SPD - Der Houdini-Wahlkampf

Die SPD steckt in einem Dilemma. Sie kann die Kanzlerin nicht richtig angreifen, weil sie die meisten ihrer Entscheidungen selbst mitgetragen hat. Eine Möglichkeit aber gäbe es, um Schwung in die Auseinandersetzung zwischen Martin Schulz und Angela Merkel zu bringen

Sechs Wochen vor der Bundestagswahl liegt die SPD in den Umfragen 14 Prozentpunkte hinter der Union / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die SPD redet sich seit Wochen ein, es liege an der glitschigen Kanzlerin, dass sie die Amtsinhaberin nicht zu fassen kriegt. Da ist auch was dran. Keiner kann Sumo im politischen Ring so gut wie Angela Merkel. Aber es ist höchstens die halbe Wahrheit, und gegen die spezielle Kampfkunst der Kanzlerin kann der Herausforderer Martin Schulz aktiv wenig tun. Gegen den zweiten Teil der Wahrheit indes schon.

Denn dass bisher jeder, aber auch jeder Vorstoß der SPD verpufft ist, liegt nicht nur am Stoizismus der Kanzlerin. Es liegt vor allem daran, dass die Sozialdemokraten acht von zwölf Jahren der Angela Merkel mitregiert haben. Jeder Vorstoß richtet sich deshalb auch immer gegen die SPD selbst. Jüngstes Beispiel: Rüstungsausgaben. Natürlich kann man wie Außenminister Sigmar Gabriel versuchen, ziemlich plump und grobschlächtig den Antiamerikanismus zu instrumentalisieren, indem er der Kanzlerin Willfährigkeit vorwirft, dem Wunsch des amerikanischen Präsidenten nach deutlich höheren deutschen Militärausgaben für eine schlagkräftigere Nato nachzukommen. Misslich nur, dass die Zusage der Bundesrepublik, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, weit vor der Aufforderung Donald Trumps gemeinsam in der Koalition beschlossen wurde.

Die klare Absage

So geht das bald jedem Thema, das sich die Sozialdemokratie aussucht, um zu attackieren. Selbst beim Dieselgate gelingt es ihr nicht, ein Merkelgate draus zu machen weil die Sozialdemokraten über das unselige VW-Gesetz und dessen Verteidigung in Niedersachsen viel zu verwoben sind mit dem politisch-industriellen Komplex rund ums deutsche Automobil.

Die acht Jahre an der Seite Merkels kann die SPD naturgemäß nicht ungeschehen machen. Was sie aber kann, und das würde ihr sofort etwas mehr Beinfreiheit in diesem bis hierher fußlahmen Wahlkampf verschaffen: Sie könnte klipp und klar sagen, „mit Merkel nicht mehr, keine Große Koalition mehr. Einen ersten deutlichen Vorstoß hatte Sigmar Gabriel schon vor kurzem unternommen. Etwas weicher und verklausulierter hat sich nun auch Kanzlerkandidat Martin Schulz geäußert, der eine große Koalition nur unter eigener Führung eingehen würde.

Das Potenzial ist da

Die SPD müsste sich aus den Fesseln der Großen Koalition befreien und einen Houdini-Wahlkampf führen. Von dem Moment an wäre sie für eine beträchtliche Zahl der Wähler schlagartig wählbarer. Denn es ist mitnichten so, dass die guten Umfragewerte von Merkel und der Union bedeuten, dass Deutschland sich kollektiv und durch die Bank auf eine vierte Amtszeit Merkels freut.

Es gibt ein beträchtliches Potenzial an Wählern, die finden, dass es Merkel nach mindestens zwei kostspieligen Fehlern, der abrupten Energiewende und der Politik der offenen Grenzen, nicht verdient hat, im Kanzleramt zu bleiben.

Welche Optionen bleiben sonst?

Diese Wähler suchen jetzt nach einem Weg, ihre Stimme so abzugeben, dass sie am Ende jedenfalls nicht Merkel nutzt. Manche werden daher die AfD wählen, die klar gesagt hat, dass sie in die Opposition gehen wird. Manchen aber ist die AfD suspekt, wofür die Partei auch diverse Gründe und Anlässe bietet.

Die FDP wäre im Prinzip eine Partei, die diejenigen als Hafen für sich betrachten, die Angela Merkel nicht mehr als Kanzlerin wollen. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass deren Spitzenkandidat Christian Lindner die Flüchtlingspolitik und die Energiewende der Kanzlerin zwar gelegentlich kritisiert, aber daraus nicht öffentlich abgeleitet hätte, mit der Amtsinhaberin keine Koalition einzugehen. Im Gegenteil: Seine jüngsten Äußerungen zu außenpolitischen Fragen, legen den Schluss nahe, dass er sich seine Zukunft als Außenminister in einer schwarz-gelben Koalition vorstellen kann, er also den Westerwelle-Weg zu gehen gedenkt. 

Oder aber in einer Jamaika-Koalition, die die Grünen sofort eingingen, wenn es sich rechnerisch anböte. Was die Grünen wiederum als Wahlheimat ausschließt für diejenigen, die keine Kanzlerin Merkel mehr möchten.

Was es fast noch mehr braucht

Wem also die AfD zu höckisch, die FDP zu lindnerisch und die Grünen zu merkelig sind, der sucht. Und dieser Wählergruppe bliebe bei einem kategorischen Nein der SPD zur Beteiligung an einer Merkel-Groko nur die SPD. Die sich im Falle der derzeitig dennoch wahrscheinlichen Niederlage dann in der Opposition wiederfände. Was auch nicht falsch wäre. Weil diese parlamentarische Demokratie nach zwölf Jahren Merkel etwas fast noch dringender braucht als eine tatkräftige Regierung: eine starke und mehrstimmige Opposition.

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