Streit um N****-Sch**** - Herr, lass Niveau regnen!

Langsam nervt's. Ob Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, die Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters Shermin Langhoff oder der Althistoriker Egon Flaig: Sie alle haben Skandale produziert, die nur deshalb zu Skandalen wurden, weil wir uns darüber aufgeregt haben. Sollten wir unsere Energie nicht in wichtigere Debatten investieren?

Ist ihm der eigene Ruf überhaupt noch was wert? Boris Palmer /dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

So erreichen Sie Jens Nordalm:

Anzeige

Sie haben alle zu Recht gerade große Schwierigkeiten. Nicht weil sie Rassisten wären oder Rechte oder sonst wie gefährlich. Sondern weil sie sich um Kopf und Kragen geredet haben. Weil das alles kein Niveau ist. Oder menschlich nicht anständig. 

Um mit den jüngsten Fällen zu beginnen: Jens Lehmann ist kein Rassist, sondern ein „Vollidiot“ (Karsten Baumann), der ruhig lernen soll, dass man „Quotenschwarzer“ einfach nicht sagt. Dennis Aogo muss lernen, dass man in Deutschland nicht leichtfertig von „vergasen“ spricht. Und Boris Palmer sollte eigentlich wissen, dass man erstens nicht ungeprüft in diesem Schlammloch Facebook irgendwelche Zitate übernimmt, deren Inhalt nicht bestätigt ist. Und dass man zweitens am besten nicht völlig unempfindlich niveauloseste Vulgärsprache wiederholt, vorausgesetzt, der eigene Ruf ist einem überhaupt noch irgendetwas wert. 

Kritik? Ja bitte, aber diskutabel  

Und, Boris Palmer: Es hätte der forcierten pädagogischen Ironie auch gar nicht bedurft. Wer öffentlich mitdenkt, weiß auch ohne diese verunglückte didaktische Benutzung eines wahrscheinlich übel verleumdeten Dennis Aogo (das Profil, von dem die Denunziation kam, ist mittlerweile gelöscht), dass das ununterbrochene Rassismus-Geschrei ausschließlich gegen „alle Weißen“ sowieso längst ins Leere läuft. Um bei diesem Trio Infernale der letzten Tage noch zu bleiben: Cancel Culture möchte man es gar nicht nennen, wenn alle drei vom Schirm genommen werden. Keine Einwände dagegen. 

%paywall%

Man ist es dermaßen leid, sich nahezu täglich mit neuen intellektuell enttäuschenden Mitteilungen und Performances befassen zu müssen. Viele etwa der Schauspieler-Videos gegen die Corona-Politik unter dem Hashtag #allesdichtmachen waren ja nicht deshalb schlimm, weil sie gegen die Corona-Politik gingen, sondern weil sie in ihrem plumpen Sarkasmus intellektuell und künstlerisch so unbefriedigend waren. Kritik am fantasielosen Lockdown – unbedingt gern und unbedingt nötig in einer Demokratie. Aber in einer Situation von täglichem Leben und Tod doch lieber in einer diskutablen Form – mit diskutierbaren Einwände und Alternativen. Wie es ja längst auch geschah und geschieht – zweiter Einwand gegen dieses Schauspielergehabe der einsam-heroischen Kritiker: Einfach mal Welt oder Cicero oder auch FAZ-Feuilleton lesen, dann fühlt man sich nicht so allein in seinem Kopfschütteln.

Holocaust und Rotz  

Kein Mitleid und keine Geduld mehr – das passt auf zwei weitere Aufreger der letzten Wochen und Tage. Da ist einmal Egon Flaig, der  Althistoriker, den Studenten in Osnabrück nicht vortragen lassen wollten. Flaig, der etwa im Einklang mit den Fakten darauf hinweist, dass in der Geschichte nicht nur Weiße Rassisten und Sklavenhalter waren. Aber Flaig muss sich dann auch nicht wundern, wie heiß das alles läuft.

Denn man muss nicht unbedingt in der rechts-arroganten Zeitschrift Tumult veröffentlichen. Und man muss – auch wenn man glaubt, auf die „Banalität“ einer „Singularität des Holocaust“ hinweisen zu müssen – vor allem nicht sagen, wie Flaig es getan hat: „Sogar der Rotz in meinem Taschentuch ist  singulär." Nein, das muss man nicht sagen. Und wenn man es sagt, muss man sich nicht wundern, dass man dafür angefeindet wird. 

Coachings für Shermin Langhoff 

Und da ist Shermin Langhoff, die Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. Sie sieht sich Vorwürfen und einer Klage wegen Machtmissbrauchs und Mobbings ausgesetzt. Sie werde sogar körperlich übergriffig, hieß es. Einziges bekanntgewordenes Beispiel: Sie umarme ungefragt Theatermitarbeiter. Sie werde oft sehr laut und habe sich nicht im Griff. 

Und sie gebe den Druck, den sie selbst spüre, an ihre Mitarbeiter weiter. Nicht ganz unbekannt am Arbeitsplatz. Warum sollte es ausgerechnet an den Theatern anders sein. Aber seit man dieser Tage mit all diesen Skandalen und Aufregern die Geduld verliert, schwindet auch hier die Bereitschaft zur Gnade: Schluss mit solchem Führungsverhalten! Soll sie Schwierigkeiten und Coachings kriegen! Shermin Langhoff hat sich an der Spitze ihres identitätspolitisch-moralistischen Demonstrations-Theaters oft genug gegen „toxische Männlichkeit“ ausgelassen. Jetzt soll sie sich selbst daran messen lassen!

Kein Mitleid 

Das ist alles intellektuell und menschlich nicht überzeugend, und die Aufregung darüber kostet Kraft, die wir woanders bräuchten. Zum Beispiel für die Debatte, ob das Bundesverfassungsgericht eine privilegierte Einsicht in die unbedingt und mindestens nötige CO-2-Reduktionspolitik hat – und ob demokratische Aushandlungsprozesse und Mehrheitsentscheidungen hier wirklich nicht mehr in Betracht kommen sollen.

Also: Heute mal kein Mitleid. Wenn man an einer Debatte teilnehmen will, sortiere man seine Gedanken und Sätze in eine diskutierbare Form! Und wenn man mit anderen Menschen zusammen etwas schaffen will, kontrolliere man sein Verhalten gegenüber den mitschaffenden Mitmenschen!

Müsste möglich sein. 

Anzeige