Unionsparteien in der Krise - Mehr CSU wagen!

Die CDU befindet sich im Sinkflug. Der offene Disput mit der bayerischen Schwesterpartei und die umstrittene Flüchtlingspolitik der Kanzlerin treiben der AfD die Wähler zu. Deshalb sollte die CSU bundesweit kandidieren, allerdings nicht gegen, sondern mit der CDU

Schert die CSU aus? Angela Merkel und Horst Seehofer bei einer Unionsklausur / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Nicht wenige Kommentatoren behaupten, das Verhältnis zwischen CDU und CSU wäre noch nie so schlecht gewesen wie heute. Nun ja: Wer das behauptet, scheint all die Familienzwistigkeiten vergessen zu haben, die zum Mit- und Gegeneinander der „Schwesterparteien“ gehören wie innerfamiliäre Streitigkeiten unterm Weihnachtsbaum. Zur Erinnerung: Als sich im Juni 1976 CDU und CSU mühsam auf Helmut Kohl als Kanzlerkandidaten geeinigt hatten, ließ Franz Josef Strauß ins gemeinsame Kommuniqué schreiben, dass die CSU ihn, Strauß, unverändert für den „geeigneten Kandidaten“ halte.

Mit Kohl erreichten die Unionsparteien dann im Herbst 1976 ausgezeichnete 48,6 Prozent. Kohl wurde dennoch nicht Kanzler, weil die FDP treu an der Seite der SPD blieb. Der „geeignete“ Möchtegern-Kanzler Strauß wütete einen Monat später in seiner berüchtigten „Wienerwald-Rede“: „Kohl, den ich nur im Wissen, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit um des Friedens willen als Kanzlerkandidaten unterstützt habe, wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.“ So viel zur guten alten Zeit.

Schwesternkrieg wäre besonders brutal

Was lehrt uns das? Dass CDU und CSU sich öfters ohne Sinn und Verstand streiten. Dass sie aber nüchtern genug sind, es lieber weiterhin mit dem unbequemen Partner zu versuchen, als getrennt gegen Rot-Rot-Grün und AfD unterzugehen. Deshalb wird es vor der Bundestagswahl nicht zum offenen Bruch samt einer Ausdehnung der CSU auf das restliche Bundesgebiet und einen Einmarsch der CDU im Freistaat kommen.

Denn das bedeutete einen gnadenlosen Kampf – von Wahlkreis zu Wahlkreis und von Bundesland zu Bundesland. Überall konkurrierten CDU und CSU um Erst- und Zweitstimmen. Da es leichter ist, Stimmen aus dem bürgerlichen Lager für sich zu gewinnen als bisherige SPD- oder Grünen-Wähler zu überzeugen, würden CSU und CSU im selben Teich fischen. Aus der Geschichte wissen wir, dass Bruderkriege besonders brutal und blutig geführt werden. Das wäre bei diesem Schwesternkrieg nicht anders. Die Formel, „aufeinander einschlagen, gemeinsam siegen“, kann deshalb nicht aufgehen.

Gemeinsam neue Wähler gewinnen

Gleichwohl würde es – jedenfalls theoretisch – sinnvoll sein, wenn die CSU auch außerhalb Bayerns auf dem Stimmzettel stünde. Dann könnte sie all die Wähler einsammeln, denen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ebenso missfällt wie die sozialdemokratische Sozial- und die grüne Energiepolitik der CDU. Und die, die ihre „alte CDU“ vermissen und deshalb bereits zur AfD abgewandert sind oder mit diesem Gedanken spielen. Umgekehrt hätte eine noch deutlicher sozialdemokratisierte, grün imprägnierte CDU die besten Chancen, bei den „modernen“ Wählern links der Mitte zu gewinnen, was sie rechts der Mitte an die CSU verliert.

Bei der vergangenen Bundestagswahl hatte die CSU – aufs Bundesgebiet umgerechnet – 7,4 Prozent erhalten, die CDU in den übrigen 15 Bundesländern 34,1, zusammen 41,5 Prozent. Heute liegt die CSU allen Umfragen zufolge bundesweit auch bei rund 7 Prozent, die CDU aber nur noch bei ungefähr 23 bis 25 Prozent. Könnte die CSU im Bund auf Kosten der AfD jedoch ihren Stimmanteil auf 12 Prozent erhöhen, stünden die Unionsparteien insgesamt besser da als mit ihrer bisherigen Aufstellung. Denn ihr gelänge eine optimale Ausschöpfung ihres Wählerpotentials – links wie rechts der Mitte. Soweit die Theorie.

Keinen Wahlkampf gegeneinander führen

Funktionieren könnte das aber nur, wenn CDU und CSU dies auch wirklich wollen. Die neue „friedliche Koexistenz“ sähe dann so aus: Die CSU träte außerhalb Bayerns mit Landeslisten an, die CDU nähme das hin. CSU-Wähler außerhalb Bayerns könnten demnach mit der Erststimme die Kandidaten der Schwesterpartei wählen; nicht ein einziges CDU-Direktmandat ginge auf diese Weise verloren. Auch der organisatorische Aufwand hielte sich in Grenzen. Da die CSU bereits im Bundestag vertreten ist, müsste sie für die Einreichung ihrer außerbayerischen Landeslisten keine Unterschriften sammeln. Listen aufstellen, Listen beim Bundeswahlleiter einreichen – fertig.

Wenn beide C-Parteien klug vorgingen, einigten sie sich darauf, keinen Wahlkampf gegeneinander zu führen. Die CSU müsste sich zudem verpflichten, auf ihren Landeslisten außerhalb Bayerns nur solche Kandidaten zu nominieren, die bisher nicht Mitglieder der CDU waren. Bei der CDU nicht zum Zug gekommene Bewerber um eine Nominierung könnten also nicht „überlaufen“ und einen „Rachefeldzug“ gegen die CDU führen. Es läge nahe, dass die CSU auch außerhalb Bayerns bekannte CSU-Politiker auf die ersten Plätze ihrer nicht-bayerischen Landeslisten setzt. Eigene Landeslisten sicherten der CSU zudem zusätzliche Medienauftritte und verstärkten so die Unions-Präsenz in Talkrunden und ähnlichem außerhalb Bayerns.

Keine Chance ohne Risiken

Nichts im Leben hat nur Vorteile. Falls die CSU außerhalb Bayerns Stimmen einsammelt, wird der Anteil der CDU etwas kleiner. Daran könnte selbst ein Antreten der CDU in Bayern nur wenig ändern. Selbst wenn die CDU im Freistaat auf 15 Prozent käme, wäre das – umgerechnet auf den Bund – ein überschaubares Plus von gut zwei Prozentpunkten. Mit anderen Worten: Ein Antreten der CSU mit nicht-bayerischen Landeslisten würde die CDU unter Umständen einige Mandate kosten. In jedem Fall wäre das Gewicht der CSU im Bundestag im Verhältnis zur CDU dann größer.

Wie gesagt, es gibt keine Chance ohne Risiken. Aber sicher ist auch: Sollten CSU und CDU völlig zerstritten in die Wahl ziehen, ohne gemeinsame(n) Kanzlerkandidatin(en) und mit sich teilweise widersprechenden Wahlprogrammen, wäre das eine Konjunkturprogramm für die AfD und würde zudem Rot-Rot-Grün helfen. Ein mit der CDU abgestimmtes Antreten der CSU außerhalb Bayerns wäre freilich keine Garantie für einen Unionserfolg – aber jedenfalls eine Alternative zum kollektiven Selbstmord der beiden Schwestern.

 

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