Sonderrechte für geimpfte? - Diskriminieren, aber richtig

Manche Airlines wollen nur noch Passagiere befördern, die einen Impf-Nachweis vorzeigen können. Droht wegen Corona jetzt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft? Gewisse Privilegien für geimpfte Personen werden sich rechtlich jedenfalls nicht verhindern lassen.

Impfzentrum am Flughafen Münster-Osnabrück
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Autoreninfo

Prof. Dr. Alexander Thiele hat  eine Lehrstuhlvertretung für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie an der LMU in München inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Staatsrecht und der Demokratietheorie.

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„Keine Sonderrechte für Geimpfte“ – so lautet das aktuelle Mantra der Bundesregierung. Geimpfte sollen danach keinerlei rechtlichen Privilegien genießen. Aber heißt das automatisch, dass an den Impfstatus im gesellschaftlichen Umgang miteinander keinerlei Konsequenzen geknüpft werden dürften? Verfassungsrechtlich wird man differenzieren müssen. 

Beginnen wir mit einem Blick auf die allgemeine Privatwirtschaft, die bekanntlich vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt wird. Danach kann grundsätzlich jeder autonom darüber entscheiden, mit wem er einen Vertrag eingehen möchte oder nicht – eine Erfahrung, die jeder schon einmal gemacht haben dürfte, der vor der Pandemie versucht hat, den berüchtigten Berliner Club „Berghain“ zu betreten. Etwas drastisch formuliert: Private dürfen in gewissen Grenzen diskriminierend agieren. Eine rechtliche Verpflichtung, mit einer anderen Person einen Vertrag einzugehen, besteht grundsätzlich nicht. 

Moralisches Problem

Das ist in der Praxis freilich schon deshalb kein Problem, weil Unternehmerinnen und Unternehmer in der Regel ein finanzielles Interesse daran haben, mit möglichst vielen zu kontrahieren und ihnen eine diskriminierende Vertragspraxis zudem den Ruf schädigen würde. Könnte ein Restaurantbetreiber oder eine Bäckerin nicht-geimpften Personen damit zukünftig den Zutritt zu ihrem Geschäft untersagen?

Aus rechtlicher Perspektive lautet die Antwort zunächst: Selbstverständlich. Und das gilt für rein private Akteure auch bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht alle Personen überhaupt die Chance hatten sich impfen zu lassen – eine solche Praxis wäre dann eher ein moralisches, denn ein rechtliches Problem. 

Gleiches gilt im Übrigen für Reedereien in Bezug auf Kreuzfahrten oder Fluglinien im Hinblick auf Flugreisen. Private Akteure wären in diesen Fällen auch nicht verpflichtet, sich mit einem Schnelltest als Alternative zufrieden zu geben. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit greift nicht.

Es gibt Ausnahmen vom „Diskriminierungsrecht“

Gewisse Ausnahmen vom „freien Diskriminierungsrecht“ finden sich mittlerweile zwar im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Dort sind allerdings nur bestimmte Arten von Diskriminierungen untersagt, und das Verlangen eines Impfnachweises gehört nicht dazu. Da durch eine Impfung möglicherweise auch reale Gesundheitsgefahren minimiert werden können (sicher ist das bisher nicht), ist die Sache freilich auch anders gelagert als etwa bei einer Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Ob ein solches „Diskriminieren“ im eigenen Interesse läge, muss also jeder Unternehmer und jede Unternehmerin selbst entscheiden. Aktuell dürfte allerdings wohl kaum einer auf die Idee kommen, entsprechend zu verfahren – die meisten wären froh, überhaupt wieder öffnen zu können.

Ausnahmen in der Daseinsvorsorge

Etwas anders liegt die Sache im Bereich der sogenannten Daseinsvorsorge. Hier kennt das Recht in bestimmten Bereichen durchaus sogenannte Kontrahierungszwänge, zwingt also private Akteure dazu, einen Vertrag mit einer anderen Person einzugehen. Für die meisten Bereiche wie die Energieversorgung, den Wasser- oder den Telefonanschluss dürfte die Frage eines Impfnachweises allerdings keine Rolle spielen.

Wo es im Dorf nur einen einzigen Bäcker gibt, könnte man über einen Kontrahierungszwang zumindest nachdenken. Eine gesetzliche Regelung dazu gibt es nicht, es dürfte auch nicht angezeigt sein, hier im vorauseilenden Gehorsam etwas zu regeln, da es sich vermutlich eher um theoretische Scheinprobleme handelt.

Arbeitnehmer müssen ihre Tauglichkeit nachweisen 

Und im Arbeitsrecht? Kann der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin Auskunft über eine durchgeführte Impfung verlangen? Im Grundsatz gilt hier: Nein. Den Gesundheitszustand abzufragen ist in dieser Form unzulässig, auch im Übrigen trifft die Arbeitnehmer keine Informationspflicht.

Das heißt freilich nicht, dass die unbeantwortete Frage nach der Impfung konsequenzlos bleiben müsste. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen für die jeweilige Tätigkeit die notwendige Tauglichkeit aufweisen. Insofern kann es durchaus Tätigkeiten geben, bei denen eine Impfung von Arbeitgeberseite vorausgesetzt werden darf (man denke vor allem an die Pflegeberufe).

Schlimmstenfalls Kündigung

Kommt in solchen Fällen die Betreuung mit einer anderen Tätigkeit nicht in Betracht, kann das im schlimmsten Fall auch zur Kündigung führen. Hier sollte daher der Gesetzgeber partiell tätig werden und festlegen, in welchen Bereichen eine Impfung arbeitsrechtlich vorausgesetzt werden darf; eine ähnliche Regelung findet sich heute bereits für die Masernimpfung. Gleichwohl sind dem Staat hier Grenzen gesetzt: Letztlich ist auch das Arbeitsrecht vom Prinzip der Privatautonomie geprägt, und hier liegt die Sache wie erwähnt eben anders als in den bereits bestehenden Diskriminierungsverboten.

Den größten Einfluss auf den Umgang mit nicht-Geimpften hat der Staat zwangsläufig da, wo er die Verträge selbst schließt. Geht es also um den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, gilt der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, der eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung untersagt. Solange eine allgemeine Impfpflicht nicht besteht, dürfen diese Einrichtungen also grundsätzlich nicht zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften unterscheiden. Auch hier mag es für bestimmte Einrichtungen wie staatliche Pflegeheime und Krankenhäuser Ausnahmen geben. Allerdings greift hier sowohl der Gleichheitsgrundsatz als auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Die Einrichtung muss also nicht nur gute Gründe für den Impfnachweis nennen können, sie muss sich unter Umständen (etwa für Besucher) auch auf Alternativen wie Schnelltests verweisen lassen.

Verfassungsstaat setzt auf Vernunft

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass sich jedenfalls im privaten Umgang miteinander gewisse Privilegien für geimpfte Personen rechtlich kaum verhindern lassen. Private haben grundsätzlich das Recht, über den eigenen Umgang und damit auch über die eigenen Vertragsbeziehungen frei zu entscheiden. Ob und wie man von diesem Recht Gebrauch macht, ist damit freilich ebensowenig vorgegeben. Der demokratische Verfassungsstaat setzt hier auf die Vernunft der Rechteinhaber.

Natürlich ist es nicht verfehlt, wenn sich der Gesetzgeber punktuell Gedanken macht und einige besondere Konstellationen explizit regelt. Im Übrigen aber ist das Vertrauen auf die allgemeine Vernunft auch in diesem Fall vielleicht nicht das Schlechteste.

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