SPD-Nachwuchskandidat Tim Vollert - „Stellen Sie sich vor, Friedrich Merz geht eine schwarz-grüne Koalition ein“

Tim Vollert ist 20 Jahre alt, SPD-Mitglied, aktiv bei „Fridays for Future“ und möchte in den Bundestag. Warum er nicht zu den Grünen geht, was er sich unter sozialem Klimaschutz vorstellt und was er von der SPD für eine China-Politik erwartet, erzählt er im Interview.

Tim Vollert gemeinsam mit dem SPD-Kanzlerkandiaten Olaf Scholz / privat
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Warum zieht es junge Menschen heutzutage in die Politik? Mit unserer neuen Interview-Serie „Jetzt wollen wir“ starten wir ins Bundestagswahljahr 2021. Wir stellen Nachwuchspolitikerinnen und -politiker vor, die etwas verändern wollen.

Der 20-jährige Tim Vollert, SPD, will als Bundestagskandidat für den Kreis Höxter, NRW, antreten.

Herr Vollert, Sie sind erst 20 Jahre alt und möchten für die SPD in den nächsten Bundestag einziehen. Gleichzeitig engagieren Sie sich als Klimaaktivist bei „Fridays for Future“. Vergraulen Sie damit den Sozialdemokraten nicht die letzten verbliebenen Wähler?
Was für eine brutal gestellte Einstiegsfrage (lacht). Nein. Ich denke, dass da absolut kein Widerspruch besteht. Das würde ja voraussetzen, dass die Leute, die SPD wählen, erst mal ein Problem mit dem Klimaschutz hätten. Mein Ansinnen ist es ja, dass die SPD ein eigenes Klimaschutzkonzept aufstellt, dass soziale Belange stärker berücksichtigt. Ich erwarte dadurch eine stärkere Akzeptanz.

Aber ist es nicht gerade diese Unentschiedenheit zwischen einerseits Klimaschutz und andererseits Arbeitsplatzerhalt, der viele SPD-Wähler zu den Grünen einerseits und zur AfD andererseits getrieben hat?
Klimaschutz schafft ja viele neue Arbeitsplätze. Aber es geht um mehr, nämlich um Wohlstand. Die Menschen haben Angst, dass Produkte teurer werden und sie sich nichts mehr leisten kann. Wir wollen allen Sorgen begegnen.

Tim Vollert (20) / privat

Jetzt klingen Sie schon wie ein ausgewachsener Politiker. „Man muss den Sorgen begegnen“ – was heißt das denn konkret?
Also, das fasse ich jetzt mal als Kompliment auf (lacht). Aber im Ernst: Wenn ich privat meinen CO2-Ausstoß verringern will und mich gesünder ernähren will ist das ein guter Anfang, aber bislang auch verdammt teuer. Wer etwa Bioprodukte kaufen will oder ein Elektroauto, merkt das sofort. Darum schaffen wir Konzepte, damit effektiver Klimaschutz nicht auf dem Rücken der Mittelschicht oder Menschen mit sehr wenig Geld ausgetragen wird.

Sie wollen effektiven Klimaschutz. Dann hätten Sie aber doch den Grünen beitreten können oder eben der noch radikaleren neuen Klima Liste.
Ich denke, dass es ohne die SPD nicht geht. Wir brauchen eine Stimme, die Rücksicht nimmt auf die sozial Abgehängten. Stellen Sie sich vor, ein Friedrich Merz geht eine schwarz-grüne Koalition ein. Na dann aber gute Nacht. Meine Präferenz ist ganz klar Rot-Rot-Grün – vorausgesetzt die Linke bewegt sich in Sachen verantwortlicher Außenpolitik.

Auch die Grünen versprechen viele neue, nachhaltige Arbeitsplätze. Was ist Ihre konkrete Idee für adäquat bezahlte Arbeitsplätze, die bisher vor allem nach wie vor in den alten Industrien zu finden sind?
Die Bundesregierung hat einen guten Schritt in die richtige Richtung gemacht, nämlich im Bereich Wasserstoff. Wenn wir hier ein globaler Vorreiter werden, können wir auch künftig gut bezahlte Industriearbeitsplätze anbieten. Mit dem Green New Deal der EU steigen auch die Chancen, die Solarindustrie in Deutschland wieder aufzubauen und die Windkraft zu stärken. Aber nicht alles lässt sich planen oder vorhersagen.

Sie sprechen den wichtigen Punkt Energie an. Durch eine Transformation hin zu klimafreundlicher Industrie wird unser Strombedarf und damit der Bedarf an erneuerbaren Energien um ein Vielfaches steigen. Woher sollen die kommen?
Ja, das ist ein schweres Thema. Es wäre sicherlich schöner gewesen, wenn wir zuerst aus der Kohlekraft ausgestiegen wären statt aus der Atomkraft. Dennoch bleibt der Atommüll ein auf viele Jahre ungelöstes Problem. Wir werden in Energiefragen vermutlich immer auch ein bisschen abhängig von anderen Staaten sein. Aber kein Land der Welt wird in Zeiten der Globalisierung nur noch sein eigenes Ding machen können. Was dabei wichtig wäre: Wir müssen unsere Importe diversifizieren, um nicht von einzelnen Ländern einseitig abhängig zu sein.

Abhängigkeit ist ein großes Thema auch bei der Digitalisierung. Derzeit können wir scheinbar nur wählen zwischen Technologien aus den USA oder aus China. Wie gehen Sie als Sozialdemokrat damit um?
China ist eine ganz schwere Geschichte. Wir stehen hier momentan in zu einseitiger Abhängigkeit. Ein Stichwort ist die Marktöffnung. Hier läuft vieles nicht fair für uns. Wir müssen es schaffen, hier China zur Fairness zu bewegen. China ist kein demokratischer Staat. China ist ein Unrechtsstaat, der gerade einen Genozid an den Uiguren betreibt und auch eine sehr imperialistische Politik etwa im Umgang mit Taiwan oder mit seiner neuen Seidenstraße und Investitionen in afrikanischen Ländern. Und das sind nur paar Beispiele. Die Menschenrechte aller Chinesen werden ständig missachtet.

Wie sollen wir Unabhängigkeit erreichen?
Weder kann Deutschland, noch kann die EU das wirklich erreichen. Jetzt, da Joe Biden zum US-Präsidenten gewählt wurde, steigen die Chancen, gemeinsam mit den USA wieder mehr Druck aufzubauen. Von meiner Partei aber erwarte ich in unserem Bundestagswahlprogramm eine hart und unmissverständliche Haltung gegenüber China. Wir können nicht weiter so tun, als sei dieses Land einfach nur einer weiterer Partner von vielen. Man darf auch deutschen Konzernen wie VW nicht erlauben, so zu tun, als ob es in China keine Probleme gäbe. Das gilt übrigens auch in Sachen Klimaschutz. Da müssen wir China dazu bringen, die angekündigten sehr ambitionierten Ziele auch umzusetzen. Wir schaffen die Wende nicht ohne die Chinesen.

Ist Olaf Scholz dafür der Richtige?
Tatsächlich habe ich mir von Beginn an Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als Parteivorsitzende gewünscht. Aber schon damals auch Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten. Innerparteilich war es mir wichtig, dass Streitigkeiten aufhören. Das haben die beiden bestens geschafft. Und Olaf Scholz ist einer der beliebtesten SPD-Politiker. Als Finanzminister zeigt er gerade, was er kann. Er hat Erfahrung in vielen Ämtern, gepaart mit seiner ruhigen Art macht ihn das für mich zu einer sehr guten Wahl.

In Umfragen steht die SPD trotzdem nicht gut da. Wann startet der Scholz-Zug?
Das Parteiprogramm wird ja gerade geschrieben. Da konnte sich die Basis gut einbringen. Bald stehen die Kandidaten fest und ich würde sagen dann geht's los.

Und an der Basis brodelt es nicht?
Nein, das kann ich nicht sagen. Im Gegenteil. Ich erfahre gerade selber starke Unterstützung für meine Kandidatur und für meine Positionen. Die SPD ist bereit für personelle und inhaltliche Erneuerung. Dass etwa mein Kreisverband jetzt mit mir einen 20-Jährigen aufstellen könnte, zeigt, dass wir schon länger geschlossen bereit sind für Zeichen der Erneuerung.

Ihr Kreis Höxter gehört zu den ältesten in ganz Deutschland. Warum leben Sie eigentlich noch dort?
Ja, bis 2035 wird Höxter der Kreis mit dem höchsten Altersdurchschnitt sein. Ich weiß nicht, vielleicht nennt man das Lokalpatriotismus. (lacht). Ich mag diesen Kreis und diese Gegend und wohne hier sehr gerne. Ich habe hier meine Freunde. Das sind aber Bindungen, die nicht bei jedem Menschen so existieren. Wenn das kulturelle Leben immer dünner wird, ist das für viele schwierig. Es gibt keine Jugend-Treffpunkte mehr in meiner Stadt. Wenn man sich hier treffen will, dann am Ufer der Weser und dort ist es nachts absolut dunkel und außerdem sehr oft arschkalt.

Wie würden Sie den demografischen Wandel in ländlichen Regionen bekämpfen?
Neben Klimaschutz und Chinapolitik ist Demografie meiner Ansicht nach wirklich das dritte wichtige Thema für meine Generation. Die Kommunen müssen aus dem Teufelskreis kommen. Meine Stadt hatte in den 80ern 16.000 Einwohner, jetzt sind es noch 13.500. Dass es zuletzt wieder einen Anstieg gab, lag an der Flüchtlingsmigration. Und das kann ja nicht die Antwort auf den Wegzug sein. SPD und Grüne haben hier zum Beispiel ganz gezielt dafür geworben, Tesla-Standort zu werden. Das wurde von der CDU abgelehnt mit der Begründung, dass dann andere schon ansässige Unternehmen höhere Löhne für ihre Azubis zahlen müssten. Dabei haben wir hier schon eines der niedrigsten Lohnniveaus in Westdeutschland. Was ist das für ein Signal für die Jugend? So schafft man keine Anreize, hierbleiben zu wollen. Auch wenn wir die Bewerbung nicht gewonnen hätten, auch andere Investoren wären dann vielleicht neugierig auf unseren Standort geworden. Wir müssen hier einfach agiler werden.

Klingt das nach SPD?
Die SPD ist zu Recht sehr stolz darauf, eine Partei zu sein, die den Kontakt zur Landbevölkerung nie verloren hat. Anders als die Grünen, die vor allem in urbanen Milieus unterwegs sind, sind wir hier stärker verwurzelt.

Wer wäre Ihr Lieblingsgegner als Spitzenkandidat bei CDU und Grünen? Laschet, Merz oder Röttgen? Habeck oder Baerbock?
Ich bin ja auch in Kontakt mit Mitgliedern der Jungen Union. Mit denen habe mich auch darüber unterhalten. Zur Profilierung unserer politischen Richtungen wäre es ganz klar Friedrich Merz, ein Politiker, der wirkt, als sei er gerade aus den 90ern gefallen, der alte Thesen vertritt und ständig zeigt, dass er auch beim Klimaschutz nicht auf Höhe der Zeit ist.

Und bei den Grünen – Habeck oder Baerbock?
Schwere Frage. Für mich wirkt Annalena Baerbock wie die Kompetentere von den beiden. Bei Habeck habe ich immer das Problem, mir vorzustellen, er wäre jetzt Kanzler und würde Staatsbesuche machen. Ich glaube, das geht vielen Bürgern so. Deswegen würde ich wohl Habeck sagen. Wenn der aufgestellt würde, würden viele zögern, die Grünen zu wählen.

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