Sicherheit von Corona-Impfstoffen - „Keine Häufung von Spätfolgen“

Kaum ein Thema wird so kontrovers diskutiert wie die Corona-Impfung. Lassen sich bei einem Impfstoff, der in kürzester Zeit auf den Markt kam, Restrisiken ausschließen? Der Forscher Torben Schiffner über die Funktionsweise von mRNA-Impfstoffen und die Wahrscheinlichkeit von Impfschäden.

Ein Mann in Ankara erhält eine Corona-Impfung / dpa
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Autoreninfo

Alissa Kim Neu studiert Kulturwissenschaften und Romanistik in Leipzig. Derzeit hospitiert sie bei Cicero.

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Dr. Torben Schiffner ist Träger des Sofja Kovalevskaja-Preises der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und Impfstoff-Forscher am pharmazeutischen Institut der Universität Leipzig.  

Herr Schiffner, nach einer Preprint-Studie aus den Niederlanden ist ein geschwächter Abwehrmechanismus nach einer Corona-Impfung gegenüber anderen Viren nachgewiesen. Auch kann es durch die Impfung zu Herzmuskelerkrankungen und Sinusvenenthrombosen bei jungen Menschen kommen. Verstehen Sie die Angst mancher Menschen vor dem Impfen?

Die Studie aus den Niederlanden kenne ich nicht, aber grundsätzlich kann ein Immunsystem durch die Impfung kurzzeitig etwas herunterfahren, da es eben auf den Impfstoff konzentriert ist. Das ist aber normalerweise nur minimal und hat keine bleibenden Konsequenzen. Nachvollziehen kann ich auf jeden Fall, dass Menschen verunsichert werden, wenn sie von so etwas hören. Aber die meisten Menschen machen sich nicht bewusst, wie die Risiken verteilt sind. Denn ja, es gibt Risiken bei der Impfung. Aber sich nicht zu impfen, ist noch riskanter.

Viele verunsichert auch, dass Biontech und Moderna zu den neuartigen mRNA-Impfstoffen zählen, die noch nie massenhaft angewendet wurden ...

Für die Forschung sind die Impfstoffe nicht neu, da daran schon seit fast 15 Jahren geforscht wird. Auch wurden sie schon zuvor am Menschen angewandt, aber nun das erste Mal in so einer Breite.

Was ist anders als bei herkömmlichen Impfstoffen?

Das Besondere an diesen mRNA-Impfstoffen ist, dass wir dem Körper quasi nur einen Bauplan für ein Protein des Corona-Virus, das sogenannte Spike-Protein, geben. Der Körper stellt dann selbst dieses Protein her, was wiederum vom Immunsystem erkannt wird. Bei herkömmlichen Totimpfstoffen wird das gesamte Virus hergestellt und abgetötet. Bei Lebendimpfstoffen wird das Virus in abgeschwächter Form verimpft. In beiden Fällen muss der Impfstoff aber erst aufwendig in einer Fabrik hergestellt werden. Die Produktion eines Totimpfstoffs oder auch Spaltimpfstoffs unterscheidet sich auch sehr stark danach, um welches Virus es sich handelt. Bei mRNA-Impfstoffen ist die Produktion immer gleich, egal um welche Krankheit es sich handelt.

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Also beurteilen Sie die Corona-Impfstoffe als unbedenklich?

Ja, mRNA-Impfstoffe entstehen in sicheren Herstellungsverfahren.

 Torben Schiffner / Swen Reichhold

Aber wenn die mRNA dem Körper nur Anweisungen gibt, können demnach nicht auch falsche Anweisungen übergeben werden oder die mRNA sich im menschlichen Erbgut festsetzen?

Diese Annahme beruht auf dem Missverständnis, das mRNA und DNA das Gleiche sind. Es hört sich zwar ähnlich an, aber es ist nicht möglich, mRNA ins Genom einzubauen. Und die mRNA bleibt nach der Impfung nur ein bis zwei Tage im Körper und wird dann vollständig abgebaut.

Wie wahrscheinlich sind Spätfolgen nach der Impfung?

Spätfolgen sind normalerweise keine Folgen, die sich verzögert manifestieren, sondern die lange andauern. Durch Erfahrungen mit anderen Impfstoffen wissen wir, dass Nebenwirkungen fast nie später als sechs Wochen nach der Impfung auftreten. Die mRNA ist ja auch nach zwei Tagen abgebaut, und in dieser Zeit stellt der Körper das Spike-Protein des Coronavirus selbst her. Die Immunantwort gegen dieses Spikeprotein beginnt schon am Tag nach der Impfung, erreicht seinen Höhepunkt nach etwa zwei Wochen und nimmt anschließend wieder ab. Nach der Zeit der Immunantwort gibt es dann eigentlich keine Reaktion seitens des Körpers mehr. Mittlerweile haben wir auch die Daten von fast einem Jahr nach der Impfung und wir haben, statistisch gesehen, keine Häufungen von Spätfolgen.

Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Folgen eintreten?

Impfreaktionen wie Rötungen, Schmerz an der Einstichstelle und Fieber sind wahrscheinlich und zeigen, dass der Impfstoff im Körper funktioniert. Was schwerwiegende Nebenwirkungen betrifft, so kommen die nur sehr selten vor. Natürlich kommt es da auf die Altersgruppen an und auf den Impfstofftyp. Bei Johnson & Johnson beispielsweise liegt die Wahrscheinlichkeit einer schweren Thrombose bei weniger als 1:100.000, je nach Alter, Geschlecht und anderer Faktoren. Das heißt aber immer noch sehr, sehr selten.

Sind nicht auch unerforschte Restrisiken denkbar, die sich möglicherweise erst manifestieren, nachdem eine viel größere Anzahl an Menschen geimpft worden ist?

Das ist theoretisch möglich, das kann auch bei anderen Medikamenten passieren. Sehr seltene Nebenwirkungen erkennt man nämlich erst, nachdem eine sehr große Anzahl an Menschen das Medikament genutzt hat. Aber bezüglich der aktuellen Zahlen von über drei Milliarden verimpften Impfdosen lässt sich sagen, dass die Chance, eine häufige Nebenwirkung zu finden, geradezu ausgeschlossen ist. Alles, was sich noch zeigen könnte, sind sehr seltene Komplikationen im Zusammenhang mit der Impfung.

Andere Impfstoffe brauchen teilweise 15 bis 20 Jahre in der Entwicklung, Biontech brauchte kein ganzes Jahr. Wie war das möglich, ohne an Qualität und damit Sicherheit zu sparen?  

So ganz stimmt das nicht, dass die Entwicklung der Impfstoffe nur ein Jahr gedauert hat. Es konnte immerhin auf die gesamte Forschung der letzten zehn, 20 Jahre zurückgegriffen werden. Es gab auch schon Prototypen für Corona-Impfstoffe für Sars-CoV-1. Als dann Sars-CoV-2 entdeckt wurde, konnten diese Ergebnisse angepasst werden.

Ist das die Erklärung, warum die Impfstoffentwicklung fast 14 Jahre schneller greifen konnte als üblich?

Hinzu kamen große Mengen an finanziellen Mitteln, die viele Hürden aus dem Weg räumten. Bei anderen klinischen Studien kommt hinzu, dass im Prinzip manchmal jahrelang nichts gemacht wird, sondern nur Papierkram erledigt werden muss. In diesem Fall aber war ein Rolling-Review-Verfahren möglich, was uns allen viel Zeit ersparte.

Was bedeutet Rolling-Review-Verfahren?

Das bedeutet, dass schon während der klinischen Studie Ergebnisse und Dokumente an Behörden übermittelt werden, die diese dann sozusagen parallel bearbeiten und überprüfen. Damit wird massiv Zeit gespart, da alle auf dem neuesten Stand sind.

Warum wird das nicht grundsätzlich so geregelt?

Weil der Aufwand bei den Behörden zu groß wäre.

Und die Impfstoffe durchliefen auch genau die gleichen Test- und Prüfungsphasen, die andere Impfstoffe durchlaufen?

Ja, die Impfstoffe haben alle nötigen klinischen Testphasen durchlaufen. Die durchgeführten Studien hatten sogar deutlich mehr Teilnehmer, als das normalerweise der Fall ist. Da immer eine gewisse Anzahl an Infektionen in solchen Studien und Kontrollstudien gebraucht wird, konnte durch die Gruppengröße auch noch einmal alles beschleunigt werden. Das heißt, für die Vakzine besitzen wir sogar eine größere Menge an Sicherheitsprofilen als üblich.

Für Astrazeneca fehlten aber beispielsweise zur Zeit der Zulassung in Großbritannien noch aussagekräftigere Daten zu bestimmten Altersgruppen …

In Deutschland gab es deswegen auch erst einmal keine Zulassung von Astrazeneca für ältere Menschen. Ebenso ist dies auch der Grund, warum die meisten Impfstoffe für junge Leute noch nicht zugelassen sind, da es bisher wenig oder keine expliziten Studien mit ihnen gibt.

In den USA haben die Impfstoffe allerdings nur eine Notzulassung erhalten, in Deutschland und Europa nur eine bedingte Zulassung.

Der Grund für die bedingte Zulassung ist, dass der administrative Prozess für eine bedingte Zulassung deutlich schneller ist als bei einer ordentlichen Zulassung. Es müssen weniger Daten eingereicht werden als bei einer ordentlichen Zulassung, und fehlende Daten können dann später nachgereicht werden. Zum Beispiel fehlen auch jetzt immer noch Daten dazu, wie lange der Impfschutz anhält. Aber eine bedingte Zulassung wird nur dann erteilt, wenn aus den vorhandenen Daten klar ist, dass der Nutzen des schnelleren Verfahrens die Risiken eindeutig überwiegt.

Aber könnte man die Impfstoffe dann nicht ganz normal zulassen?

Ja, in den USA haben Pfizer/Biontech sowie Moderna bereits eine ordentliche Zulassung beantragt, und auch in Europa wird das früher oder später kommen.

Ein häufiges Argument fürs Impfen ist ja, dass der Nutzen das Risiko überwiegt. Aber sollte nicht jeder selbst seinen eigenen Nutzen beurteilen?

Selbst bei jungen Frauen, bei denen das Risiko-Nutzen-Verhältnis am schlechtesten ist, überwiegen der Nutzen und der Schutz vor Corona eindeutig die Risiken einer Impfung. Das kann schon jeder selbst abwägen, aber aus wissenschaftlicher Sicht stellt es sich recht klar dar. Alle Impfstoff-Forscher, die ich kenne, also Personen die sich extrem gut mit der Thematik auskennen, ließen sich sofort, nachdem ihre Priorisierungsgruppe zugelassen wurde, impfen. Früher oder später wird sich jeder Ungeimpfte mit Corona infizieren, da ist die Impfung die bessere Alternative.

Die Fragen stellte Alissa Kim Neu.

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