TV-Duell - Genosse Martins letzte Hoffnung

Im einzigen direkten Schlagabtausch mit der Bundeskanzlerin will Martin Schulz vor der Bundestagswahl noch die Trendwende erzwingen. Dabei muss der SPD-Kanzlerkandidat längst gegen Widersacher aus dem eigenen Lager kämpfen

Martin Schulz kämpft beim TV-Duell nicht nur gegen die Kanzlerin / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Gut drei Wochen noch sind es bis zur Bundestagswahl, aber für die Sozialdemokraten und ihren Kanzlerkandidaten sieht es nicht besonders gut aus. In Umfragen liegt die SPD rund 15 Punkte hinter der Union und es geht für die Partei eher runter und nicht rauf. Mit seinen programmatischen Vorstößen kann Martin Schulz gegen die politische Beliebigkeit der Kanzlerin keine Punkte machen. Die Wahlkampagne läuft nicht rund, die Wahlkämpfer im Willy-Brandt-Haus sind zerstritten. Nicht wenige Sozialdemokraten, auch führende, zweifeln bereits an einem Wahlerfolg. Und der Ex-Parteichef und Außenminister Sigmar Gabriel macht das, was er schon immer am besten konnte: Er macht Wahlkampf auf eigene Rechnung, ohne auf den Kanzlerkandidaten Schulz Rücksicht zu nehmen.

Mögliche Nachfolger schon in den Startlöchern

Kein Wunder also, dass hinter den sozialdemokratischen Kulissen und auch davor längst darüber spekuliert wird, wer nach der Wahl der starke Mann in einer geschlagenen SPD sein könnte,  wer Fraktionsvorsitzender werden wird und ob Martin Schulz überhaupt Parteivorsitzender bleiben kann. Landet die SPD am 24. September bei jenen 22 Prozent, die an diesem Freitag die Forschungsgruppe Wahlen in einer aktuellen Umfrage ausweist, dann wird der Kanzlerkandidat am Dienstag nach der Wahl nicht Fraktionsvorsitzender. Und dann sind auch seine Tage als SPD-Vorsitzender gezählt. Arbeitsministerin Andrea Nahles, Generalsekretär Hubertus Heil oder Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz stehen für die Nachfolge bereits in den Startlöchern.

Martin Schulz kämpft im Wahlkampf also an zwei Fronten, als Kanzlerkandidat gegen Merkel und als SPD-Vorsitzender um sein politisches Überleben.

Die Stunde des Herausforderers

Als letzte Chance, den Trend an beiden Fronten noch zu drehen, haben die sozialdemokratischen Wahlkämpfer das TV-Duell am Sonntag ausgemacht. Ab 20:15 Uhr treffen sich Martin Schulz und Angela Merkel in einem Fernsehstudio in Berlin-Adlershof zum Schlagabtausch. Die vier beteiligten Fernsehsender (ARD, ZDF, Sat 1 und RTL) sprechen vom „Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes“. Das TV-Duell, das vor vier Jahren von rund 17,5 Millionen Zuschauern verfolgt wurde, ist im Wahlkampf traditionell die Stunde des Herausforderers. Es ist für Martin Schulz die entscheidende Gelegenheit, sich den Wählern in der direkten Konfrontation mit der Kanzlerin zu präsentieren, sie anzugreifen und ihren weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf bloßzustellen. Und er muss die Wähler davon überzeugen, dass er Kanzler kann.

Wie an den letzten Strohhalm klammern sich die Sozialdemokraten an diese Gelegenheit. Sie verweisen auf die vielen unentschieden Wähler, deren Zahl, je nach Umfrage zwischen 30 und 50 Prozent liege. Sie verweisen auf die fragile politische Stimmung und auf die gut besuchten Kundgebungen des Kanzlerkandidaten überall in der Republik. Und sie verweisen darauf, dass Merkel bei ihren drei bisherigen TV-Duellen gegen Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück immer geschlagen das TV-Studio verlassen hat. Gegen Schröder und Steinbrück klar, gegen Steinmeier knapp. Doch nur 2005, als Merkel die Herausforderin war, geriet ihr Wahlsieg auf den letzten Metern des Wahlkampfes noch in Gefahr.

Schulz fehlt die Machtperspektive

Martin Schulz wird am Sonntag versuchen, Angela Merkel bei Themen wie Rente, Bildung oder Gerechtigkeit zu konkreten Aussagen zu zwingen. Er wird sie programmatisch angreifen und versuchen, die Beliebigkeit der Kanzlerin zu entlarven. Aber die beiden entscheidenden Defizite seiner Wahlkampagne wird er damit nicht überspielen können. Die Wähler trauen Schulz das Kanzleramt nicht zu. In Sachen Kompetenz, Vertrauen und Beliebtheit liegt er weit abgeschlagen hinter der Kanzlerin. Und Schulz hat keine Machtperspektive. In keiner Umfrage gibt es derzeit eine Mehrheit für ein Linksbündnis oder eine Ampel-Koalition.

Machtpolitisch stellen sich für die Wähler in den letzten drei Wochen des Wahlkampfes deshalb andere Fragen: Regiert die Union nach der Wahl mit der FDP, mit den Grünen oder in einer Jamaika-Koalition gar mit beiden? Oder kommt es zu einer Neuauflage der Großen Koalition mit der SPD als Juniorpartner? Dass die SPD noch stärkste Partei werden und eine Große Koalition anführen könne, glaubt selbst unter den sozialdemokratischen Wahlkämpfern niemand mehr.

Das Dilemma des Spitzenkandidaten

Um so interessanter wird es für Martin Schulz an der zweiten Front, an der innerparteilichen. Für sein politisches Überleben braucht er am 24. September zumindest einen Achtungserfolg. Um den zu erreichen, wäre es eigentlich klug, im TV-Duell Merkel nicht frontal anzugreifen, sondern die gemeinsamen Erfolge in der Regierung herauszustellen. Er müsste also auf Platz und nicht auf Sieg setzen. Aber das wird sich der SPD-Kanzlerkandidat nicht trauen, denn die Große Koalition ist zwar beim Wähler beliebt, aber nicht unter den Mitgliedern der SPD. Vor allem alle sozialdemokratischen Wahlkämpfer würde der Kanzlerkandidat so demoralisieren. Letztendlich also kann Martin Schulz am Sonntag nichts gewinnen, sondern nur verlieren.

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