Robert Habeck - Ikarus mit Stoppelbart

Grünen-Chef Robert Habeck will sich von Facebook und Twitter zurückziehen nach seinem Post über die angeblich mangelhafte Demokratie in Thüringen. Es ist das Ende des Ausnahmezustands um den Superstar einer Partei im neuen Höhenrausch. Das kann vielen gut tun – vielleicht sogar ihm

Mit der grünen Herrlichkeit um Robert Habeck ist es erst einmal vorbei / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Vor einigen Monaten hat ein Spiegel-Reporter ein lesenswertes und aufschlussreiches Porträt des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck geschrieben. Die Geschichte beginnt mit einer Szene aus dem Europawahlkampf, in dem Habeck die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller bei einer gemeinsamen Pressekonferenz präsentierte. Ein Tattoo auf dem Oberarm seiner Parteikollegin zog Habeck in den Bann. „Er wendet sich ihr zu“, schildert der Reporter, streckt die Hand aus, „fährt mit seinem Daumen über den Drachen auf Kellers Haut, einmal von oben nach unten“ und sinniert: „Ich wollt‘ schon immer mal den Drachen anfassen.“ Weder bei Keller noch bei irgendwem im Saal nur ein Hauch von Irritation.   

„Man stelle sich kurz vor“, schreibt der staunende Augenzeuge dieser Szene, „Christian Lindner oder Horst Seehofer hätten solch einen schlüpfrigen Auf­tritt hingelegt. Man hätte danach viel Empörtes über mittelalte weiße Männer lesen können, die sich nicht im Griff haben. Doch in den Zeitungen findet sich am nächsten Tag nichts, auf Twitter auch nicht, keine Empörung, nirgends.“ Sexismus ausgerechnet bei den Grünen, ohne hashtag, Aufschrei oder #Metoo. 

Habeck durfte, was andere nicht durften

So ist das mit Robert Habeck, dem Wunderwuzzi aus dem Norden, schon als Kanzlerkandidat gehandelter Superstar einer Partei im neuen Höhenrausch. 

Tatsächlich scheint für Habeck, dem Mann mit der wahrscheinlich sehr aufwändigen Out-of-Bed-Frisur und dem graublonden Stoppelbart der alte George-Orwell-Satz aus dem Buch „Animal Farm“ zu gelten, wonach manche Tiere eben doch gleicher sind als andere. Habeck darf unausgegorene Gedanken zum Besten geben, man darf ihm gewissermaßen beim Nachdenken zuhören, ohne dass das geahndet würde. Er ist gewissermaßen der Richard David Precht der Grünen. Mit dem ungehobelten Sexappeal des Camel-Mannes konterkariert er die ganze glatte, anzugtragende Politikerkaste. 

Und ist mit einer Art Wild Card im Politikerbetrieb unterwegs: Er darf, was andere nicht dürfen. Mehr noch: Bei ihm ist sexy, was bei anderen ein No Go ist. 

Das Ende des Ausnahmezustands

In dem Porträt vor einigen Monaten wird schon die Frage aufgeworfen, wie lange dieser Ausnahmezustand bei Habeck andauern wird. Die Antwort darauf ist: Er selbst hat ihn an diesem Wochenende beendet.    

In einer über soziale Medien verbreiteten Filmsequenz extemporierte der Grüne vor sich hin mit Blick auf die Landtagswahl in Thüringen dieses Jahr: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird."

Das ist für sich genommen schon ein starkes Stück und wird dadurch noch absurder, dass die Grünen in Thüringen aktuell mit in der Regierung sitzen. Bei manch wachem politischen Beobachter stellte sich obendrein die Erinnerung ein, dass Habeck mit einer ähnlich hochfahrenden Äußerung zum zwingenden inneren Zusammenhang von Grün und Demokratie auch schon vor der Landtagswahl in Bayern unangenehm aufgefallen war.

Zerknirscht hatte der Chef-Grübler der Grünen seinerzeit schon eingeräumt, dass das nicht so ganz glänzend war. Dieses Mal zog er im Bayrischen Rundfunk die unmittelbare Konsequenz, sich eine Twitter- und Facebook-Abstinenz aufzuerlegen – weil er, so die Selbsterkenntnis, offensichtlich zu anfällig sei für den dort herrschenden Ton. Wie aber will einer am Ende Regierungsverantwortung übernehmen, der nicht einmal den Umgang mit Twitter beherrscht?

Wird Habeck sich an seine Abstinenz halten? 

Das wiederum wird interessant sein zu sehen: Wie lange sich Habeck an dieses Gelübde hält. Denn sein Höhenflug wie der seiner Partei haben ganz viel damit zu tun, dass die sozialen Netzwerke von den Grünen ausgiebig genutzt werden. Und es ist auch naiv anzunehmen, dass es sich bei dem Habeck-Post über Thüringen um eine individuelle Angelegenheit des Grünen-Chefs handelt, so wie etwa Katharina Schulzes Bild von einem großen Eisbecher mit Plastiklöffel in Kalifornien oder Cem Özdemir als Anden-Eastwood mit Poncho und Dreitagesbart.

Doch soll das Jahr mit dem Glauben ans Gute begonnen werden. Möge also Robert Habeck aus dieser Wiederholungstat lernen, dass es Demokratie, Offenheit und Liberalismus in Deutschland auch ohne die Grünen gibt. Und möge der Vorgang dafür sorgen, dass ein Horst Seehofer und ein Robert Habeck in den Kommentarspalten gleichermaßen kritisch beurteilt werden. Dann wäre dieser ganze Vorgang zwar weiterhin unnötig, aber wenigstens nicht umsonst gewesen.    

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