Seehofer, Schäuble und Gabriel gegen Merkel - Meuterei ohne Folgen

Nach Horst Seehofer kritisieren nun auch Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin offen und hart. Die drei Ersten Offiziere der Großen Koalition wenden sich vom Kurs der Kapitänin ab. Noch ist das Fahrwasser ruhig, aber bei der Wahl 2017 droht ein schwerer Sturm

Die drei wichtigsten Politiker der Großen Koalition wenden sich von Merkel ab – und nichts passiert / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Vielleicht muss man sich so eine Koalition, gerade eine große, vorstellen wie ein riesiges Kreuzfahrtschiff: Selbst wenn alle Ersten Offiziere wegen des eingeschlagenen Kurses widersprechen, sie sogar auf der Brücke das Ruder rumreißen, wenn der Kapitän gerade nicht da ist, fährt dieser Riesenpott in seiner Trägheit der schieren Masse einfach stoisch weiter und pflügt die See. So geht es zu auf Merkels MS Bounty 2. Die Meuterei ist in vollem Gange. Inzwischen haben alle drei Ersten Offiziere sich vom Kurs der Kanzlerin losgesagt.

Zuletzt war es Wolfgang Schäuble der Merkel für ihre Politik in der alles entscheidenden Flüchtlingsfrage scharf anging. Nicht zum ersten Mal übte die mächtige Eminenz in Kabinett und CDU Kritik. Wir erinnern uns: Unmittelbar nach dem Alleingang seiner Partei- und Kabinettschefin raunte Schäuble in seiner unnachahmlichen Weise etwas von einem Skifahrer, der eine Lawine ausgelöst habe. Hinterher sollte Merkel nicht gemeint gewesen sein, weil man sie sich doch schlecht als Freeriderin im Tiefschnee vorstellen könne. Haha. Was haben wir alle erleichtert gelacht.

Schäuble bettet Kritik in Menschenliebe

Jetzt hat der Finanzminister in der Welt am Sonntag nachgelegt. Wieder auf diese bauernschlaue Art, die harte Kritik in eine allgemeine Milde einzupacken. Wer sei schon ohne Fehl und Tadel, fragte Schäuble, und es sollte klingen wie ein gütiges „te absolvo“. Er bettete es in ein gnädiges „Wir“: „Vieles“ sei „uns 2015 aus dem Ruder gelaufen“. Schäuble weiter: „Wir Politiker sind Menschen, auch wir machen Fehler. Aber man kann wenigstens aus Fehlern lernen.“

Wie kann jemand, fragt man sich, nach solch einer Erkenntnis über das Versagen einer Kanzlerin in einer epochalen Frage einfach in der Regierung weiter die Zahlen addieren und das Geld zusammenhalten? Als sei das ein lässlicher Fauxpas. Bei 22 Milliarden Euro Kosten allein im vergangenen Jahr, einem zerstrittenen Europa, einer gelinde gesagt veränderten Sicherheitslage im Land und einer bis in die Familien hinein gespaltenen Gesellschaft?

Auch Gabriel stellt sich gegen Merkel

Kurz vor Schäuble hatte sich Vizekanzler Sigmar Gabriel zu Wort gemeldet in der wahlentscheidenden F-Frage. Weil das Stern-Interview vor allem dazu da war, seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur und den Parteivorsitz zu erklären, ging die wichtigste Passage fast unter. Denn der Mann, der im heißen Herbst 2015 mit einem solidarischen „Refugees welcome“-Button am Revers neben der Kanzlerin auf der Regierungsbank Platz nahm, hieb jetzt auf gerade diese Stelle ein.

Viele Menschen würden einen „Kontrollverlust“ empfinden – „nicht nur mit Blick auf die massenhafte unkontrollierte Zuwanderung des Jahres 2015“. Und weiter über die Rolle der Kanzlerin: „Niemals hätten Kanzler wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder Entscheidungen über die Öffnung der Grenzen getroffen, ohne wenigstens einmal mit unseren Nachbarn zu sprechen.“ Wenig weiter sagt Gabriel: „Die Naivität oder vielleicht auch der Übermut, mit der das erfolgt ist, habe ich nie für richtig erklärt. Angela Merkel hat eben Deutschland und Europa gerade in dieser Frage in eine Sackgasse geführt.“ Kontrollverlust, Alleingang, Naivität. Härter kann man nicht plädieren gegen die Angeklagte.

Schulz ignoriert Gabriels Wahlkampfvorschlag

Sigmar Gabriel, das ist das Dialektische an seinem Verzicht auf die Kandidatur, ist einer der besten Wahlkämpfer, die die SPD je hatte. Er spielt da in einer Liga mit Gerhard Schröder, der sich nur insofern von Gabriel abhebt, als er diese Gabe auch in persönliche Zustimmung umwandeln konnte. Aus dieser Erkenntnis heraus erklärt sich Gabriels Verzicht.

Als guter Wahlkämpfer sieht er genau, wo das Lindenblatt auf Merkels Schulter liegt und markiert schon mal die Stelle, auf die der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zielen soll. Der aber ignorierte bei Anne Will den Hinweis seines Freundes. Vieles sei richtig in dem Interview seines Freundes, sagte Schulz, nicht alles, wie man es hätte erwarten können. Merkel habe richtig gehandelt im Spätsommer und Herbst 2015. Wenn Schulz so weitermacht, dann verspielt er die kleine Restchance, die er auf das Kanzleramt hat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nie da gewesene Konstellation

Diese hier handelt von der Meuterei auf Merkels Bounty 2. Und da ist festzuhalten: Drei Personen protestieren in der wichtigsten politischen Frage dieser Legislatur offen gegen Merkel. CSU-Chef Horst Seehofer tat das bekanntlich von Anfang an. Nun haben auch Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel aus unterschiedlichen Motiven ihre Meinung über Merkels mangelnde Regierungskunst in Drucksituationen zum Besten gegeben.

Das ist eine ungeheuerliche und nie da gewesene Konstellation. Die drei wichtigsten Politiker der Koalition, praktisch die gesamte Führungsriege wendet sich von Merkel ab – und nichts passiert. Schon bei Seehofers permanentem Sperrfeuer gegen die eigene Kanzlerin und Parteischwester stockte einem der Atem. Jetzt sind es auch Gabriel und Schäuble, die sich gegen Merkel stellen.

Die Macht der Mannschaft

Die Große Koalition macht währenddessen weiter, als sei nichts dabei. Kein Koalitionsbruch, keine Konsequenz in der Frage, ob jemand, der so gescheitert ist an einer akuten Krisensituation, wirklich ein viertes Mal fürs Kanzleramt kandidieren sollte. Die Usancen sind sonderbar geworden im politischen Betrieb der Großen Koalition, die Kaltschnäuzigkeit und Chuzpe erstaunlich.

Es gibt da aber noch eine Mannschaft auf diesem Kreuzfahrtschiff MS Bounty 2. Die Mannschaft darf am 24. September bei der Bundestagswahl sagen, was sie vom Kurs der Kanzlerin in den vergangenen vier Jahren gehalten hat. Und wenn man die jüngsten Meinungsumfragen richtig deutet, dann tut sich da etwas. Es sieht aus, als wären die drei Meuterer nicht alleine mit ihrer Meinung. So viel hat der Wahlkämpfer Gabriel mit seinem Vorstoß erreicht: Es wird enger für Merkel.

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