Trauerakt für den Altkanzler - Kohls letzter Dienst

Beim europäischen Trauerakt für Helmut Kohl würdigen ihn seine politischen Weggefährten. In ihren Worten wird die Lücke deutlich, die der Tod des zutiefst überzeugten Europäers und Friedensstifters hinterlässt. Das macht traurig, aber auch hoffnungsvoll

Angela Merkel vor dem Sarg ihres einstigen Mentors / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ob Helmut Kohl Gefallen an der Trauerfeier zu seinen Ehren gefunden hätte? Diese Frage ist müßig, weil es keine Antwort darauf geben kann. Mit Sicherheit aber hätte sich der Kanzler der deutschen Einheit über die Anwesenheit und die Worte einiger Weggefährten gefreut: Jean-Claude Juncker, Bill Clinton, Felipe González, um nur einige zu nennen. Dass offenbar entgegen Kohls Wunsch der ungarische Ministerpräsident von der Rednerliste gestrichen wurde, dafür gibt es wiederum politische Gründe, die ganz gewiss nicht nur Victor Orbán zu verantworten hat. Kohl schätzte ihn bis zuletzt, sah auch in Orbán einen Europäer – weil der verstorbene Bundeskanzler immer ein Gespür hatte für die unterschiedlichen Befindlichkeiten in den unterschiedlichen Teilen Europas. Auch darin bestand seine Größe, und damit hob er sich so wohltuend von weiten Teilen der heutigen Politikergeneration ab. Insofern ist es nicht ohne bittere Ironie, dass ausgerechnet diese empathische Eigenschaft Kohls während des Trauerakts in Straßburg mehrfach würdigend hervorgehoben wurde.

Marcrons halber Affront

In gewisser Weise hat Helmut Kohl dem Kontinent Europa, der sein Lebensinhalt war, im Straßburger Parlament einen letzten Dienst erwiesen. Denn mit dem Tod dieses zutiefst überzeugten Europäers und Friedensstifters wird man sich jener Lücke bewusst, die er hinterlässt. Und die Behauptung ist gewiss nicht vermessen, dass Kohl es gemocht hätte, wenn aus Anlass seines Todes nicht nur über den Verstorbenen geredet wird, sondern auch politisch. Am engagiertesten war da der neue französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der seine Traueransprache für einen regelrechten Appell an seine anwesenden Kollegen nutzte und eindringlich daran erinnerte, dass man das gemeinsame europäische Haus nicht nur bewohnen, sondern auch täglich pflegen müsse. „Für meine Generation ist Kohl schon ein Teil der europäischen Geschichte“, sagte Macron, doch an Historisierung war dem 39-Jährigen erkennbar nicht gelegen. Vielmehr rief er die deutsche Bundeskanzlerin direkt und ausdrücklich dazu auf, dem Erbe Helmut Kohls gerecht zu werden. Das war in dieser Form und zu diesem Anlass schon ein halber Affront – und dennoch die richtige Wortwahl zum richtigen Zeitpunkt.

„Ein politischer Gigant“

Großbritanniens Premierministerin Theresa May, die sich mit der Rolle als Zuhörerin begnügen musste, wurde in Straßburg Zeugin eines bewegenden Aktes, bei dem sich von einem echten Staatsmann verabschiedet wurde und gleichzeitig dessen Ideen und Visionen Wiederbelebung erfuhren. Es war tatsächlich eine bewegende europäische Feierstunde, und dass die Briten künftig andere Wege gehen wollen – auch das gab den Anlass für die pathetischen Beschwörungsformeln während der Trauerfeier für den sechsten deutschen Bundeskanzler. Als einen „politischen Giganten“ würdigte ihn Antonio Tajani, der Präsident des Europäischen Parlaments, „sein Beispiel muss uns anleiten, unsere Zukunft in Europa gemeinsam zu gestalten“. Wie fast alle Redner nach ihm hob Tajani hervor, dass Helmut Kohl nach einem europäischen Deutschland, nicht nach einem deutschen Europa strebte. Offenbar herrscht bei unseren Nachbarn der Eindruck vor, an dieses historische Vermächtnis erinnern zu müssen: „Europa spricht deutsch“, hieß es ja bekanntlich in Berlin – und zwar aus dem Munde eines Mitglieds der CDU, deren Ehrenvorsitz Helmut Kohl verweigert wurde. Nun ja.

Vieles kann man Jean-Claude Juncker vorwerfen, aber gewiss keine mangelnde Eloquenz. Seine schwungvolle Rede war geprägt von echter Freundschaft und Hochachtung für einen Homme d‘État, der die Gunst der historischen Stunde erkannt und vor allem ergriffen habe – „als deutscher und europäischer Patriot“. Juncker erinnerte daran, wie wichtig Kohl gute Beziehungen auch zu den Ländern Mittel- und Osteuropas gewesen seien, nicht zu vergessen Israel. „Versprich mir, dass du im Himmel keinen neuen CDU-Ortsverein gründest“, sagte der Kommissionspräsident mit Blick auf Kohls Sarg. Denn der Kanzler habe auf Erden schon genug geleistet.

Signale der Annäherung von Medwedew

Ratspräsident Donald Tusk erinnerte sich als Pole mit Genugtuung daran, wie Helmut Kohl stets die Verdienste der Danziger Werftarbeiter für den späteren Umbruch in Europa und damit auch für die deutsche Wiedervereinigung gewürdigt habe. Gerade vor diesem historischen Hintergrund ist es besonders bitter, dass einem Vertreter Ungarns – eines Landes also, welches ebenfalls erheblichen Anteil am Mauerfall hatte – die Rede verweigert wurde. Zumal ja auch der russische Ministerpräsident Dimitri Medwedew zu Wort kam, der die „ideologischen Mauerreste“ in der Welt beklagte und daran erinnerte, dass Helmut Kohl Russland als Partner und als einen Teil Europas verstanden habe. Es waren unmissverständliche Signale der Annäherung, die Medwedew in Straßburg von sich gab, als er über den Kanzler bekannte: „In Russland gedenken wir einem Politiker mit Weitblick.“

Bill Clinton, der übrigens als einziger auch namentlich den beiden Söhnen Kohls kondolierte, würdigte seinen langjährigen politischen Weggefährten dafür, dieser habe eine Welt schaffen wollen, „in der niemand einen anderen dominiert“. Auch diese Anmerkung dürfte nicht ganz ohne aktuelle politische Bezüge gewesen sein. Das gilt wohl ebenso für die Worte des ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe González, der davon sprach, wie sehr die soziale Dimension des europäischen Einigungsprozesses ein Anliegen des verstorbenen deutschen Kanzlers gewesen sei. „Helmut, du verlässt uns zu einem Zeitpunkt, an dem wir dich gebraucht hätten“, verabschiedete González seinen Freund.

Merkel zum Schluss 

Zum Schluss dann Angela Merkel. Dass sie Helmut Kohl als eines Mannes mit „unerschütterlichen Überzeugungen“ gedachte, hatte nicht zuletzt nach dieser parlamentarischen Woche eine besondere Note. „Was er sagte, dazu stand er“: Auch dieser Satz ließ eher an alte politische Tugenden denken als an die aktuelle Berliner Tagespolitik. Aber historische Leistungen, und das wurde bei dieser Trauerfeier besonders klar, werden oft erst in der Rückschau deutlich. Zumindest insofern besteht also kein Grund zum Verzweifeln. „Jede Generation in Europa“, so die deutsche Bundeskanzlerin, „muss Antworten darauf finden, wie Europa zukunftsfest wird.“ Man möchte ihr wünschen, dass sie wie ihr einstiger Mentor Helmut Kohl in der Lage ist, die historische Gunst der Stunde zu erkennen. Und zu nutzen.

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