Niedergang der SPD - Am Ende der Geschichte

Die deutsche Sozialdemokratie strebt weiter unaufhaltsam dem politischen Selbstmord entgegen – mit dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert als eifrigem Sterbehelfer

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„Im Vorsitzenden der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, hat die SPD ihren Felix Krull gefunden“ / picture alliance
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Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Ach, und dann ist da ja noch Kevin Kühnert, Juso-­Vorsitzender, der Wendungen liebt wie „Ich und die Jusos“, oder „Ich kann auch anders“, oder „Ich organisiere einen Prozess“, auf jeden Fall immer erst mal Ich! Von der Zeit bis zur Welt füllen die Medien ganze Seiten mit diesem Ichisten – dem Hoffnungsträger der SPD.  Womit hat er das verdient? Durch seine Arbeit? Hat der Studienabbrecher überhaupt schon mal in einem Beruf gearbeitet, der ihn hätte lehren können, für wen er Politik macht? Ist eine solche Lebenserfahrung überhaupt noch von Wert in den höheren Rängen der Arbeitnehmerpartei – als welche sich die Sozialdemokratie ja immer noch gern definiert?

Kevin Kühnerts Karriere verläuft, wie es sich in der spätmodernen SPD geziemt: Studentenleben, Jusoleben, Funktionärsleben – ein Facebook-Sozialdemokrat, in Twitter-Gewittern gestählt, kein fleißiger Handwerksbursche, vielmehr ein flinker Mundwerksbursche, der den wirklich Werktätigen in Deutschlands Wirtschaft seine verbale Vorwitzigkeit gern als verpflichtenden Durchblick dekretiert: „Die Welt ist komplizierter geworden, aber die Komplexität ist zumutbar.“ Der Oberlehrer mutet zu – die Bürger unten sind Schüler. So steht’s mit der Arbeitnehmerpartei, die von 1998 bis 2005 noch den Kanzler stellte – und hernach ihren Wähleranteil von 34 auf 17 Prozent halbierte: Die Abschaffung der Sozialdemokratie unter Vorspiegelung derselben ist in vollem Gange. Im Vorsitzenden der Jungsozialisten hat die SPD ihren Felix Krull gefunden.

Einstige Heimat der Arbeiterschaft

Lässt man das Senkblei tief hinab in den Brunnen der Vergangenheit dieser historisch so ruhmreichen Bewegung, worauf stößt man da? Auf eine Partei der Befreiung, der Demokratie und des Rechtsstaats, ja, auf eine Weltpartei, steht die SPD doch am Ursprung eines gesellschaftsverträglichen Kapitalismus. Ihrem linken Flügel ist der Kapitalismus zwar immer noch ein Fluch, doch es war die Sozialdemokratie, die dieses System der ungezügelten Ausbeutung sozial modernisierte – auch ökonomisch, und zwar durch beharrlichen politischen Druck.

Kaum einer anderen gesellschaftlichen Kraft haben Kapitaleigner und Arbeitnehmer mehr zu verdanken als den Sozialdemokraten, zumal deren deutschen Genossen, die im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert die Avantgarde der europäischen Linken stellten. Ihre soziale und ökonomische Großtat beruht auf einer kulturellen: Die Sozialdemokratie bot der Arbeiterschaft eine Heimat, mit Volkshäusern, Sportvereinen, Musikgesellschaften und der Büchergilde Gutenberg, dem Bildungsverlag schlechthin. Im kulturellen Umfeld der Partei fühlten sich die Fleißigen, die Fähigen, die Fabrikarbeiter, die Fachkräfte geschützt und geborgen. Eine Partei als Heimstatt der Kultur!

Politische Herberge einer geistigen Elite

Noch bis zu Zeiten von Willy Brandt und Helmut Schmidt, in Anklängen auch in der Ära Schröder war die SPD mehr als eine Partei. Sie war ein Faszinosum für Literaten, Künstler, Wissenschaftler, für Intellektuelle wie den Brandt-Berater und Publizisten Klaus Harpprecht, den Schmidt-Vertrauten und Schriftsteller Max Frisch, den Schröder-Freund und Maler Markus Lüpertz. Und natürlich für Grass und Böll und Lenz und all die vielen Kulturschaffenden, die sich über ihr Metier hinaus der Gesellschaft verpflichtet fühlten – mithin der SPD verbunden. Das strahlte aus: Die Parteimitglieder waren stolz darauf, einer geistigen Elite politische Herberge zu sein. Die Wähler fühlten sich durch die kulturelle Aura der Sozialdemokraten angesprochen.

Doch weshalb soll man das nostalgisch beweinen? Auch Andrea Nahles sucht doch Bürgernähe, wenn sie erklärt, sie haue dem politischen Gegner „ab morgen in die Fresse“, oder wenn sie verhandeln will, „bis es quietscht auf der anderen Seite“, oder wenn sie beteuert: „Für die Leute machen wir das, verdammte Kacke noch mal“? Klingt so die Sprache einfacher Parteimitglieder und Wähler? Verwechselt die Parteivorsitzende da nicht Plebs mit Proletariat – das es im Übrigen gar nicht mehr gibt? Von der Umgangskultur der Lohnempfänger einer hochkompetitiven Leistungsgesellschaft könnte diese Sprache nicht weiter entfernt sein.

Wo ist Willy Brandt mit seiner wärmenden Rhetorik?

Um die Leistungsbereiten aber ginge es eigentlich. Um die Kultur der Bürger, die etwas erreicht haben, etwas sichern wollen in rasenden Zeitläuften, sich existenzieller Bedrohung ausgesetzt sehen; Menschen, die im Windkanal der Globalisierung stehen – und deshalb politischen Halt suchen. Wie aber antwortet die SPD? Einer ihrer untadeligsten Vertreter, der hessische Oppositionsführer Thorsten Schäfer-Gümbel, sieht die Aufgabe seiner Partei darin, „aus technischem Fortschritt sozialen Fortschritt für alle“ zu machen. So scheppert es, trocken und kalt, wenn führende Sozialdemokraten Programm und Leistung herunterrasseln: für mehr soziales Netz – für mehr Netto vom Brutto.

Doch, doch, auch Zukunftstöne werden in dieser Partei regelmäßig angestimmt, quasi als Refrain: Gestaltung der Globalisierung und Digitalisierung, Kampf dem Neoliberalismus – Orgelgetöse, wenn die Wähler schon zum Ausgang streben. Die nämlich plagt ein kulturelles Problem: Wohin mit uns? Das ist die Frage – mehr gefühlt als formuliert, aber ständig präsent. Wo ist Willy Brandt mit seiner wärmenden Rhetorik, der den Wählern einst das Versprechen gab: „Mehr Demokratie wagen“? Wie wär’s heute mit: „Mehr Rechtsstaat wagen“? Also Ordnung schaffen – auch in der Einwanderung mit ihren Folgen.

Die Wähler erwarten eine Rückkehr zur Vernunft

Denn daran entzündet sich das Unbehagen traditionell sozialdemokratischer Wähler: Am Migrantendurcheinander in den Städten und Kiezen und Wohnhäusern und Schulen – an der Globalisierung bei sich zu Hause. Die SPD übersieht diesen Elefanten im Raum. Für ihre führenden Funktionäre ist alles nur ein Problem des sozialen Ausgleichs: Stimmt erst die Kohle beim Arbeitnehmer, verdampft das Migrationsproblem, sozusagen als Nebenwiderspruch, wie Karl Marx gesagt hätte. Das Wegschauen, wo immer Migrationswirklichkeit den Bürgeralltag behelligt, das Schönreden einer Religion der Frauendiskriminierung, des Schwulenhasses, der Judenfeindschaft, der Freiheitsverweigerung bringt die Partei, deren Wurzeln in die religionskritische Aufklärung reichen, um den Verstand: Pro-Islam ist für sie links, Anti-Islam rechts!

Die Wähler aber erwarten eine Rückkehr der SPD zur Vernunft. Zum Kampf gegen religiösen Totalitarismus, der eine Parallelgesellschaft installiert und das Grundgesetz herausfordert, gegen neoliberalen Dogmatismus, der alle Grenzen öffnen möchte, um den Sozialstaat zu zerstören – für eine Festung Europa, die Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat sichert. Dies gerade auch für echte Flüchtlinge und auf ordentliche Weise Eingewanderte. Womöglich wäre das ein sozialdemokratisches Angebot an die Menschen, die sich nicht als Abgehängte behandelt sehen wollen, nicht als Verängstigte, nicht als Fremdenfeinde – sondern als besorgte Bürger. Als Deutschlands Souverän.

Dies ist ein Text aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.












 

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