Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingskrise - Bitte kein „Schwamm drüber“

Warum es nach den neuen Enthüllungen der „Welt am Sonntag“ erst recht richtig ist, einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingskrise 2015/2016 einzusetzen

Flüchtlinge am Passauer Bahnhof im November 2015 / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Am Wochenende kam die Welt am Sonntag unter der Überschrift „Verschlusssache Grenze“ mit einer guten Geschichte auf den Nachrichtenmarkt. Die Reporter hatten interne Papiere aus dem Innenministerium vom Oktober 2015 aufgetrieben, die belegen, dass Apparat und Spitzenbeamte damals alles daran gesetzt und sämtliche rechtliche Grundlagen geliefert hatten, um die deutschen Grenzen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung angesichts des weiter anschwellenden Flüchtlingsstromes zu schließen. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Talkshow sagte, es liege nicht in der Macht der Bundesregierung, zu prüfen, wie viele Menschen noch kämen, listete zeitgleich ein internes Papier auf, dass genau das sowohl operativ als auch rechtlich möglich gewesen wäre. Es lohnt sich, dieses Papier ausführlich und im Original zu studieren. 

Wie soll man sonst aus Fehlern lernen?

Auf dieser neuen Nachrichtengrundlage forderte FDP-Chef Christian Lindner noch in derselben Ausgabe der Welt am Sonntag erneut einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingskrise 2015/2016. Dieser Forderung schließt sich auch Christoph von Marschall, Kommentator des Berliner Tagesspiegels, an:

In seltener Einmütigkeit aber lehnten, so von Marschall, Union, SPD und Grüne den Untersuchungsausschuss ab. Es bringe doch nichts, zurückzuschauen, sei die Hauptargumentationslinie. Auch die Kanzlerin hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, die parteiinterne Diskussion über die Flüchtlingskrise 2015 zu beenden: „Wenn wir uns für den Rest des Jahrzehnts damit beschäftigen wollen, was 2015 vielleicht so oder so gelaufen ist und damit die ganze Zeit verplempern, dann werden wir den Rang als Volkspartei verlieren“, sagte sie auf dem Landesparteitag der CDU Thüringen. Nur, fährt von Marschall fort: „Wie soll man aus Fehlern lernen, wenn die Bereitschaft fehlt, zu überprüfen, ob damals etwas falsch gelaufen ist, und, wenn ja, was genau?“

Vorbild Deutschland?

Der Außenpolitik-Experte hat damit nicht zuletzt den europapolitischen Schaden im Blick, den der nicht aufgearbeitete Alleingang der Kanzlerin 2015 nach sich gezogen hat; von einem entsprechenden Aufklärungsgremium erhofft er sich eine positive Wirkung über die Grenzen Deutschlands hinaus: „Der Bundestag sollte einen Untersuchungsausschuss zur Migrationskrise 2015 einsetzen. Ganz voran aus einem europapolitischen (...) Grund. In Europa wollen und sollen die Deutschen eine Führungsaufgabe übernehmen. Sie sind das mit Abstand bevölkerungsreichste EU-Land, sie haben die mit Abstand stärkste Wirtschaft. In der Migrationskrise 2015 haben sie sich mit den meisten Partnern überworfen. Deutschland wollte in eine Richtung führen, in die andere nicht folgen wollten. Ergo müssen die Deutschen darüber nachdenken, wie sie Führung auf eine Weise ausüben, die für ihre Partner erträglich ist und im Idealfall breite Unterstützung findet. Das spricht für eine Untersuchung, die öffentliche Resonanz erzeugt.“


 

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