SPD-Parteitag - Die Breitmaulfrösche haben plötzlich spitze Lippen

Mit einem Mal kennt die SPD auf ihrem Parteitag nur noch Begeisterung fürs Regieren mit Angela Merkel und der Union. Wie glaubhaft ist das? Und was heißt das für die Groko und die Union?

Engelsgesicht mit Zwille in der Gesäßtasche: Kevin Kühnert / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Kevin Kühnert ist 30 Jahre alt und hat für dieses Alter ein ungewöhnlich weiches Gesicht. Dazu diese kindlichen Kulleraugen. Der Michel aus Lönneberga der SPD. Jungenhaft im Auftritt, rhetorisch gewitzt obendrein, der einzige Habeck, den die SPD hat, und das noch in jünger. Zum Gesichtsausdruck passt die Rede. Kühnert redet bei seinem Auftritt auf dem Bundesparteitag davon, dass man seine Politik nur in Regierungsverantwortung auch durchsetzen könne, wie seine Vorrednerin gerade schon zu Recht gesagt habe.

Diese Chuzpe ist schon wirklich bemerkenswert. Diese Mischung aus Wortgewandtheit und Unverfrorenheit. Da ist ein riesiges Loch in der Glasfront der großen Koalition, die erkennbar ein Stein geschlagen hat. Hinten hängt Kühnert die Zwille noch aus der Gesäßtasche, und vorne beschwört er mit seinem Engelsgesicht die 600 Delegierten, doch bitte dafür zu stimmen, in der Großen Koalition zu bleiben.

Groko-Gegner gibt's hier nicht

Überhaupt könnte man meinen, hier auf dem Messegelände in Berlin sind nur Leute in den Saal gekommen, die vorher eine Art Desinfektionsdusche am Eingang durchschreiten mussten, um all die schmutzigen Gedanken und den Widerwillen wegzuspülen, der sich in dem von Anfang an ungeliebten Dasein in der dritten Groko unter Bundeskanzlerin Angela Merkel angesammelt hatte.

Breitmaulfrösche? „Dü gübts hür nücht!“ sagt der Breitmaulfrosch zum Storch und spitzt dabei die breiten Lippen zu einem kleinen kreisrunden Löchlein. Groko-Gegner bei diesem SPD-Parteitag? Dü gübts hür auch nücht! Aussprache über den Antrag zur so genannten Revisionsklausel, als der Ausstiegschance aus dem Koalitionsvertrag. Ralf Stegner am Mikrofon: Ein Fan dieses Bündnisses. Karl Lauterbach, die letzten Tage noch dagegen teufeln auf allen Kanälen: kein Wort von ihm. Eine Sozialdemokratin aus Baden-Württemberg in einem rotweißen Norwegerpulli gesteht, dass sie gerne nach Hause gefahren wäre mit einem Groko-Aus im Gepäck. Aber das zeichne sich ja leider nicht ab, gibt sie eine durchaus den Umständen angemessenen Eindruck wider.

Nur Hilde Mattheis bleibt standhaft

Auch das neue Vorsitzendenpärchen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, kaum ins Amt gewählt, sieht die Koalition offenbar in einem wesentlich milderen Licht als noch zu Wahlkampfzeiten um den Vorsitz. Das mit dem Sein und dem Bewusstsein und dem inneren Zusammenhang von beidem hat schon viel für sich.

Eigentlich darf an diesem Abend nur Hilde Mattheis aufrecht in ihren Hotelzimmerspiegel gucken: Sie hat auf dem Parteitag gesprochen wie vorher und statt des „schleichenden Todes“ in der Koalition den Austritt gefordert. Bei ihr klafft kein Graben zwischen ihrem Reden vorher und jetzt.

Die Frage nach diesem SPD-Parteitag des abgeblasenen Rückzugs: Kann man, präziser: kann die Union nun darauf vertrauen, dass das, was sich auf dem Berliner Messegelände abgespielt hat, nicht nur aus Worten besteht, sondern aus einer ganz neuen Überzeugung und Erkenntnis, die länger als eine Woche trägt?

Abgrenzung bei schwarzer Null und Außenpolitik

Die SPD bleibt auch nach diesem Wiedervereinigungsparteitag von Regierungs-Sozis und Oppositions-Sozis in einem labilen Zustand. Die Union wird sich die Frage stellen müssen: Soll man diesem Treuegelübde des Koalitionspartners glauben und vielleicht in zwei Wochen das nächste Theater haben? Die Rede des neuen starken Mannes Norbert Walter-Borjans gerade an die Adresse der Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat da in außenpolitischer Hinsicht (AKK militarisiere die Außenpolitik, sagte Nowabo) eine weitere Stelle markiert jenseits der schwarzen Null, die bisher als mögliche Bruchstelle ausgeguckt wurde.

Ob sich die SPD mit ihrer heißen Sehnsucht nach Ausstieg aus der Groko bis zum Parteitag und der plötzlichen Leidenschaft fürs Weiterregieren selbst ein Stück weit der Lächerlichkeit preisgibt, ist ihr eigenes Problem. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kann das auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft egal sein. Sie schwebt ohnehin schon lange über diesen Niederungen. Für die Zukunft der Union und für jene, die die Zukunft der Union sind, sieht das anders aus.

Ein Groko-Ende kann nur aus der CDU kommen

Nach diesem Wochenende wird jedenfalls klar sein: Die SPD wird denjenigen in der Union, die die Kanzlerin inzwischen als Ballast begreifen und als Grund für die schwachen Wahlergebnisse und Umfragen, nicht die schmutzige Arbeit abnehmen, die Merkel-Groko und damit die Kanzlerschaft von Angela Merkel zu beenden.

Das müssen sie jetzt, das müsste namentlich die Parteichefin im Schulterschluss mit dem operativ maßgeblichen Fraktionschef Ralph Brinkhaus schon selbst hinkriegen, zum Beispiel, wenn die SPD alsbald mit einer konkreten Forderung kommt, die sie (im Unterscheid zur Kanzlerin) nicht gewillt sind, mitzugehen. Sonst müssen sie die letzten zwei Jahre eben auch noch ertragen. Sowohl die SPD, als auch ihre eigene, sesshafte Kanzlerin.

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