US-Wahl - „Umfragen sind kein Wünsch-dir-was-Spiel“

Die Überraschung war groß, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Haben die Demoskopen versagt? Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Insa über die Lehren aus der US-Wahl und was das für die Bundestagswahl 2017 bedeutet

Viele Trump-Anhänger haben aus Gründen der sozialen Erwünschtheit verschwiegen, wen sie wählen wollten / picture alliance
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Donald Trump ist zum US-Präsidenten gewählt worden. Viele hielten das für unmöglich, vor allem die Demoskopen. Wie kam es zu dieser Fehleinschätzung?
Wer das tatsächliche Ergebnis analysiert, stellt schnell fest: Im direkten Vergleich mit vergangenen Wahlen konnte keiner der beiden Kandidaten gewinnen. Donald Trump erhielt weniger Wählerstimmen als die beiden republikanischen Präsidentschaftskandidaten vor ihm, die Barack Obama unterlagen. Da Hillary Clinton deutlich weniger Stimmen als Obama erhielt, kann man wiederum vermuten, dass sie ihre potenzielle Wählerschaft nicht überzeugen konnte. Es gab aber auch vor dem 8. November einige Umfragen in den USA, die ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen oder Trump sogar in Führung sahen. Nur wurden diese Umfragen in Zweifel gezogen. Warum die Mehrheit der Erhebungen Hillary Clinton als Siegerin ausmachte, kann verschiedene Ursachen haben.

Welche?
Zunächst waren die meisten Umfragen auf die bekannten Swing-States beschränkt. Hätte man US-weit in allen Bundesstaaten getrennte Befragungen durchgeführt, wäre aufgefallen, dass der ein oder andere sicher geglaubte Bundesstaat gar nicht so sicher war. Verzerrungen sind möglicherweise auch dadurch entstanden, dass in den Umfragen nicht alle Gruppen von Wahlberechtigten angemessen repräsentiert waren. So wurde falsch eingeschätzt, wer letztlich wählen geht und es blieb unklar, wo frühere Nichtwähler ihr Kreuz machen. Letztlich ist es nicht nur entscheidend zu wissen, wem es gelingt, seine Leute zu mobilisieren, sondern auch, wer zur Wahl geht und wer fernbleibt. Schließlich spielten wahrscheinlich auch Effekte sozialer Erwünschtheit eine Rolle. Meinungen, die als unpopulär oder kritisch gelten, werden häufig unterschätzt, weil Befragte sie selten offen äußern.

Hatten die falschen Umfragen in den USA Einfluss auf den Wahlausgang und was müsste in Zukunft anders gemacht werden?
Ob die Wahl in den Vereinigten Staaten möglicherweise anders ausgegangen wäre, wenn man die Erhebungen, die ein Kopf-an Kopf-Rennen oder Trump sogar stärker als Clinton sahen, ernst genommen hätte, lässt sich im Nachhinein natürlich nicht beurteilen. Ausschließen würde ich es nicht.

Nachdem Donald Trump entgegen vieler Vorhersagen der Demoskopie und der Erwartung in den Medien zum US-Präsidenten gewählt wurde, werden Umfragen generell in Zweifel gezogen. Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte nach der US-Wahl – „Wenn es eine Lehre gibt, dann die: Misstraue den Umfragen!“ Hat er recht?   
Die gesamte politische Meinungsforschung in Zweifel zu ziehen, führt meines Erachtens in die Irre. Dass die Demokraten letztlich deutlich weniger Wahlmänner gewannen als erwartet, ist möglicherweise auf die falsche Methodik und Stichprobenauswahl, und nicht zuletzt auf das amerikanische Wahlsystem zurückzuführen. Im Gegenzug gibt es aber auch sehr viele Beispiele, wo Demoskopie sehr gut die jeweilige Stimmung abgebildet hat. Man ist also immer klug beraten, die Stimmungsbilder zur Kenntnis zu nehmen, man muss ihnen ja nicht folgen. Aber es ist falsch, die Augen davor zu verschließen.

Sehen Sie einen Weg, wie die politische Meinungsforschung wieder Vertrauen gewinnen kann? 
Die Demoskopie ist gefordert, methodisch sauber und transparent zu arbeiten und aus Erfahrungen – dazu gehören auch Fehler – zu lernen. Nur so können Methoden und damit auch Umfrageergebnisse verbessert werden. Für uns sind die Antwortbereitschaft der Befragten und ihre ehrlichen Antworten unverzichtbar. Und selbstverständlich gibt es neben Fehlertoleranzen auch Einflüsse durch soziale Erwünschtheit. Auch deshalb ist es wichtig, dass Meinungsforschung neutral bleibt. Wir haben weder eine Idee oder eine Person zu protegieren, noch zu verteufeln. Uns interessiert, wie die Leute „ticken“. Aber wir sind nicht dazu da, sie für ihre Meinung zu loben oder zu kritisieren.

Die Demoskopen sind also allein verantwortlich für die Vertrauensbildung?
Nein. Die Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen, richtet sich natürlich auch an Politik und Medien. Wenn nur die spannendsten oder „passendsten“ Ergebnisse veröffentlicht werden, entsteht in der Bevölkerung nicht der Eindruck objektiver Berichterstattung, und das schmälert Vertrauen. Manchmal scheint der Mut zu fehlen, Ergebnisse ernst zu nehmen, die nicht gefallen oder sogar wehtun: der Stimmungsumschwung in Rheinland-Pfalz, als die CDU schwächer und die SPD stärker wurde. Die Grünen, die in Baden-Württemberg die CDU überrundeten. Die AfD, die seit dem Herbst 2015 zweistellig ist und die die CDU in Mecklenburg-Vorpommern überholte. Die Große Koalition, die in Berlin ihre Regierungsmehrheit verlor. Meist wird dann der Überbringer schlechter Botschaften – wie wir von Insa – dafür verantwortlich gemacht. Aber es ist die Aufgabe seriöser Wahlforschung und Berichterstattung, Wirklichkeit zu spiegeln wie sie tatsächlich ist. Umfragen sind kein „Wünsch-dir-was“-Spiel. Es gilt Wirklichkeit zu spiegeln, damit die Akteure in der Politik wissen, aber auch damit die Bevölkerung weiß, wie die Fakten wirklich liegen.

Welche Lehren muss man aus den Präsidentschaftswahlen und den Umfragen ziehen? 
Anhand der falschen Umfrageergebnisse und dem Wahlergebnis zeigt sich, wie wichtig es ist, dass man alle Wahlberechtigten in den Blick nimmt: Diejenigen, die sich wieder mobilisieren lassen, weil es ein politisches Angebot gibt, das sie anspricht, ebenso wie diejenigen, die ihre Stimme nicht mehr abgeben wollen, weil sie von ihrer traditionellen Partei enttäuscht sind. Das gilt für die USA, aber auch für Deutschland. Was Deutschland betrifft, erleben wir einen Wechsel von der asymmetrischen Demobilisierung hin zu einer angebotsabhängigen Mobilisierung, die ich bedingte Mobilisierung nenne. 

Können Sie das genauer erklären?
Es gibt Parteien, die bewusst auf inhaltliche Profilierung verzichtet haben, in der Erwartung, dadurch die Mobilisierung des Wählerpotenzials des politischen Gegners zu erschweren. Das nennt man asymmetrische Mobilisierung. Parteien, die in Zukunft erfolgreich sein wollen, werden aber um eine klare Positionierung nicht herumkommen. Wähler wollen überzeugt werden. Die bedingte Mobilisierung wird die Bundestagswahl 2017 entscheiden. Mehr Wahlberechtigte werden ihr Wahlrecht wieder nutzen. Die Bürger werden bewusst abstimmen oder die Stimme bewusst verweigern.

Kann das die Kanzlerschaft von Angela Merkel gefährden?
Das glaube ich nicht. Im Moment sieht es so aus, dass ohne und gegen die Union nicht regiert werden kann. Ob Große Koalition, Jamaika- oder Bahamas-Bündnis, immer würde die Union die Kanzlerin stellen. Andererseits muss der Union bewusst sein, dass jeder fünfte Wähler, der 2013 für sie gestimmt hat, heute nicht mehr an einer Wahl teilnehmen will, ungültig wählen will oder noch nicht weiß, wen er wählen soll. Wenn diese Wähler nicht nur bewusst nicht mehr, sondern bewusst anders wählen, dann könnte viel in Bewegung kommen. 

Dazu kommen noch frühere Nichtwähler, die jetzt wieder an Abstimmungen teilnehmen wollen. Diese Bürger sind zum Teil aus Protest gegen das, was sie als Establishment empfinden, Wahlen ferngeblieben. Jetzt nehmen sie, womöglich auch aus Protest, wieder an Wahlen teil. Auch diese Neu-Wähler verändern Mehrheitsverhältnisse schon alleine deshalb, weil die Wählerschaft wächst.

Hermann Binkert ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Insa.

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