Streit um den U-Bahnhof Mohrenstraße - Gimme Mohr!

Weil sich schwarze Aktivisten durch den Namen diskriminiert fühlen, wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) den U-Bahnhof „Mohrenstraße“ in „Glinkastraße“ umbenennen. Die BVG will damit ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Dabei läuft der Protest ins Leere.

Eingeknickt vor blindem Furor: Die BVG benennt den U-Bahnhof „Mohrenstraße“ in „Glinkastraße“ um / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Kennen Sie Gustav Sabac el Cher? Falls nicht, sind Sie damit nicht allein. Das ist schade, denn Gustav Sabac el Cher war einer der letzten schwarzen Heeresmusiker in der preußischen Armee. Nach Menschen wie ihm wurde eine U-Bahn-Station in Berlin benannt, die jetzt im Zentrum einer kontroversen Debatte steht, die den ganzen Irrsinn grüner Identitätspolitik spiegelt. Es geht um den U-Bahnhof Mohrenstraße in Berlin-Mitte. Der soll in Zukunft den Namen Glinkastraße tragen, nach dem russischen Komponisten Michail Glinka, der 1804 geboren wurde und 1857 in Berlin verstarb. So haben es die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) entschieden. 

Solche Umbenennungen sind nicht ungewöhnlich. Der U-Bahnhof Mohrenstraße hat seit seiner Eröffnung 1908 schon mehrfach den Namen gewechselt. Bis 1950 hieß er Kaiserhof. In Ost-Berlin trug er dann kommunistische Namen: Bis 1986 hieß er Thälmann-Platz und bis 1991 Otto-Grotewohl-Straße, nach dem langjährigen Ministerpräsidenten der DDR, bevor er nach den „Mohren“ aus dem Heeresmusikcorps benannte wurde.

Eine Zumutung für Schwarze und Anwohner? 

Die Geschichte bleibt nicht stehen. Die Namen spiegeln den Zeitgeist ihrer Epochen wieder. Was aber verrät es über die Gegenwart, wenn der Mohr auf den Müllhaufen der Geschichte soll – nach massivem Druck der Berliner Grünen? Markiert der Mord an George Floyd eine geschichtliche Zäsur wie der Abschied von der Monarchie oder der Mauerfall? Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man die Fraktionschefin der Berliner Grünen reden hört. 

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Sie fände es unerträglich, wie an dieser Stelle „der Kolonialismus in eine Wortschöpfung gegossen und Schwarze, Anwohnerinnen und Anwohner dem täglich ausgesetzt“ würden, ereiferte sich Antje Kapek auf dem Höhepunkt der Debatte um Polizeigewalt und Rassismus. Es sei höchste Zeit, dass der U-Bahnhof umbenannt werde. 

Der Nachwelt einen Bärendienst erwiesen 

Kapek wähnt sich dabei in bester Gesellschaft. Überall auf der ganzen Welt werden jetzt Statuen historischer Figuren vom Sockel gestürzt oder mit Farbe beschmiert. So, als könne man Geschichte ungeschehen machen, indem man das Andenken an die Täter entsorgt. Wisch & Weg.So beruhigt man die selbsternannten Anwälte der Opfer, die in ihrem moralischen Furor für einen Diskurs verloren sind, weil sie Argumente von Andersdenkenden nicht mehr gelten lassen. Man nimmt Druck aus dem Kessel. Aber der Nachwelt erweist man damit einen Bärendienst. Denn wie soll man aus der Geschichte lernen, wenn man ihre Spuren beseitigt? 

Diese Frage wirft die Biographie von Gustav Sabac el Cher auf. Ein Gemälde von ihm ist im Besitz des Deutschen Historischen Museums. Es zeigt ihn in preußischer Uniform, er hat den Arm um seine spätere Ehefrau Gertraud gelegt. Sie sehen glücklich aus. Als er 1934 starb, erhielt seine Witwe ein Beileidstelegramm des im holländischen Exil lebenden Kaisers Wilhelm II. und des Kronprinzen Wilhelm, in dessen Königsberger Regiment Sabac el Cher gedient hatte. Man könnte sagen: Mehr Wertschätzung, mehr Anerkennung geht nicht. 

Schwarze Diener als Statussymbol 

Taugt so einer für die Rolle als Opfer und Sklave? Er selbst hätte diese Frage sicherlich verneint. Gustav Sabac el Cher kam 1868 in Berlin zur Welt. Sein Vater August war als Kind von Prinz Albrecht von einer Ägyptenreise verschleppt worden worden. In adeligen Kreisen war das damals verbreitet. Schwarze Diener galten als Statussymbol. Sie mussten herhalten, um die Macht und die vermeintliche Überlegenheit ihrer Besitzer zu demonstrieren. Man nannte sie Mohren. 

Viele Kinder überlebten das nicht. Sie starben an Heimweh oder an europäischen Kinderkrankheiten. August Sabac el Cher hatte Glück gehabt. Er stieg erst zum Leibdiener von Prinz Albrecht und dann zu seinem Silberverwalter auf. Sein Sohn Gustav besuchte die höhere Bürgerschule und bekam Geigenunterricht. Mit 17 begann er seine Laufbahn als Militärmusiker. Nachdem er den Dienst in der Armee 1909 quittiert hatte, machte er sich einen Namen als Kapellmeister. Ein Akt der Befreiung. Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch.  

Protest gegen Verschleppung Minderjähriger

Man sollte sich diese Geschichte vor Augen führen, wenn man hört, wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die Umbennung des U-Bahnhofs Mohrenstraße begründen. „Als weltoffenes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt lehnt die BVG jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab.“ Aus Verständnis und Respekt um die kontroverse Debatte um den Namen habe man sich entschieden, ihn nicht weiter für die U-Bahn zu verwenden.

Aber wer wird durch den Namen „Mohrenstraße“ diskriminiert? Kapek spricht für die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), die schon lange die Umbenennung des U-Bahnhofs fordert, weil deren Name „auf Brandenburg-Preußens totgeschwiegenen Handel mit versklavten Afrikaner/innen um 1700 und auf die Verschleppung minderjähriger Schwarzer am Berliner Hof zurückgehe.“ Die Rede ist von „20.000 zwangsverschifften Kindern, Frauen und Männern", die auch an amerikanische Plantagenbetreiber verkauft worden seien. Von einem „der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“. Auf ihrer Homepage schreibt die ISD, sie werde von mehr als 20 afrikanischen Vereinen in Berlin und dem Migrationsrat Berlin-Brandenburg unterstützt. 

Reverenz an anders sprechende Menschen 

Was aber nützt es diesen Menschen, wenn der Name jetzt von den Schildern und Fahrplänen verschwindet? Ja, es ist wahr. Schwarze Menschen leiden mehr unter Diskriminierung als andere, egal, ob sie in Deutschland sozialisiert wurden und einen deutschen Pass haben oder nicht. Schon ihre Hautfarbe macht sie in den Augen vieler Menschen immer noch zu Exoten. Und ja, es ist statistisch erwiesen, dass schwarze Menschen häufiger von der Polizei kontrolliert werden. Sie haben es schwerer bei der Job- oder Wohnungssuche. 

Diese Nachteile aber verschwinden nicht, wenn man den Namen „Mohrenstraße“ aus dem kollektiven Gedächtnis löscht. Anders als von den Aktivisten behauptet, war der eine Verbeugung vor den neuen Mitbürgern. Darauf weist der Berliner Historiker Götz Aly hin. So wie die benachbarte Französische Straße in Berlin-Mitte eine Reverenz an hugenottische Glaubensflüchtlinge war, symbolisierte die Mohrenstraße „die Achtung vor anders sprechenden, anders aussehenden Menschen“.  

In der Falle der Identitätspolitik 

Insofern läuft der Protest gegen den Namen „Mohrenstraße“ nicht nur ins Leere. Er ist geradezu kontraproduktiv. Die Aktivisten nehmen selbst die Perspektive der Opfer an. Sie tappen in die klassische Falle der Identitätspolitik. Sie lassen sich reduzieren auf ein Klischee, das sie doch eigentlich überwinden wollen.  

Wenn es ihnen wirklich darum geht, über Preußen und den Kolonialismus zu sprechen, wäre die BVG gut beraten, in der Station Tafeln aufzuhängen, die das Thema von allen Seiten beleuchten. Dass sie stattdessen jetzt viel Geld ausgibt, um den U-Bahnhof nach einem russischen Komponisten zu benennen, in dessen Opern spitzfindige Kenner sogleich antisemitische Inhalte entdeckt haben, ist die bittere Pointe der Geschichte. Liegt das im Interesse der Aktivisten? Sie hatten unter anderem George Floyd als neuen Namensgeber vorgeschlagen. Dabei muss man gar nicht nach Amerika schauen, um schwarze Vorbilder zu suchen. 

Wie gesagt, man findet sie auch in Berlin.

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