Sozialwahl - 50 Millionen – wofür eigentlich?

Bis zum 31. Mai rufen die gesetzlichen Alters- und Krankenkassen ihre Mitglieder zur Sozialwahl auf. Die Aktion kostet viel Geld, doch die Beitragszahler haben nicht wirklich etwas zu entscheiden. Listen und Mandate wurden bereits im Vorfeld ausgekungelt

Wer Mitsprache nur vorgaukelt, braucht sich über die beschämende Beteiligung nicht zu wundern / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Sind Sie auch schon ganz heiß darauf, bis Ende Mai an der so bedeutenden Sozialwahl teilzunehmen? Zusammen mit 51 Millionen Beitragszahlern und Rentnern endlich darüber entscheiden zu dürfen, wofür die Renten- und Krankenkassen das viele Geld ausgeben? Liest man die Aufrufe zu den Sozialwahlen, die nun nach sechs Jahren wieder anstehen, könnte man tatsächlich glauben, hier würde der nach den Europa- und Bundestagswahlen drittbedeutendste Demokratieprozess eingeleitet. Schließlich verwalten Rentenversicherer und Ersatzkassen mehr Geld, als der Bundesregierung in diesem Haushaltsjahr mit 329,1 Milliarden Euro zur Verfügung steht. Allein die gesetzlichen Rentenkassen durften im vergangenen Jahr 272 Milliarden Euro an ihre rund 20 Millionen Sozialrentner auszahlen.

Nur leider haben die zu wählenden 4000 Beiräte nicht annähernd so viel zu sagen, wie die Wahlunterlagen Glauben machen wollen, die nun über 51 Millionen Bürger vor die Frage stellen: sich für eine Liste entscheiden – oder in den Papierkorb werfen? Denn die wirklichen Weichenstellungen trifft die Politik: Wer wann in Rente gehen darf, wie hoch diese ausfällt, wer welche Vergünstigung erhält und wer wie viel dafür bezahlt. Das entscheidet letztlich die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten, die selbst jedoch gar keine Beiträge entrichtet und sich lieber am deutlich lukrativeren Beamtensystem orientiert. Der Bund der Steuerzahler hat nachgerechnet: Die aktuellen Wahlgeschenke von Union und SPD – von der Mütterrente über die Rente mit 63 bis zur Angleichung der Ostrenten – kosten die Beitragszahler bis 2030 stattliche 250 Milliarden Euro. 

Es geht um das Geld der Leistungsträger

Doch hat man je gehört, dass die Selbstverwaltungsorgane dazu befragt worden wären? Oder gar dagegen Einspruch erhoben hätten? Dort wünschte man sich allerdings mehr Mitsprache der Betroffenen. Vor allem die jungen Beitragszahler sollten ihre Stimme erheben. Ihnen drohen langfristig drastisch steigende Beiträge, die im Alter allenfalls mit einer spärlichen Einheitsrente „belohnt” werden. Diese dürfte dann kaum über der Grundsicherung liegen, die auch jene erhalten, die so gut wie nichts in die Sozialkassen eingezahlt haben. Es geht um das Geld der Leistungsträger dieser Gesellschaft – und darum, dass in der alternden deutschen Gesellschaft endlich Rücklagen gebildet werden. Heute reichen diese in der Gesetzlichen Rentenversicherung  gerade mal für sechs Wochen. Diese Begrenzung ist sogar gesetzlich festgeschrieben.

Auch den Leistungskatalog der Krankenkassen bestimmt zu etwa 95 Prozent die Politik. Beraten wird sie dabei vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen (GBA). Deren – ebenfalls intern bestimmte – Mitglieder legen fest, welche Diagnosen und Therapien den 72 Millionen Kassenpatienten erstattet werden. Die jetzt zu bestimmenden Beiräte im sogenannten „Sozialparlament” können allenfalls über Nebensächliches mitentscheiden. Oder das Vorgegebene abnicken. Wirklichen Einfluss haben sie nicht. 

Absichten bleiben vage

Wer den Versicherten also nur eine Farce anbietet, braucht sich über die beschämende Beteiligung von zuletzt kaum 30 Prozent nicht zu wundern. Bei 151 der insgesamt 161 Sozialkassen gibt es gar keine echte Wahl, weil die von den Gewerkschaften dominierten Listen die Vertreter der Arbeitnehmerseite bereits ausgekungelt haben. Und selbst bei den 10 anderen Versicherungen kann man nur über vorgegebene Listen abstimmen. Nicht über Personen. Einen Wahlkampf gibt es schon gar nicht. Was wer wirklich (verändern) will, ist auch aus den Werbebroschüren im Internet nur schwer herauszulesen.

Im Grunde wollen alle das Gleiche: mehr Leistung bei stabilen Beiträgen. Und haben die Gewählten je Rechenschaft abgelegt darüber, was sie in den vergangenen sechs Jahren geleistet oder verhindert haben? Hat man je wieder etwas von ihnen gehört? Zudem: Wirklich unabhängige Kandidaten oder Listen gibt es nicht. Sie scheitern in der Regel an formalen Hürden. Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat die notwendigen 2000 Unterschriften nicht rechtzeitig einreichen können, um sich zur Wahl stellen zu können.

Teuer und fatal

Die hohen Kosten von rund 50 Millionen Euro wären ja noch zu rechtfertigen, wenn den Wählern eine echte Auswahl angeboten würde. Ein Euro pro Kopf alle sechs Jahre wäre gemessen an den Summen, die hier zu verwalten sind, ein akzeptabler Demokratie-Obolus. Doch 50 Millionen Euro für einen Akt der Scheindemokratie sind schlicht hinausgeworfenes Geld. Die Akteure gaukeln Mitsprache vor, wo es keine gibt. Zum Geld der Beitragszahler wird also auch noch Vertrauen verspielt.

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