SPD und CDU - Infarkt einer Regierung

SPD und CDU betreiben unter dem Druck ihrer Schwäche in der Wählergunst Vergangenheitsbewältigung: Die Sozialdemokraten brechen mit der Agenda-Politik ihres Ex-Kanzlers, die Christdemokraten mit der Flüchtlingspolitik ihrer amtierenden Kanzlerin. Helfen wird es nicht mehr

Kommen die politischen Kehrtwenden bei CDU und SPD zu spät? / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Beim Kreislauf eines Menschen gibt es eine Art Notbetrieb. Gerät der Körper in existenzielle Gefahr, dann versorgt er nur noch Kopf und Rumpf, die Extremitäten nicht mehr. In so einen Notmodus ist jetzt auch der politische Organismus SPD übergegangen. Mit einer radikalen Abkehr von einem Mitte-Links-Kurs, der mit der Agenda 2010 und den Hartzreformen verbunden war, versuchen die Sozialdemokraten ihren politischen Tod abzuwenden. Eine für Minirentenbezieher aufgestockte Grundrente, über deren Gerechtigkeitsaspekt man trefflich streiten kann, steht exemplarisch für diesen Kurswechsel.
Am vergangenen Sonntag hielt die SPD einen Kongress ab, bei dem weitere Weichenstellungen Richtung Links diskutiert wurden.

Die ersten Umfrageergebnisse scheinen der SPD recht zu geben in dieser Strategie. Erstmals seit langem kann die Partei wieder – wenn auch minimale – Verbesserungen erzielen. Aber am Ende wird es so sein wie beim Torsomodus des menschlichen Körpers: Mit dieser Strategie bindet man die verbliebene Kernklientel. Mehrheitsfähig wird man als Sozialdemokratie so nie.

Hausgemachte Probleme

Überdies fällt den Sozialdemokraten ihre Rückbesinnung just in dem Moment ein, in dem der Bundesregierung, an der sie beteiligt sind, das Geld ausgeht. Noch vor einem halben Jahr wusste der Bund nicht, wohin mit seinem vielen Geld. Jetzt haben die Folgen der Politik der vergangenen Jahre ein Loch von mindestens 25 Milliarden im Haushalt von Finanzminister Olaf Scholz gerissen, und dabei ist der Schattenhaushalt von über 30 Milliarden Euro für die so genannte Flüchtlingsrücklage offenbar schon verrechnet.

Es ist wie bei einem Skifahrer, der eine ganze Zeit lang mit hoher Geschwindigkeit einer Lawine davonzufahren versucht, die er selbst ausgelöst hat: Diese Lawine holt die Große Koalition jetzt ein, weil die Wirtschaft zu lahmen beginnt und die Kosten sich weiter türmen. Maßgeblich für die Kostenexplosion sind die Gelder, die die  Flüchtlingspolitik der vergangenen drei Jahre verschlungen hat. Denn auch die Vergrößerung des Beamtenapparats und eine massiv aufgestockte Verwaltung gehen auf dieses Konto. Eine ungeheure Entwicklung im Laufe nur eines halben Jahres. Bis zum Herbst wusste die Regierung nicht, wohin mit all ihrem Geld. Auf 60 Milliarden Euro belief sich der Überschuss von Bund, Ländern und Gemeinden.

Deshalb steht Arbeitsminister Hubertus Heil jetzt vor dem Problem, dass er seine SPD-Kernklientel für seine so genannte Respektrente mit etwa fünf Milliarden Euro aus der Steuerkasse beglücken möchte. Die sein Parteikollege Olaf Scholz als Finanzminister nicht hat, weil sie für eine andere Klientel schon aufgebraucht und weiter benötigt wird. Das dicke Ende ist gekommen. Die Folgen ihrer verfehlten Politik holen die Regierung ein.

Auch die CDU will aufarbeiten

Wie die SPD hat auch die CDU an diesem Wochenende ihre spezielle Vergangenheitsbewältigung betrieben. Was der SPD die Agenda 2010 ihres Ex-Kanzlers ist, ist der CDU die Flüchtlingspolitik ihrer amtierenden Kanzlerin. In einem „Werkstattgespräch“ sollten diese Politik und vor allem deren Folgen betrachtet werden. Und im Zuge dieser Konzession der neuen Parteivorsitzenden  Annegret Kramp-Karrenbauer an die Kritiker dieser Politik macht sich auch eine neue Direktheit in den Meinungsäußerungen zu dieser hoch umstrittenen Poltik bemerkbar.

Es sei „widersinnig“, hat der Kandidat für die Nachfolge Paul Ziemiaks als Vorsitzender der Jungen Union wissen lassen, wenn man als JU bei einschlägigen Stammtischen über die Politik der Kanzelrein schimpft und ihr dann beim Deutschlandtag der Jungen Union zujubelt. Tilman Kuban heißt der Mann. Er steht damit für eine Abkehr vom Duckmäusertum, das letzten Endes auch Ziemiak immer wieder hat einknicken lassen. Eine Politik des Appeasements gegenüber der Parteispitze, die ihm am Ende den Posten des Generalsekretärs einbrachte.    

Bruch oder Wiederauferstehung?

Die Zeiten eines kafkaesken Parteitags in Karlsruhe Dezember 2016 sind in der CDU definitiv vorbei. 11 Minuten hatte die Partei da ihre Kanzlerin und Vorsitzende beklatscht, obwohl die Basis wegen Merkels europäischem Flüchtlingssolo brodelte.

Am 26. Mai wird sich bei den Europawahlen und der Wahl zur Bürgerschaft in Bremen zeigen, ob die beiden Notoperationen von SPD und CDU zum Erfolg führen. Eher wohl nicht: Eine weiter abflauende Konjunktur wird die finanziellen Löcher weiter wachsen lassen, die inneren Spannungen in der Regierung zwischen einer linksorientierten SPD und einer ihrer Kanzlerin überdrüssigen CDU werden zunehmen. Ein Regierungsinfarkt, ein Bruch der Koalition in diesem Jahr ist wahrscheinlicher als ihre Wiederauferstehung.

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