Empörung über Strafarbeit für Drittklässlerin - „Wie kann man Schülern einen Deutschzwang auferlegen?"

Im baden-württembergischen Blumberg wurde eine Drittklässlerin zu einer Strafarbeit verdonnert, weil sie in der Pause mit einer Mitschülerin türkisch gesprochen hatte. Der Anwalt der Familie spricht von „Diskriminierung“. Die Schulverwaltung bestreitet das. Doch wer hat Recht?

Nur Deutsch auf dem Schulhof? / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Yalcin Tekinoglu ist Anwalt für Strafrecht in Heidelberg. Er war aktives Mitglied der Jungen Union und der CDU. 

Herr Tekinoglu, weil sie auf dem Schulhof türkisch sprach, sollte eine Drittklässlerin aus dem baden-württembergischen Blumberg eine Strafarbeit schreiben. „Warum wir in der Schule deutsch sprechen.“ Was haben Sie gedacht, als Sie davon erfahren haben? 
Ich hab gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein. Das ist völlig unverhältnismäßig. Dafür gibt es auch keine gesetzliche Grundlage. 

Aber dass in der Schule deutsch gesprochen wird, sollte ja auch in einer Schule mit einem Migrationsanteil von 43 Prozent und Schülern aus 16 Nationen selbstverständlich sein.
Richtig. Aber man muss doch unterscheiden zwischen dem schulisch-erzieherischen Bereich und dem privaten, höchstpersönlichen Bereich. Im Unterricht ist es ganz klar, dass man eine gemeinsame Verständigungsbasis braucht. Da sind Lehrer natürlich berechtigt, Erziehungs- und Maßregeln zu verhängen. Aber wenn sich zwei Kinder in der Pause in ihrer Mutter- oder Herkunftssprache unterhalten, besteht kein Interesse, das regeln zu müssen. 

Beim Staatlichen Schulamt Donaueschingen heißt es, es gebe kein generelles Verbot, sich in der Pause in einer nicht-deutschen Sprache zu unterhalten. Bei Konflikten könnte es aber geboten sein, „dass man sich in einer für alle Beteiligten verständlichen Sprache ausdrückt“.
Die Schule versucht das nachträglich so darzustellen. Aber darum ging es in diesem Fall gar nicht. Zwei Mädchen, deren Herkunftssprache türkisch ist, hatten sich auf dem Klettergerüst darüber unterhalten, was sie in der Zeit des Lockdowns erlebt haben. Die Lehrerin war auch gar nicht Zeugin dieser Situation. Andere Kinder haben die Mädchen bei ihr verpetzt. 

Weswegen? 
Sie wollten auch auf das Klettergerüst, aber die Mädchen ließen sie nicht. Sie haben gesagt, wir wollen uns in Ruhe unterhalten, geht mal weg. 

Was wollte die Lehrerin mit der Strafarbeit bezwecken?
Diese Frage hat die Mutter des einen Mädchens der Lehrerin auch gestellt. Die Lehrerin soll darauf gesagt haben, sie hoffe, dass die Schülerin die türkische Sprache in Zukunft gar nicht mehr brauche.

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Im Rahmen des Unterrichts?
Das wurde offen gelassen. Die Lehrerin behauptet heute, sie hätte die Strafarbeit in einem Telefonat mit der Mutter zurückgenommen. Mir liegt aber eine eidesstattliche Erklärung der Mutter vor, aus der hervorgeht, die Lehrerin habe die Strafarbeit im Telefonat im Gegenteil sogar verteidigt und darauf hingewiesen, dass das Kind die türkische Sprache nicht mehr brauche. Erst dann hat die Mutter mich eingeschaltet. 

Weil sie sich diskriminiert fühlt? 
Ja, ihre Tochter ist eine leistungsstarke Schülerin, die die deutsche Sprache gut beherrscht. Die Familie lebt seit Generationen hier. Die Mutter ist in Deutschland aufgewachsen und hat einen Beruf gelernt. Sie akzeptiert nicht, dass ihr eine Lehrerin vorschreibt, dass ihre Tochter kein Türkisch mehr sprechen soll. Die Sprache ist aber ein Teil ihrer Identität. Das kann man nicht einfach auslöschen und würde im Übrigen auch im Widerspruch zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Grundgesetz stehen. 

Im baden-württembergischen Kultusministerium heißt es, deutsch zu sprechen, gehöre zu den Klassenregeln in dieser Schule – und die würden auch für die Pause gelten. 
Ja, das konnte ich ebenfalls der Presse entnehmen, dass es dazu einen Beschluss der Lehrerkonferenz gibt. Meine Mandanten kennen diesen Beschluss aber nicht. Sie sagen, sie hätten an allen Elternabenden teilgenommen. Darüber sei nie kommuniziert worden. Ich habe jetzt mehrfach schriftlich nach diesem Beschluss gefragt. Er wurde mir bis heute nicht vorgelegt. Ich gehe daher davon aus, dass es diesen Beschluss gar nicht gibt. 

Sie haben als Anwalt der Familie Widerspruch gegen die Strafarbeit eingelegt und die Rücknahme gefordert. Was werfen Sie der Lehrerin vor?
Ich habe mehrfach gefragt, ob das Sprachverbot nur sogenannte Migranten-Sprachen wie türkisch, arabisch oder jugoslawisch betrifft – oder auch sogenannte Prestigesprachen wie englisch, französisch, spanisch oder chinesisch. 

Und, wie lautet die Antwort? 
Bisher ist keine Antwort gekommen. Dabei legt diese Schule eigentlich Wert auf Mehrsprachigkeit. Englisch ab Klasse eins ist Pflicht. Wie man vor diesem Hintergrund darauf kommt, den Kindern einen Deutschzwang auf dem Schulhof aufzuerlegen, ist mir schleierhaft.

Was schließen Sie daraus?
Wenn keine Antwort kommen sollte, kann das ein Indiz dafür sein, dass nach Paragraph 20 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eine Diskriminierung vorliegt. 

Hätte das zur Folge, dass die Mutter Schadensersatzansprüche geltend machen kann? 
Richtig, nach dem AGG sind die Richter frei, eine angemessene Höhe zu bestimmen. Der Familie der betroffenen Schülerin geht es gar nicht um die Höhe, ich denke, dass man von einem mittleren vierstelligen Betrag ausgehen kann. Der Familie geht es in erster Linie um die Aufhebung der Strafarbeit und eher um disziplinarrechtliche Konsequenzen gegen die Lehrerin und die Schulleiterin, nachdem ihre Bedenken wegen der Strafarbeit von beiden nicht ernst genommen wurden. 

Yalcin Tekinoglu / privat 

Ist das Ihr einziges Ziel? 
Nein, es soll verhindert werden, dass so ein „Deutschzwang“ auch an anderen Schulen eingeführt wird – oder dass man versucht, migrantische Sprachen zu verbieten. Wie gesagt, ich spreche hier nur für den privaten, höchstpersönlichen Bereich. 

Woher rührt Ihre Sorge?
In der Politik gibt es ja schon Bemühungen in dieser Richtung. 

Sie meinen den Antrag der AfD-Bundestagsfraktion, Deutsch als Landessprache gesetzlich festzuschreiben? 
Genau. 2012 gab es einen ähnlichen Vorfall schon mal in Nordrhein-Westfalen. Damals hat das Kultusministerium noch unmissverständlich entschieden, dass die Schulen keine Befugnis haben, wenn es darum geht, welche Sprache in der Pause gesprochen wird. Das greift in die Grundrechte der Kinder ein. 

Dass es auch anders geht, zeigt die Herbert-Hoover-Realschule in Berlin. Dort hat sich die Schule 2010 auf einer Schulkonferenz nach Absprache mit Eltern und Schülern darauf geeinigt, dass auch in den Pausen nur Deutsch gesprochen wird. 
Es ist doch etwas Anderes, ob sich alle Beteiligten freiwillig darauf verständigen. Aber auch dann stellt sich die Frage: Was passiert, wenn man gegen die Regel verstößt? Darf man das dann sanktionieren in Form einer Strafarbeit? 

An der Schule heißt es, es funktioniere auch gut ohne Sanktionen. Wenn sich Kinder nicht daran hielten, spreche man sie darauf an. 
Ich denke, auch in unserem Fall wäre es besser gewesen, die betroffenen Kinder behutsam anzusprechen und das Thema pädagogisch sinnvoll aufzuarbeiten. Der Effekt der Strafarbeit, die die Schülerin dann übrigens tatsächlich abgegeben hat, ist erschreckend. Da wird ein Minderwertigkeitsgefühl und ein Gefühl von Ausgrenzung erzeugt. 

Über den Fall haben inzwischen auch viele türkische Medien berichtet. Wie ordnet man ihn in der Türkei ein? 
Ich bin ein deutscher Rechtsanwalt, diese Frage sollte man türkischen Vertretern stellen. Ich kann aus der Entfernung nur sagen, dass man das mit Verwunderung zur Kenntnis genommen hat. Die türkische Sprache soll vom Pausenhof verbannt werden. 

Sie haben einigen türkischen Medien jetzt selbst Interviews gegeben. In Baden-Württemberg wirft man Ihnen vor, Sie hätten den Fall hochgespielt, um Stimmung gegen Deutschland zu machen. 
Es ist mir ganz wichtig, dass hier kein falscher Eindruck entsteht. Ich vertrete hier nur die Rechte und Interessen der betroffenen Schülerin und das einzige Begehren ist, dass die Strafarbeit aufgehoben wird. Weder ich noch die Familie haben ein Interesse, dass "der Fall hochgespielt" wird. Ich habe die Medien nicht von mir aus informiert. Wenn ich einen interessanten Fall habe, schreibe ich darüber auf meiner Facebook-Seite. Ein Online-Magazin aus Deutschland hat den Fall in deutscher Sprache aufgegriffen. Es gab eine Agentur-Meldung. Daraufhin haben sich türkische Medien darauf gestürzt. Deutsche Zeitungen haben darüber mit zwei Wochen Verzögerung berichtet. Deutschland ist meine Heimat und die der neunjährigen Schülerin. Die Schülerin spricht mindestens drei Sprachen, ich beherrsche insgesamt neun, davon vier fließend.  

Morgen wird an dieser Stelle Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zu dem Fall Stellung nehmen. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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