Streitgespräch - „Was nach 2030 mit der Rente passieren soll, verrät die SPD nicht“ – „Das ist komplett falsch“

Kolumne: Lechts und Rinks. Angela Marquardt verteidigt das Rentenkonzept der SPD und wirft der Union in diesem Thema Feigheit vor. Hugo Müller-Vogg stimmt teilweise zu, aber auch der SPD fehle die langfristige Perspektive

Die SPD hat ein Rentenkonzept bis 2030 vorgelegt, die Union die Diskussion auf nach der Wahl abgeschoben / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Angela Marquardt saß von 1998 bis 2002 für die PDS im Bundestag. 2003 trat sie aus der Partei aus, und 2008 in die SPD ein. Sie ist Mitarbeiterin im Bundestagsbüro von Sozial- und Arbeitsministerin Andrea Nahles sowie Geschäftsführerin des Arbeitskreises „Denkfabrik“ der SPD.

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Marquardt: Ich weiß ja, dass das Thema Rente zu Ihren Lieblingen gehört. Wir haben ein Konzept vorgelegt. Wie stehen Sie eigentlich dazu, dass sich die CDU/CSU einer Rentendebatte verweigert? Im Wahlkampf zu sagen, unser Renten-„Konzept“ besteht darin, nach der Wahl eine Renten-Kommission zu berufen, ist meiner Meinung nach hilflos oder feige. Weiß die CDU/CSU wirklich nicht, was sie will? Oder sind die Rentenpläne der Union, wenn ich an das Renteneintrittsalter denke, so unsozial, dass sie diese lieber verschweigt?

Müller-Vogg: Sie haben Recht. Es ist im Grunde Politik-Verweigerung, dass die Union vor der Wahl nicht sagen will, was sie nach der Wahl vorhat. Nichts gegen Kommissionen, aber ein paar Eckpunkte, wie es nach Ansicht der Union mit der Rente nach 2030 weitergehen soll, wüsste ich als Wähler schon gerne. Das SPD-Konzept sieht zwar bis 2030 mehr Geld für alle vor; sowas kommt immer gut an. Was aber nach 2030 passieren soll, verrät die SPD ebenfalls nicht. Keine Erhöhung des Renteneintrittsalters kommt bei den Gewerkschaften gut an, löst aber nicht unser demografisches Problem. Wenn nach 2040 weniger als zwei Berufstätige einen Rentner finanzieren müssen, kann ich nicht so tun, als lebten wir noch im vergangenem Jahrhundert. Genau das versucht die SPD aus wahltaktischen Gründen. Und die CDU/CSU wagt aus denselben durchsichtigen Gründen nicht, zu widersprechen.

Marquardt: Nein, dieses Bild von der SPD ist komplett falsch. Merkel hat im Juni dieses Jahres gesagt, dass das deutsche Rentensystem mit den vergangenen Reformen stabil ist. Ich glaube, das sehen die derzeitigen und künftigen Rentnerinnen und Rentner ganz anders. Wenn wir das Rentensystem nicht in der nächsten Legislaturperiode ändern, dann wird das Rentenniveau massiv sinken. Das hat in diesem Land niemand verdient, im wahrsten Sinne des Wortes. Wer die Zukunft gestalten will, muss dies im Blick haben. Wer nicht nur das vergangene Jahrhundert verwalten will, muss sehen, dass wir heute eine neue Situation haben. Wir können das Rentenniveau sichern, aber das geht nicht von selbst. Natürlich kostet das auch was. Es kostet 2030 19 Milliarden mehr im Jahr, runtergerechnet sind das 20 Euro pro Person. Ich glaube, das schaffen wir.

Müller-Vogg: Zunächst mal: Die geltenden Regelungen bei der Rente bis 2030 basieren auf dem Konzept des damaligen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering von 2007. Der hatte – Basis „Volksschule Sauerland“ – richtig erkannt, dass die demografischen Veränderungen auch bei der Rente zu Anpassungen führen müssen. Nur: Es ist ja nichts Neues, dass die SPD ihre eigenen Konzepte plötzlich als unsozial darstellt – je nach Umfragezahlen. Nun zu den Kosten. Der Schulz-Plan kostet bis 2030 nach SPD-Angaben 80 Milliarden Euro. Die Kosten werden aber danach geradezu explodieren, weil die Zahl der Rentner nach 2030 dramatisch ansteigt und die der Beitragszahler weiter sinkt.  Die SPD ist, ebenso wie die CDU/CSU, zu feige, aus den unumstößlichen Fakten – mehr Rentner mit immer längerer Lebenserwartung bei immer weniger Beitragszahlern – die Konsequenzen zu ziehen. Verschiebung des Renteneintrittsalters analog zur steigenden Lebenserwartung. Natürlich bei entsprechender Verbesserung der Rentenleistung für Menschen, die – unabhängig vom Alter – nicht mehr arbeiten können.

Marquardt: Grundsätzlich wollen und müssen wir unserer Meinung nach das Rentensystem reformieren, damit sich auch die heute Jüngeren auf die gesetzliche Rente verlassen können. Für uns bleibt sie die tragende Säule der Altersvorsorge. Wir kämpfen dafür, dass man nicht privat vorsorgen muss, aber natürlich kann. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie voll auf Schäuble- oder Spahn-Linie sind... (lacht). Beide wollen ja wie Sie einen Automatismus – bei steigender Lebenserwartung steigt auch das Renteneintrittsalter. Irgendwann arbeiten wir bis 90? Was soll diese Kopplung? Menschen sollen natürlich länger arbeiten, wenn sie das möchten und können. Aber die Pflichtgrenze zu erhöhen, die real viele nicht erreichen, ist doch in Wahrheit eine verkappte Rentenkürzung. Genau deswegen bezieht die Union heute noch keine Stellung.

Müller-Vogg: Obwohl Sie noch so jung sind, scheinen Sie vergesslich zu sein: Die Stärkung der privaten Vorsorge mit staatlicher Hilfe (Riester- und Rürup-Rente) war nicht die Schnapsidee herzloser Neoliberaler, sondern ist eine Errungenschaft von Rot-Grün, nur mal so. Um zum Grundproblem und unserem grundlegenden Dissens zurückzukommen: Sie können weder mit gutem Willen noch per Parteitagsbeschluss erzwingen, dass immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentner ernähren. Jedenfalls nicht bei gleichzeitiger Erhöhung des Rentenniveaus und Deckelung des Rentenbeitrags. Ihr Parteigenosse Müntefering wird Ihnen das gerne vorrechnen (lacht). Meines Erachtens hat die FDP den überzeugendsten Ansatz: Wer im Alter von 60 Jahren Rentenansprüche mindestens in Höhe der Grundsicherung erarbeitet hat, kann in Rente gehen, wann er will. Wer länger arbeiten kann und will, darf das unbegrenzt. Und mit jedem weiteren Beitrags-Jahr erhöht er seine Rente. Mein Ideal sind mündige Arbeitnehmer und Rentner, nicht staatlich betreute und bevormundete.

Diese Diskussion ist Teil unserer Serie von Streitgesprächen zwischen der linken SPD-Politikerin Angela Marquardt und dem konservativen Publizisten Hugo Müller-Vogg. Trotz der politischen Unterschiede verbindet beide eine Freundschaft. Bis zur Bundestagswahl werden sie regelmäßig das Politgeschehen kommentieren.

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