Salafismus - 1 Woche Mekka für 1400 Euro, „Beratung“ durch Salafisten inklusive

Die salafistische Szene in Deutschland wächst. Der Verfassungsschutz hat zwar ihre bundesweite Struktur zerschlagen, aber ihren Hass auf Ungläubige verbreiten die Prediger jetzt auf Pilgerreisen oder im Internet. Ein Psychologe schlägt Alarm

Pilgerreisen als Initiationserlebnis: Der IS-Terrorist Denis Cuspert kehrte als anderer Mensch aus Mekka zurück / privat
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Das Paradies ist nur einen Maus-Klick entfernt. Das jedenfalls verspricht ein Mann, den der Verfassungsschutz als Problemfall einstuft. Die Rede ist von Pierre Vogel, Deutschlands bekanntestem Hassprediger. Vogel war einer der ersten, der erkannt hat, wie gut sich Video-Clips eignen, um salafistischen Nachwuchs zu rekrutieren. Schon legendär ist sein Video: „Der Islam in 30 Sekunden.“ Inzwischen nutzt er dieses Talent auch kommerziell. Auf der Homepage des Mannheimer Reiseunternehmens Bakkah Reisen sieht man Vogel, wie er mit seinem mächtigen Bart vor einer Fototapete des  berühmten Wallfahrtsortes steht. Dort, so sagt er jovial im breitesten Kölsch, habe man die Chance, eine Dua zu machen, ein Gebet, und das werde, inschallah, so Gott will, erhört. „Vielleicht wird diese Dua auch Dein Leben verändern.“

Was er damit meint? Wir zeigen das Video Ahmed Mansour. Der deutsch-palästinensische Psychologe gilt als einer der besten Kenner der salafistischen Szene.  Er geht regelmäßig in Schulen und Gefängnisse, um vor den Gefahren des islamistischen Terrors zu warnen. „Das ist Salafismus pur“, sagt Mansour über den Auftritt von Vogel. Pilgerreisen als Türöffner in eine Welt, die Allahs Wort über das weltliche Gesetz stellt und Anders- oder Nichtgläubige als Feinde betrachtet. Eine Woche Mekka für 1400 Euro, Seminare, Gebetskleidung und „Beratung“ durch saudi-arabische Salafisten, all inclusive.

Reisen ins Paradies

Worum es bei den versprochenen Beratungen geht, sagt Vogel nicht. Sein Kollege Abul Baraa, auch er ein bekannter, vom Verfassungsschutz beobachteter Hassprediger, wird da schon etwas deutlicher. „Ihr werdet das Paradies finden“, schwurbelt er in einem zweiten Video. Das Urlaubsparadies Mekka meint er damit wohl nicht. Es geht um das Seelenheil im Jenseits, um die Bekehrung zum radikalen Islam.

Pierre Vogel und Abul Baraa, heißt es in einem Bericht des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg, hielten als Lockvögel für diese Reisen her. In Saudi-Arabien pilgerten die Gruppen aber nicht isoliert durchs Land. Sie würden zusammengebracht „mit Akteuren der lokalen Szene.“ Bakkah-Reisen seien Teil eines großen salafistischen Netzwerks, dem auch noch zahlreiche andere Reiseunternehmen wie GoMekka in Gelsenkirchen angehörten. Die Organisation solcher Reisen könnte zur Finanzierung salafistischer Missionierungskampagnen dienen.

Predigten von Abu Hamza

Wie prägend der Einfluss solcher Reisen sein kann, steht in dem Bericht nicht. Man kann es aber erahnen, wenn man sich die Biographie des berüchtigten IS-Terroristen Denis Cuspert aus Berlin anschaut. Der schlug sich mäßig erfolgreich als Gangster-Rapper Deso Dogg durch, bevor er zum Islam konvertierte und in den Dschihad zog. Seine zweite Karriere als Posterboy des radikalen Islam begann, als er Pierre Vogel 2010 in der Al-Nur-Moschee in Berlin traf. Als sein persönliches Initiationserlebnis hat er einmal eine Pilgerreise nach Mekka bezeichnet. Was dort geschah, darüber hat er nie gesprochen. Freunde berichteten, er sei nicht mehr für sie ansprechbar gewesen, als er von dieser Reise zurückgekehrt sei.

Was aber bedeutet es für die salafistische Szene, wenn eine ihrer bekanntesten Figuren jetzt Muslime persönlich nach Mekka begleitet? Ahmad Mansour hat die „Karriere“ von Pierre Vogel verfolgt. Er sagt, dessen Stern sei in den vergangenen Jahren gesunken. Gewaltbereite Jugendliche seien lieber gleich als Gotteskrieger in den Djihad in Syrien und den Irak gezogen, statt den Sonntagspredigten von Abu Hamza zu huldigen, wie sich Vogel selber nennt.

Morddrohungen vom Islamischen Staat

Dessen Verhältnis zum IS galt lange als undurchsichtig. Vorwürfe, er habe im Geheimen Kämpfer für das Kalifat rekrutiert, wies er immer wieder zurück. Merkwürdig nur: Es tauchten immer wieder Leute beim IS auf, die zuvor nachweislich mit Vogel Kontakt hatten. Siehe Denis Cuspert. Erst 2016 ging Vogel öffentlich auf Distanz zum IS. Er verurteilte die islamistischen Terroranschläge in  Brüssel  und Paris. Daraufhin rief der IS zum Mord an dem „Abtrünningen“ auf. „Tötet die Imame der Ungläubigen im Westen!“. Vogel galt als erledigt. 

Dass er jetzt eine neue Bühne als Reiseleiter gefunden hat, ist für Ahmad Mansour ein Alarmsignal. Er sagt: „Auch wenn der Islamische Staat nicht mehr existiert, ist der Salafismus immer noch da.“ Die Szene wächst sogar. Stufte der Verfassungsschutz 2013 noch 5.500 Menschen als extremistische Muslime ein, waren es 2018 schon 11.500 – mehr als doppelt so viel. Dass sie von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, liege in der Natur der Sache, sagt Mansour. „Eine bundesweite Struktur existiert nicht mehr.“ Vorbei die Zeit, da Salafisten auf Marktplätzen Korane verteilten oder der Verein „Einladung zum Paradies“ auf Flyern für seine Islam-Schule warb, deren Lehrer unverblümt Gewalt gegen Ungläubige predigten. Die Arbeit des Verfassungsschutzes, sie hat offenbar erste Früchte getragen.

Hat sich der IS entzaubert?

Die Salafisten sind vorsichtiger geworden. Sie sind immer noch da, sie verbreiten ihren Hass jetzt aber lieber im Internet – oder eben auf Reisen ins Ausland. Oder sie treten einzeln auf. Mansour sagt, er erlebe das, wenn er Vorträge in Schulen halte. Islamisten, die Kinder auf Schulhöfen und Fußballplätzen ansprechen. Lehrer, die nicht wissen, wie sie reagieren sollen, wenn sich Schüler plötzlich einen langen Bart wachsen ließen, wenn sie sich weigerten, Lehrerinnen die Hand zu geben oder Mitschüler terrorisierten.

Aber hat sich die Bewegung mit dem Zusammenbruch des IS nicht selbst entzaubert? Sind Berichte zurückgekehrter IS-Kämpfer nicht die beste Anti-Werbung für den Salafismus? Vor dem Landgericht München muss sich gerade die 27-jährige Jennifer W. wegen Mordes verantworten, weil sie nicht eingriff, als ihr Lebensgefährte ein fünfjähriges Mädchen an einen Pfahl kettete und bei 45 Grad in der Sonne verdursten ließ.

Ahmad Mansour macht sich darüber keine Illusionen. „Der Salafismus erfindet sich immer wieder neu – aber mit derselben Basis-Ideologie.“ Seine Strukturen könne der Staat zwar zerschlagen. Aber gegen fanatische Einzeltäter sei er machtlos. Der Psychologe sagt: „Die Gefahr für einen Terroranschlag in Deutschland wächst.“

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