Streit in der Union - Die Mär von der Versöhnung

Angela Merkel wird nicht am kommenden Wochenende beim CSU-Parteitag auftreten. Trotzdem loben Kommentatoren das angeblich verbesserte Verhältnis zwischen der Kanzlerin und Horst Seehofer. In Wahrheit bleibt die Lage der Schwesterparteien prekär

Paarlauf war gestern, die Eiszeit zwischen Merkel und Seehofer besteht weiter / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Es ist, zugegeben, ein etwas schwieriges Gedankenexperiment, aber man stelle sich für einen Moment vor, Angela Merkel und Horst Seehofer seien, sagen wir: Mandy Wötzel und Ingo Steuer. Also ein erfolgreiches Paar im Eiskunstlauf. Eiskunstlaufpaare sind bekanntlich selten echte Liebespaare, sondern knallharte Zweckbündnisse, wie Merkel und Seehofer. Stellen wir uns weiter vor, es würde bekannt, das Traumpaar Merkel-Seehofer hätte sich so zerstritten, dass es nicht mehr gemeinsam aufs Eis möchte, kein Auftritt mehr Hand in Hand, Arm in Arm vor Publikum, keine Pirouette mehr unter den Augen der Fans. Kein Sportreporter der Welt käme auf die Idee, diesem Paar, und sei es noch so begnadet, bei der nächsten Weltmeisterschaft die Goldmedaille vorauszusagen. Denn wer nicht gemeinsam tanzt auf dem Eis, gewinnt auch keine WM. So einfach ist das.

Im Eiskunstlauf. Und eigentlich auch in der Politik, wo die großen Parteitage die Arenen des Schaulaufs sind.

Wohlmeindende Kommentare trotz Krise

Angela Merkels Partner auf dem politischen Eis, eben jener Horst Seehofer, hat nun verkündet, man sei sich nach dem Streit um die Flüchtlingspolitik wieder „in vielen Punkten näher gekommen“. Und wie von ihm erwünscht, entstehen darüber flächendeckend Schlagzeilen von der Aus- beziehungsweise Versöhnung zwischen Merkel und dem CSU-Chef, nebst wohlmeinenden Kommentaren.

Das ist nun entweder eine Meisterleistung der Spindoktoren in Berlin und München oder ein Armutszeugnis für den gesunden Menschenverstand mancher Kommentatoren. Oder beides. Denn es ist keine zwei Wochen her, da waren sich alle einig in der zutreffenden Betrachtung: Wenn sich Horst Seehofer und Angela Merkel nicht wechselseitig bei den Parteitagen der CSU am kommenden Wochenende in München und der CDU Anfang Dezember in Essen besuchen, dann wird das schwer mit der Goldmedaille im Paarlauf nächstes Jahr bei der Bundestagswahl.

Dünne Tünche über den wahren Zustand

Mehr noch: Man konnte namhafte und einflussreiche CDU-Politiker treffen, die eine ganze Kaskade von dieser Frage ableiteten: Ohne wechselseitige Besuche keine Kandidaturansage von Merkel auf ihrem Parteitag, sondern nurmehr ihre Wiederwahl als Parteichefin. Ohne Ansage einer Kandidatur aber kein guter Start ins Wahljahr. Ohne guten Start ins Wahljahr kein sicherer Sieg. Selbst bei einer SPD ohne erklärten Herausforderer. Gegen deren Erstarken dann aber nur noch die alte Trommel gegen Rot-Rot-Grün herausgeholt werden könne, die aber inzwischen so abgedroschen ist wie jene des Oskar Matzerath in Günter Grass' Weltbestseller.

So haben sie geredet, die Granden, und so denken sie bis heute. Und so ist es auch. Die provozierten Schlagzeilen sind dünne Tünche über den wahren Zustand des Verhältnisses der beiden Schwesterparteien. Und ein Verweis auf gemeinsame Ansätze bei großen Themen wie der Rente sind nichts weiter als billige Ablenkungsmanöver. Ebenso gut könnten die Trainer eines zerstrittenen Eiskunstlaufpaares behaupten, ganz tolle neue Kunststückchen in petto zu haben.

Publikum bekommt einen leeren Stuhl zu sehen

Hilft nix. Nützt nix. Wichtig ist nicht nur auf´m Platz, sondern auch auf´m Eis. Also: was vor dem Publikum stattfindet. Und das Publikum wird sowohl in München als auch in Essen einen leeren Stuhl zu sehen bekommen. Der Hinweis, das sei immer noch besser als ein Eklat auf offener Bühne wie vergangenes Jahr bei der CSU in München, hilft da auch keinen Schritt weiter.

Nein, die Wahrheit ist: Die Lage bleibt prekär beim Titelverteidiger. Bevor Merkel nicht den Schaulauf hinlegt und dabei von Seehofer souverän flankiert wird, behalten die Realisten in der CDU recht, die sich nicht von billig produzierten Schlagzeilen blenden lassen. Um eine umstrittene Aussage der ehemaligen EKD-Vorsitzenden Margot Käßmann in einem anderen Zusammenhang zu benutzen: Nichts ist gut in der Union.

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