Aus der Traum von einer grünen Bundespräsidentin - Mein Gott, Walter!

Der alte Bundespräsident wird auch der neue Bundespräsident. Durch einen geschickten Schachzug hat sich Frank-Walter Steinmeier das Amt gesichert. Damit ist der Traum der Grünen von einer Frau im höchsten Amt des Staates geplatzt. Aber ist ein alter weißer Mann das richtige Aushängeschild für das von einer Ampel regierte Deutschland?

Der alte Bundespräsident wird wahrscheinlich auch der neue: Frank-Walter Steinmeier / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Schon wieder keine Frau. Es kostet nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, welche Reaktion diese Nachricht bei den Grünen ausgelöst hat. Lange Gesichter, Kopfschütteln. Claudia Roth entfährt ein „Och, Menno“.  Am 13. Februar wählt die Bundesversammlung einen neuen Bundespräsidenten, doch wenn alles so läuft, wie sich der Olaf und der Christian das gedacht haben, dann gibt es da gar nichts groß zu wählen.

Denn bislang gibt es für das höchste Amt im Staat nur einen einzigen Bewerber. Und wenn nicht die Union oder die Linke noch in letzter Sekunde eine Gegenkandidatin hervorzaubern, die bereit ist, sich anstelle einer Vogelscheuche für eine Wahl aufstellen zu lassen, von der man schon vorher weiß, dass sie sie verlieren wird, dann ist der Drops gelutscht. Der alte Bundespräsident wird der neue. Frank-Walter wird den Laden ein zweites Mal so „rocken“, wie man das von dem Mann kennt, der nur eine Legislaturperiode gebraucht hat, um sich das Image zu erwerben, er sage mit vielen Worten nichts – das aber sehr zugewandt, achtsam, integrativ und immer eine Spur zu pathetisch. 

Weltoffener, toleranter, weiblicher 

In den Augen linker Grüner ist so einer ein alter Sack. Nach 16 Jahren Merkel-Herrschaft wünschen sich viele einen Neuanfang. Weltoffener, toleranter, diverser, jünger und weiblicher sollte die Republik werden. So hatte es die neue Ampel-Koalition versprochen. Ein neues Gesicht als Aushängeschild, eine Frau als Bundespräsidentin musste her. 

Nein, wir reden hier nicht von Katrin Göring-Eckardt. Die hätte den versprochenen Neuanfang nicht schon allein deshalb verkörpert, weil sie eine Frau ist. Auf der Kandidatenliste der Grünen stand auch noch ein Name, der viel besser zur Agenda der Partei gepasst hätte: Tupoka Ogette. 40 Jahre alt, in Leipzig geboren, der Vater Afrikaner, die Mutter Deutsche. Buchautorin („Exit Racism“), Anti-Rassismus-Trainerin, eine der führenden Figuren der Bewegung „Black Lives Matter“. Formell hätte diese Frau alle Anforderungen erfüllt, die der linke Flügel der Grünen an Kandidaten für das höchste Amt im Staat gestellt hatte. Weiblich sollten die sein, „mit progressivem Stil“, gerne divers und mit Migrationshintergrund. 

%paywall%

Eine Rassismustrainerin als Wunschkandidatin 

Eine gute Idee – und ein längst überfälliger Move. Seit der Gründung der Bundesrepublik waren es bislang nur Männer, die sich im Schloss Bellevue die Klinke in die Hand gaben. Der Job als Bundespräsident war ein Job für Politiker, die zu alt waren, um noch was zu reißen – aber noch zu jung, um schon in Rente zu gehen. Orden verleihen, Gesetze unterschreiben, Gedenkstätten einweihen und mit Bürgern Gartenfeste feiern. Das muss man mögen. Aber es ist nichts, was nur Männer aus der Ü-60-Liga können. Warum sollten Frauen keine guten Gastgeberinnen, mitreißende Rednerinnen oder weltgewandte Botschafterinnen im Ausland sein? 

Acht Frauen haben sich bis heute um das Amt beworben, von der FDP-Politikerin Marie-Elisabeth Lüders (1954) bis zur SPD-Politikerin Gesine Schwan (2004 und 2009). Die meisten waren chancenlos. Sie starteten als Zählkandidatinnen, damit ihre Partei zumindest den Anspruch auf das höchste Amt im Staat reklamierte. Diesmal aber, so schien es, war alles anders. Hätte der Amtsinhaber nicht schon rechtzeitig sein Revier markiert, hätten die Grünen zum ersten Mal eine reelle Chance gehabt, eine Bundespräsidentin zu stellen. 

Mut der Verzweiflung 

Aber dieser Traum ist jetzt geplatzt. Dabei ist Frank-Walter Steinmeier so ziemlich genau das Gegenteil von der Wunschkandidatin. 66, weiß, heterosexuell – und vor allem: ein Mann.  Aber für sein Geschlecht, so hatte er es im letzten ZDF-Sommerinterview mit säuerlicher Miene gesagt, könne er ja auch nichts: „Ich kann nur als der kandidieren, der ich bin.“

Es war der Mut der Verzweiflung, der ihn schon im Mai 2021 dazu gebracht hatte, sich selbst für eine zweite Amtszeit in Stellung zu bringen, ohne Rücksprache mit seiner Partei. Die stand damals gerade noch bei 15 Prozent. Dass sie die Bundestagswahl gewinnen würde, damit konnte niemand rechnen. Die Weichen standen auf schwarz-grün. Steinmeiers Tage in Schloss Bellevue waren gezählt. Er, dem man sonst beim Reden die Schuhe besohlen kann, preschte vor. 

Lebenszeichen auf Instagram 

Die Situation erschien ausweglos. Die Pandemie hatte ihn außer Gefecht gesetzt, sofern man das über einen Schönwetterprediger sagen kann. Statt um die Welt zu jetten und die Menschen im Ausland mit seinen Reden in komatösen Tiefschlaf zu versetzen, musste er zu Hause bleiben und seinen Instagram-Account mit Schöner-Wohnen-Fotos bestücken. Es war der hilflose Versuch, zu zeigen, dass er auch noch da war – wenn auch nur noch als diskursive Reservemacht.

Dann die Wende. Der unverhoffte Sieg der SPD bei der Bundestagswahl. Das Go für eine Ampel. Mit 775 von 1472 Stimmen hatten SPD, Grüne und FDP die Mehrheit in der Bundesversammlung – 39 mehr, als für die Präsidentenwahl benötigt werden. Und da seine Bewerbung schon auf dem Tisch lag, hätte die SPD gar keine Chance gehabt, einen anderen Kandidaten ohne Gesichtsverlust aufzustellen. Geschweige denn eine Kandidatin. Über die wurde gar nicht geredet, nachdem die SPD mit Bärbel Bas schon die Bundestagspräsidentin gestellt hatte. Gesine Schwan hat das kritisiert. Die Frauenfrage sei hinter machttaktischen Überlegungen zurückgetreten, sagte sie dem Nachrichtensender Welt. Steinmeier sei ein guter Bundespräsident, allerdings würde sie ihm „etwas mehr geistige Innovation" wünschen. 

Warten auf die Ruck-Rede 

Mit dieser Meinung steht sie nicht allein da. Denn was ist hängengeblieben von seiner ersten Amtszeit? Steinmeier ist keiner, der der Politik auch mal die Leviten liest so wie Roman Herzog („Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen“) oder Richard Weizsäcker, der den 8. Mai 1945 einen „Tag der Befreiung” nannte und damit eine Debatte über die Aufarbeitung der NS-Zeit anstieß.  Aber vielleicht muss man es einfach positiv sehen. Steinmeier hatte sich nicht wie Christian Wulff mit einem Bobby-Car schmieren lassen oder andere Skandale produziert. In Zeiten der Krise reicht das beinahe schon für den Friedensnobelpreis. 

Wenn ihn seine politischen Freunde heute dafür loben, dass er nicht müde werde, seine Stimme gegen die Spaltung der Gesellschaft zu erheben, dann ist das so, als würde man einen Bäcker zu seinen Brötchen beglückwünschen. Der Bundespräsident ist eine Integrationsfigur. Er muss qua Amt überparteilich sein. Das entbindet ihn aber nicht von der Aufgabe, politische Debatten anzustoßen. Und hier hat Steinmeier komplett versagt. Im Grundschulzeugnis würde man das so formulieren: Frank-Walter war bemüht, nicht anzuecken.

Vielleicht rannte er deshalb bei der FDP offene Türen ein. Weil der Christian sich schon mit dem Olaf auf ihn geeinigt hatten, blieb den Grünen am Ende nichts anderes übrig, als den Buddys ein High-Five für ihren Kandidaten zu geben. Pech für Tupoka Ogette und all die anderen Frauen, die auf der Wunschliste der Grünen standen. Aber wer weiß, was ihnen alles erspart bleibt.

Mein Gott, Walter!  

Anzeige