SPD 2020 - Die neue Selbstbegeisterung

Noch fehlt es an belastbaren Umfragen zur Wirkung der neuen SPD-Vorsitzenden. Doch gerade Saskia Esken gab in den vergangenen Tagen bereits einen Vorgeschmack dessen, was da kommen mag. Deshalb zittern viele in der Partei um die Existenz der SPD

SPD-Spitzen-Duo: Norbert Walter-Borjans und Saskai Esken
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Weihnachten und Neujahr lagen diesmal ausgesprochen günstig. Mit nur wenigen Tagen Urlaub konnte man Brücke an Brücke bauen. Die Büros standen bundesweit zwei Wochen lang weitgehend leer. Nur manche hatten Dienst. Bei der SPD waren das offenbar die neue Parteivorsitzende Saskia Esken und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch.

Ein Dreamteam für verzweifelte Nachrichtenredakteure in der stillen Zeit. Voller Elan gingen die beiden zu Werke. Miersch, ein Parteilinker, brachte um den Heiligabend herum ein Verbot von amerikanischen (wieso eigentlich nur amerikanischen?) Pick-ups ins Spiel, um dann mit einer Photovoltaikpflicht und einem sogenannten „Windbürgergeld“ nachzulegen, mit dem Anwohner von Windkraftanlagen gelockt werden sollen, sich die Riesenräder näher auf die Pelle rücken zu lassen.

Von Leipzig-Connewitz bis zum Irak

Saskia Esken war dann kaum weniger eifrig und lenkte nach den brutalen Übergriffen von Linksautonomen im Leipziger Stadtteil Connewitz in der Silvesternacht die Aufmerksamkeit vor allem auf die Polizei, da sie Fehler in der Strategie der Beamten vermutete. Nachdem sie als Novizin zu Fragen der Inneren Sicherheit und ihrer Vorstellungen vom Gewaltmonopol des Staates Stellung bezogen hatte, machte sie unmittelbar danach erste Gehversuche in äußerer Sicherheit:

Nach der Tötung des hochrangigen iranischen Generals Qasem Soleimani in Bagdad sprach sie über die Frage des Verbleibs deutscher Soldaten im Irak, den sie in Zweifel zog. Wenn es ein Ausweis von politischer Gabe ist, beherzt auch über Dinge zu sprechen, von denen man bislang wenig Ahnung hatte, dann ist Saskia Esken, die neue Nummer Eins der SPD, hochbegabt.

In die falsche Richtung

Man kann also sagen: Die neue SPD-Führung hat mit ihren Weihnachtsdiensthabenden die politische Begleitung des aktuellen Geschehens bestimmt oder (amerikanische Pick Ups!) selbst Akzente gesetzt. Ob sie ihrer Partei mit ihrem Weihnachtsdienst einen ebensolchen erwiesen haben, darf allerdings bezweifelt werden.

Die Tage um die Heiligen Drei Könige sind so etwas wie die Startblöcke der Politiker ins Neue Jahr. Wer da gut rauskommt, der geht mit einem Vorsprung ins Rennen. Esken und Miersch haben es jedenfalls nicht an Antritt fehlen lassen. Es deutet bloß einiges daraufhin, dass sie in die falsche Richtung rennen.

Die reine Lehre der Friedenspartei

Aber es ist immerhin konsequent, was sie tun. Der Moment, an dem die SPD-Startblöcke umgebaut wurden, war in der SPD Anfang Dezember. Was dort stattfand, war nicht weniger als ein Exorzismus dessen, womit die SPD zuletzt erfolgreich einen Kanzler gestellt hatte. Innenpolitisch wie außenpolitisch. Eine „milliardenteure Investition in Panzer und Haubitzen“ habe es gegeben, „statt für Schulen, Schienen und Straßen zu sorgen“, beklagte Eskens Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans bei seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag.

Er dröhnt immer noch in den Ohren nach. So platt hatte zuletzt Ingrid Matthäus-Maier gerechnet, als sie Kindergärten statt Eurofighter forderte. 25 Jahre ist das her. Die Rückkehr zur reinen Lehre der Friedenspartei ist das. Außenminister Heiko Maas verstieg sich sogar zu der geschichtsvergessenen Behauptung, militärisch sei noch nie Frieden geschaffen worden. Das verlautbart ausgerechnet der Mann, der von sich sagt, wegen des Holocausts in die Politik und in die SPD gegangen zu sein.

Die selbstempfundene Schande der Reform-Politik von Gerhard Schröder wurde gleich mit abgewaschen. Jene Politik, auf deren Fundament die 14 Jahre Kanzlerschaft Angela Merkels ruhen. Agenda 2010 war gestern, die SPD 2020 ist heute.

Es geht um die Existenz der SPD

Eines kann den neuen Wortführern wie Esken und Miersch niemand absprechen: Die Begeisterung von sich selbst und dem neuen Kurs. Nur wer von sich selbst begeistert sei, könne auch andere begeistern, hat dazu bekanntlich einmal Oskar Lafontaine gesagt. Die Kunst besteht allerdings darin, diese Begeisterung an sich selbst nicht in eine Besoffenheit kippen zu lassen, in der dann das Wahrnehmungsvermögen getrübt wird. Und man dann nicht mehr registriert, dass diese Begeisterung leider nicht ansteckend ist.

Es gibt seit dem SPD-Parteitag noch keine wirklich belastbaren Umfragen, die sagen könnten, ob das der Fall ist. Sie werden diese Woche erst kommen. Einstweilen gibt es nur das Wort des FDP-Politikers Wolfgang Kubicki, der dem SPD-Duo nicht mehr als ein halbes Jahr im Amt gibt. Diese Spitze eines politischen Gegners könnten die beiden leicht weglächeln. Wenn es nicht zugleich so wäre, dass Kubicki das ausspricht, was viele in der SPD als die einzige Chance ansehen, die Existenz der Partei noch zu retten.

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