. Es wird also nicht einfach nur ins Blaue hinein gemutmaßt. Außerdem halte ich es auch für offensichtlich, dass ein Infektionsrisiko besteht, wenn so viele Menschen auf engem Raum derart nahe beieinander sind.

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Woher will denn die Versammlungsbehörde von vornherein wissen, dass sich die Demonstranten nicht an Maskenpflicht und Abstandsregeln halten werden?
Sie stützt sich in ihrem meines Erachtens sorgfältig begründeten Bescheid darauf, dass jemand, der Corona-Schutzmaßnahmen für sinnlos hält, sich gerade nicht an die auferlegten Schutzmaßnahmen halten wird. Hinzu kommt die Erfahrung aus vorangegangenen Demonstrationen, also insbesondere die Kundgebung in Berlin vom 1. August. Dort wurden die Abstands- und Mundschutz-Regeln ja massiv missachtet.

Christian Pestalozza

Aber muss man dann nicht davon ausgehen, dass die Veranstalter hinzugelernt haben? Immerhin wurde die Kundgebung vom 1. August ja gerade wegen des Verstoßes gegen die Schutzmaßnahmen von der Polizei aufgelöst.
Das möchte man hoffen, und als optimistischer Mensch würde ich mich dieser Hoffnung gern anschließen. Aber erstens hat sich nichts an der Grundhaltung der Demonstrationsteilnehmer geändert. Viel wichtiger aber: Die Veranstalter waren bei ihrer Kundgebung am 1. August nicht in der Lage und vielleicht auch nicht willens, auf die Teilnehmenden so einzuwirken, dass sich an die Auflagen gehalten wird. Deswegen wird aus gutem Grund befürchtet, dass sich genau diese Situation wiederholen würde. Zumal jetzt mit mehr Teilnehmern gerechnet werden musste als bei der Demonstration am Anfang des Monats. Es muss also aufgrund vorangegangener Erfahrung davon ausgegangen werden, dass der Veranstalter eine derart große Menge nicht unter Kontrolle hat.

Aber müssen derartige Annahmen nicht wesentlich besser unterfüttert sein? Immerhin geht es um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit.
Wenn die Erfahrung so frisch ist wie in diesem Fall mit einer ähnlichen Veranstaltung von vor nicht einmal einem Monat, liegt es am Veranstalter, ganz klar aufzuzeigen, dass die Schutzauflagen diesmal respektiert und durchgesetzt werden. Es handelt sich ja um denselben Veranstalter wie bei der Kundgebung am 1. August. Und genau das ist ersichtlich nicht geschehen. So steht es zumindest im Bescheid der Versammlungsbehörde. Der Veranstalter konnte offenbar nicht ausreichend belegen, dass es diesmal besser laufen würde.

Die Veranstalter wollen gegen das Demo-Verbot Einspruch beim Berliner Verwaltungsgericht einlegen. Wie sehen Sie die Erfolgschancen?
Ich halte sie für relativ gering, weil der Bescheid der Versammlungsbehörde sehr sorgfältig und nüchtern begründet ist und nicht über das Ziel hinausschießt. Die einzelnen Argumente sind nachvollziehbar vorgetragen und hätten wahrscheinlich auch Bestand vor der nächsten Instanz, nämlich dem Oberverwaltungsgericht.

Die Veranstalter wollen notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Wäre dieser Gerichtsweg vor dem nächsten Wochenende zeitlich überhaupt noch möglich?
Ja. Wenn es darauf ankommt, können unsere Richter zaubern. Und sie sind Schnelligkeit gewohnt, gerade im Wege dieser einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Da kommt man notfalls auch um Mitternacht zur Beratung zusammen. Das klappt in bewundernswürdiger Weise.

Der Veranstalter der Berliner Kundgebung, Michael Ballweg aus Stuttgart, hatte bereits im April das Bundesverfassungsgericht angerufen und erreicht, dass ein städtisches Versammlungsverbot gegen Pandemie-Auflagen aufgehoben wurde. Könnte er jetzt wieder Erfolg haben?
Der Anlass mag vergleichbar sein, aber die Situation in Baden-Württemberg wie auch bei anderer Gelegenheit in Hessen ist eben doch anders. Denn damals hatten die örtlichen Behörden die Corona-Auflagen so gedeutet, dass ihnen diese Auflagen keinerlei Ermessensspielraum ließen. Es hatte also keine Abwägung stattgefunden, weil die Behörden dachten, sie könnten eigentlich nur verbieten. Und genau dieser Punkt wurde auch vom Bundesverfassungsgericht beanstandet. Im jetzigen Fall hingegen hat ja eine Abwägung stattgefunden.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat das Demonstrationsverbot mit folgenden Worten kommentiert:  „Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen.“ Ist das „Verächtlichmachen“ des „Systems“, sollte es den Demonstranten überhaupt darum gehen, nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt?
Jedes Regierungssystem muss sich Kritik gefallen lassen. Aber nicht auf Kosten gleich- oder höherrangiger Verfassungsgüter. Die Sprache, die der Senator hier verwendet, ist eine sehr politische. Aber diese Sprache taucht im Bescheid der Versammlungsbehörde ja nicht auf.

Innensenator Geisel sagt, er erwarte „eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten“ gegenüber den Demonstranten. Damit unterstellt er den Kundgebungsteilnehmern, sie seien keine Demokraten. Das hat doch überhaupt nichts mehr mit dem eigentlichen Grund für das Demonstrationsverbot zu tun.
Deswegen halte ich Geisels Formulierungen auch für zu stark und zu polarisierend. Ich hätte mir mehr Zurückhaltung gewünscht, wenn man glaubt, den Bescheid der Versammlungsbehörde mit Kommentaren garnieren zu müssen. Man hätte es auch überhaupt nicht zu kommentieren brauchen. Natürlich kann man nicht alle Demonstrationswilligen ins Lager der Antidemokraten oder politischen Extremisten stellen. Das geht zu weit.

Als Innensenator ist Geisel selbst Dienstherr der Versammlungsbehörde. Macht er sich da durch seine Kommentierung juristisch nicht angreifbar?
Auf der obersten Ebene der Politik muss in dieser Hinsicht weniger Zurückhaltung geübt werden als auf der reinen Behördenebene. Ich sehe nicht, dass Geisels Kommentierung juristische Implikationen haben könnte. Worauf es ankommt, ist die Begründung der Versammlungsbehörde. Und die ist nicht reißerisch formuliert. Die Ausschmückungen des Dienstherrn spielen da vor Gericht keine Rolle.

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