Sexismus - „G-Punkte“, „ungebumste Schabracken“ und Nächte mit Lindner

Sexismus in der Politik gilt noch immer als Kavaliersdelikt. Das hatte der Witz von FDP-Chef Christian Lindner auf Kosten der geschassten Generalsekretärin Linda Teuteberg gezeigt. Doch die Männer kommen nicht mehr ungestraft davon. Dieser Artikel interessierte viele Leser im September.

„Nicht, was Ihr jetzt denkt“: Linda Teuteberg auf dem FDP-Parteitag / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Opa Hoppenstedt wusste, worauf es im Leben ankommt. Gefragt von der Spielwarenverkäuferin, ob sein Enkelkind Dickie denn„ein Zipfelchen“ habe, antwortete Loriots berühmteste Sketch-Figur barsch: „Es hat alles, was es braucht.“

Ohne es zu ahnen, nahm der schon leicht senile Opa damit einen wichtigen Streitpunkt der Identitätspolitik vorweg. Weiße Männer müssen sich nicht in Frage stellen. Wer mit einem Zipfelchen geboren wurde, dem gehört die Welt. Er darf sich über alle erheben, die nicht in sein Wertemuster passen. So zumindest war das zu Zeiten von Opa Hoppenstedt.  

Die Gesellschaft ist längst weiter 

Heute wird Deutschland von einer Frau regiert. Die Gesellschaft streitet sich um Frauenquoten und Gendersternchen. Aber es gibt Männer, die mental in der Zeit von Opa Hoppenstedt stehengeblieben sind. Sie heißen Christian Lindner, Serdar Somuncu und Roland Tichy. Und sie glauben noch immer, dass sie es sich als Zipfelchenträger herausnehmen dürfen, Frauen zu beleidigen. 

%paywall%

Nehmen wir Serdar Somuncu. Ein Mann, der nur noch mit kugelsicherer Weste auftreten kann, seit er mit einer szenischen Lesung ausgewählter Textstellen aus Hitlers Buch „Mein Kampf“ durch die Republik tourte. Inzwischen ist er nicht nur bei Nazis verhasst. Auf der Bühne beleidigt er regelmäßig Schwule, Moslems und Frauen. 

Satire darf nicht alles 

Das nennt er Satire. Es ist Etikettenschwindel, aber es erlaubt ihm, jede Beschwerde mit dem Hinweis abzubügeln, die Betroffenen hätten seinen Humor eben nicht verstanden. Sei ja alles gar nicht so gemeint gewesen. Sie sollten sich nicht so anstellen. 

Aber jetzt ist er zu weit gegangen. In einem dreistündigen Podcast für radio eins hat Somuncu die Grenzen des Sagbaren so weit verschoben, dass sich selbst Opa Hoppenstedt für ihn geschämt hätte. Feministinnen nannte er „schlecht gebumste, miese hässliche Schabracken“, und man könnte diese Aufzählung noch beliebig um weitere Details unter der Gürtellinie ergänzen, wenn einem das nicht die Fremdscham verbieten würde. 

Tourette-Anfall eines Mannes in den mittleren Jahren 

Man könnte seine Wutrede als Tourette-Anfall eines Mannes in den mittleren Jahren abtun, der es immer schwerer hat, sich im Getöse der sozialen Medien Gehör zu verschaffen. Haha, der Serdar! Ist mal wieder übers Ziel hinausgeschossen. Kann ja mal passieren. 

Der Fall weist aber über sich hinaus. Radio eins, der Sender „nur für Erwachsene“, ist wegen dieser Wutrede so heftig in die Kritik geraten, dass sich Somuncu dafür entschuldigen musste. So etwas hat es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch nicht gegeben. Ein Mann nutzt seine Bühne, um Hörer auf Kosten von Frauen zum Schenkelklopfen zu animieren – und er bekommt dafür die Rote Karte. 

Ein fiktives morgendliches Telefonat und seine Folgen 

Und Somuncu ist kein Einzelfall. In derselben Woche ist FDP-Chef Christian Lindner der Sexismus um die Ohren geflogen. Auf dem Parteitag hatte er die von ihm geschasste Generalsekretärin Linda Teuteberg mit den Worten verabschiedet: „Ich denke gerne daran, Linda, dass wir in den vergangenen 15 Monaten ungefähr 300-mal, ich hab mal so grob überschlagen, ungefähr 300-mal den Tag zusammen begonnen haben.“ Auf das vereinzelte Gelächter im Saal sagte er: „Ich spreche über unser tägliches, morgendliches Telefonat zur politischen Lage. Nicht, was Ihr jetzt denkt.“ 

Lindner hat diesen Witz nicht zum ersten Mal gemacht, 2017 hatte er schon einmal gesagt, er sei mit Claudia Roth aufgewacht. Das machte ihn aber nicht lustiger. Denn was wollte der FDP-Chef damit zwischen den Zeilen sagen? Dass er so unwiderstehlich attraktiv ist, dass sich die Damen glücklich schätzen konnten, das Bett mit ihm zu teilen? 

Chauvinismus als Kavaliersdelikt 

Applaus von den Parteifreunden. In der FDP gilt dieser kaum verhohlene Chauvinismus immer noch als Kavaliersdelikt. Außerhalb des Parteitags sieht das anders aus. Da wurde der FDP-Chef ausgebuht. Wieder nur ein Sturm im Wasserglas, entfacht von der Empörungsmaschine Twitter? 

Natürlich machten die sozialen Medien den Vorfall größer, als er in Wirklichkeit war. Von „Chauvinismus par excellence“ und „Altherren-Humor“ war die Rede. Doch genau diese Kritik traf den FDP-Chef an einer wunden Stelle. Der Frauenanteil bei den Liberalen liegt nur noch bei 22,5 Prozent. Welche Frau möchte möchte einer Partei beitreten, deren Mitglieder reflexartig versichern, sie bräuchten keine Quote? Und die dann Zeuge werden, wie der Chef seine Generalsekretärin erst stillos abserviert und dann vor versammelter Mannschaft brüskiert? 

#MeToo hat eine rote Linie markiert 

Die Fälle Somuncu und Lindner zeigen, dass die Zipfelträger nicht mehr machen können, was sie wollen. Eine kritische Öffentlichkeit weist sie in ihre Schranken. Es ist auch das Verdienst der Frauen, die im Zuge der Bewegung #MeToo Drohungen und Gerichtsprozesse auf sich genommen haben, um Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt anzuprangern. 

Sie haben eine rote Linie markiert, über die sich Männer jetzt nicht mehr so einfach hinwegsetzen können. Die Zeit, wo ein Zipfelchen reichte, um die Welt zu regieren, ist vorbei. Fragen Sie Roland Tichy, den Herausgeber des rechtspopulistischen Monatsmagazins Tichys Einblick. Er hat gerade verkündet, dass er nicht mehr zur Wiederwahl als Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung antreten werde. 

Der G-Punkt als einziger Pluspunkt 

Etwas anderes blieb ihm auch gar nicht mehr übrig. Einer seiner Autoren hatte über die SPD-Politikerin Sawsan Chebli geschrieben, ihr einziger Pluspunkt sei ihr G-Punkt. Aus Protest darüber hatte Digitalministerin Dorothee Bär (CSU) die Stiftung einen Tag vorher verlassen. Auf Twitter mussten sich andere Mitglieder wie Jens Spahn (CDU) und Linda Teuteberg (FDP) die Frage gefallen lassen, warum sie dazu schweigen. 

Die Wut der sozialen Medien ist gefährlich. Aber manchmal trifft sie die Richtigen. 

Anzeige