Streitgespräch - „Gewalt kann per se nicht links motiviert sein“ - „Neonazis waren es sicher nicht“

Kolumne: Lechts und Rinks. Für Angela Marquardt sind die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg mit dem Begriff links nicht vereinbar. Hugo Müller-Vogg hält dagegen

Ausschreitungen zum G20-Gipfel im Hamburger Schanzenviertel / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Angela Marquardt saß von 1998 bis 2002 für die PDS im Bundestag. 2003 trat sie aus der Partei aus, und 2008 in die SPD ein. Sie ist Mitarbeiterin im Bundestagsbüro von Sozial- und Arbeitsministerin Andrea Nahles sowie Geschäftsführerin des Arbeitskreises „Denkfabrik“ der SPD.

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Hugo Müller-Vogg: Es gibt zwischen uns beiden zweifellos keinen Dissens, dass Gewalt als Mittel der Politik in höchstem Maß undemokratisch und inhuman ist. Das haben wir ja beim G20-Gipfel in Hamburg gesehen. Was ich aber nicht verstehe, dass die Gewalttäter von Hamburg keine Linken gewesen sein sollen. Neonazis waren sie sicher nicht.

Angela Marquardt: Da bin ich aber froh, dass mir nicht wieder unterstellt wird, ich würde Gewalt auch nur im Ansatz legitim finden. Wir werden also schwerlich einen Dissens finden. Wer Gewalt relativiert, ist weder links noch an demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen oder Menschen interessiert.

Müller-Vogg: Also, wer mit Gewalt gegen den „Kapitalismus“ zu Felde zieht, wie jetzt ins Hamburg, gehört doch sicher nicht ins rechtsextreme Lager. Mir fällt auf, dass viele SPD-Politiker behaupten, aufgrund linker, antikapitalistischer Motive werde niemand gewalttätig. Die RAF hat aus linksextremistischen Motiven gemordet, die NSU aus rechtsextremistischen – was denn sonst?

Marquardt: Wie kommen sie denn auf die Idee, dass diejenigen, die in Hamburg Autos angezündet, Geschäfte zerstört und Angst verbreitet haben, gegen den Kapitalismus zu Felde gezogen sind? Ich habe nur blinde Zerstörungswut gesehen. Und zur RAF: Kann ja sein, dass die sich selbst als unglaublich links und antikapitalistisch empfunden haben. Wer Menschen ermordet und Gewalt anwendet, hat den Grundgedanken linker Politik nicht verstanden. Man kann sich nur schämen, dass sich solche Leute links nennen und Menschen wie mich damit diskreditieren.

Müller-Vogg: Die Sympathisanten der Gewalttäter aus der linken Hamburger Szene, zum Beispiel aus der Roten Flora, machen aus ihrem antikapitalistischen Bewusstsein keinen Hehl. Ich verstehe ohnehin die Aufregung über den Begriff „linke Gewalt“ nicht. In der polizeilichen Kriminalitätsstatistik wird bei politisch motivierten Straftaten immer zwischen „links“ und „rechts“ unterschieden; in den Verfassungsschutzberichten übrigens auch. Die politische Linke differenziert selbst auch nicht, wenn sie zum „Kampf gegen rechts“ bläst. Da werfen die großen Vereinfacher à la Stegner alles in einen „rechten“ Topf. Konservative, CDU/CSU, AfD, Pegida, NPD, NSU – von rechter Mitte bis zu den Rechtsextremen: Alles kommt in denselben Sack und dann wird kräftig draufgeschlagen.

Marquardt: Dass ich differenziere, wissen Sie. Und ganz ehrlich: Was im Verfassungsschutzbericht dazu steht, ist mir egal. Gewalt ist das Mittel von Demokratie- und Menschenfeinden und kann damit – für mich – per se nicht links motiviert sein. Mal davon abgesehen, dass man sich wehren darf, so wie ich, als ich regelmäßig von Nazis tätlich angegriffen wurde. Für mich ist mit dem Begriff links alles nicht vereinbar, was da in Hamburg geschehen ist. Das können Andere anders sehen. Für den Rechtsextremismus ist die Gewalt konstituierend. So, wie sie das für den Faschismus auch ist.

Müller-Vogg: Für mich sind die Gewalttäter aus dem Schwarzen Block Links-Faschisten. Aber da drehen wir uns begrifflich im Kreis.

Marquardt: Vermutlich drehen wir uns wirklich im Kreis. Ich kann nämlich mit Links-Faschisten als Begriff nichts anfangen. Im Gegenteil, ein solcher Begriff verharmlost in meinen Augen Faschismus. Faschismus beinhaltet ja immer die Idee, einige Menschen seien weniger wert als andere, deshalb gehören sie ausgegrenzt oder gar ausgerottet. Das gibt es bei einem linken Ansatz eben gerade nicht. Vielleicht ist der Kompromiss, dass Gewalt Gewalt ist.

Dies ist der vierte Teil unserer Serie von Streitgesprächen zwischen der linken SPD-Politikerin Angela Marquardt und dem konservativen Publizisten Hugo Müller-Vogg. Trotz der politischen Unterschiede verbindet beide eine Freundschaft. Bis zur Bundestagswahl werden sie regelmäßig das Politgeschehen kommentieren.

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