Schwäbischer Bürgermeister Joy Alemazung - Der Überzeuger

Die Bewohner der schwäbischen Kleinstadt Heubach haben den 46-jährigen gebürtigen Kameruner Joy Alemazung zu ihrem Bürgermeister gewählt. Der Politikwissenschaftler und CDU-Politiker ist Deutschlands erstes Stadtoberhaupt mit afrikanischen Wurzeln. Was hat ihn hierher geführt?

Joy Alemazung ist Bürgermeister der schwäbischen Kleinstadt Heubach / Annette Cardinale
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Autoreninfo

Johanna Henkel-Waidhofer ist Korrespondentin für Landespolitik in Baden-Württemberg für mehrere deutsche Tageszeitungen. 

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Wenn Joy Alemazung von „zu Hause“ spricht, erschließt sich häufig nicht sofort, was er meint: Kamerun oder Deutschland. Wenn er von Heubach spricht, ist jeder Zweifel ausgeschlossen. In der Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb, etwa 60 Kilometer östlich von Stuttgart, hat der neue Bürgermeister seine kommunalpolitische Leidenschaft entdeckt. 

Migrantenleben sind geprägt von vielen Zufällen. Was wäre gewesen, hätte er in den neunziger Jahren in Bonn nicht seine auch aus Kamerun stammende Frau Barbara kennengelernt? Was wäre gewesen, hätte er sich nicht mit einem handgeschriebenen Brief direkt beim Rektor am Numerus clausus vorbei einen Studienplatz erkämpft? „Es war besser, Politik und Soziologie in einem Land zu studieren, in dem Demokratie herrscht“, sagt er dazu heute. Und vor allem: Wo und was wäre er heute, wenn er, wie ursprünglich geplant, wieder zurückgekehrt wäre nach Afrika? Aber Dutzende Bewerbungen blieben erfolglos. Und die drei Kinder, erzählt Alemazung, identifizierten sich ohnehin mit Deutschland.

Geprägt von Glaube und Vater

Jetzt gehört die Familie nach Heubach. 2020 hat sie im nahen Lindach eine Bleibe gefunden und der 46-Jährige zur CDU, weil die in seinen Augen den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit am besten gerecht wird mit ihrer Expertise in Wirtschaftsfragen, mit der Bewahrung der Schöpfung und mit ihren christlichen Werten. Sein Glaube bilde die Basis seines Lebens, sagt Alemazung: „In der Gesellschaft müssen die Menschen funktionieren, in der Kirche ist das anders.“ 

Diese Herangehensweise will er in die Kommunalpolitik tragen. Der Politikwissenschaftler mit Doktortitel und den Schwerpunkten Demokratisierung und Entwicklungszusammenarbeit hat nicht nur viele Ideen für die im 13. Jahrhundert erstmals erwähnte Gemeinde, vom Eine-­Welt-Café über die Digitalisierung bis zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern auch sehr klare Vorstellungen davon, wie sie praktisch anzupacken sind: erklären und überzeugen.

Wenn er von seiner Kindheit in Kamerun erzählt, mit 13 Geschwistern und einem Vater, der mit zwei Frauen verheiratet war, wird greifbar, wieso er eine so große Popularität genießt in der gut 10.000 Einwohner zählenden Stadt. Sein Vorname Joy erinnert an die Freude der Eltern, als der erhoffte Sohn, anders als sein Bruder, überlebte. „Mein Vater hat mein Leben am meisten geprägt“, sagt Alemazung, „weil er der größte Pädagoge ist, den ich kenne.“ Ständig forderte er ihn auf, Fragen zu stellen, immer wieder gab er ihm Weisheiten mit auf den Lebensweg: „Wenn du nur für dich lebst, gehörst du der Welt von heute, die morgen nicht mehr existiert. Wenn du für andere lebst, gehörst du der Welt von morgen.“ Oder: „Alles, was du mit dem Herzen machst, verändert die Welt.“

Vermittler zwischen den Welten

Kaum in der CDU, hat er sich – nachdem sein SPD-Vorgänger als OB ins nahe Aalen gewechselt war – für die Kandidatur zum Bürgermeister interessiert. Der Kreisverband unterstützte den anerkannten und bestens vernetzten Afrika-Experten. Weggefährten beschreiben ihn als einen der einflussreichsten Vertreter des Kontinents in Deutschland. Dazu ist er ein Wanderer zwischen den Welten, sogar in den beiden großen Kirchen: Als Katholik hat er bereits vier Evangelische Kirchentage mitorganisiert. 

Im Wahlkampf musste er erst einmal ein ihm schmeichelndes Vorurteil ausräumen. Ein Drittel der Zeit habe er damit verbracht zu erklären, warum er sich nicht überqualifiziert fühlt für den Chefsessel im Heubacher Rathaus. 

Zu Hause bei den Maultaschen

Er habe große Zustimmung erfahren, aber auch das Staunen darüber, wieso einer wie er nicht in einer großen Stadt kandidiert, in München oder in Stuttgart. Ein fröhliches Lachen begleitet die Antwort: Es gehe bei einer Bürgermeisterwahl darum, einen Menschen zu finden, der anderen dienen will, und dafür sei niemand überqualifiziert. Inzwischen teilen Landsleute, die ebenfalls in Deutschland Wurzeln schlagen wollen, sein Bild als nachahmenswertes Beispiel. 

Völlig überraschend und trotz eines halben Dutzends Gegenkandidaten holte der begeisterte Fußball-Fan und Jugendtrainer im Oktober schon im ersten Wahlgang gut 66 Prozent. Jetzt ist er Deutschlands erstes Stadtoberhaupt mit afrikanischen Wurzeln. Die vielen Kontakte mit der Heubacher Bürgerschaft sind geprägt von einer auch zur Schau getragenen, sich ausdrücklich von Rassismus abgrenzenden Zugewandtheit. Dem ist er in all den Jahren natürlich begegnet, hat aber, wie er hofft, „die Erfahrungen weggesteckt“. Auch weil ihm „viele Menschen Liebe zeigen“. So viele, dass er sich in Deutschland zu Hause fühlt. Wo also ist zu Hause wirklich? „Dort, wo du dich am wohlsten fühlst und wo du das Essen kennst“, sagt er. Die Familie Alemazung schätzt schwäbische Maultaschen und Spätzle.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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