Ricarda Lang - Grüne Hedonistin

Nach Omid Nouripour gibt es nun eine weitere Bewerbung für den Parteivorsitz der Grünen: Die bislang stellvertretende Chefin Ricarda Lang hat ihre Kandidatur bekannt gegeben. Lesen Sie hier unser Porträt aus der Cicero-Septemberausgabe von 2019. Ihre Partei müsse mehr Genuss wagen, sagt sie darin – und wehrt sich gegen Anfeindungen wegen ihres Körpergewichts.

Erschienen in Ausgabe
Ricarda Lang wird permanent auf ihr Äußeres reduziert / picture alliance
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Autoreninfo

Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Ricarda Lang hat kein Idealgewicht. Das täte eigentlich nichts zur Sache, wenn sie nicht permanent darauf angesprochen würde. Lang fordert eine europäische Staatsbürgerschaft für Menschen, deren Heimat durch den Klimawandel unbewohnbar wird. Aber die Leute kommentieren ihr Gewicht. Ihr Kernthema sei eigentlich der Feminismus, sagt sie. Aber in den sozialen Medien geben ihr wildfremde Menschen Ernährungstipps.

Ricarda Lang ist Bundessprecherin der Grünen Jugend und damit gewissermaßen das, was Kevin Kühnert für die SPD ist und Paul Ziemiak für die Union war, bevor er CDU-Generalsekretär wurde.

Auf das Äußere reduziert

2017 wurde Lang zur Chefin der Grünen Jugend gewählt. Damals blickte das Land gebannt auf die Jamaika-Koalitionsverhandlungen. „Auch wir als Grüne Jugend standen damals sehr im Fokus“, sagt sie, „ich war darauf gefasst, dass es auch mal unter die Gürtellinie geht.“ Aber was da in den sozialen Netzwerken über sie einbrach, überbot alle ihre Erwartungen. Von „kleines Pummelchen“ bis „fette Fotze“ war alles dabei. Im Januar 2018 dann wählt Lang den Angriff nach vorne. Sie postet ein Bild von sich auf Facebook: in der linken Hand ein Eis, in der rechten einen Sticker. „Stop commenting my body“, steht da drauf und dazu ein ausgestreckter Mittelfinger. Seitdem geht es irgendwie immer auch um ihr Gewicht, wenn sie in der Öffentlichkeit auftaucht.

Ricarda Lang sitzt am Kopfende eines Konferenztischs in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen Jugend. Ein wenig chaotisch sehen die Büroräume in der dritten Etage des Altbaus in Berlin-Mitte aus. Der Konferenzraum ist gleichzeitig auch Kaffeeküche und Büroraum.

Das Unvernünftige als Lebensfreude

Wenn es um ihr Körpergewicht geht, befindet Lang sich in einem Dilemma: „Auf der einen Seite habe ich das Thema bewusst aufgenommen“, sagt sie, und offensichtlich hat sie damit auch einen Nerv getroffen. Bodyshaming, wie man Diffamierung aufgrund von Schönheitsidealen nennt, ist ein Problem; gerade in einem so harten Geschäft wie der Politik. Sie bekomme viel Zuspruch für ihren Einsatz, sagt Lang, gerade von jungen Frauen. „Andererseits will ich auch nicht immer die Dicke sein, die hier die Bodyshaming-Beauftragte ist“, sagt sie ganz unverhohlen.

Ricarda Lang ist eine selbstbewusste Frau von 25 Jahren, die viel, laut und sehr schnell redet. Macht einer im Raum einen Scherz, dann lacht sie so laut, dass man es auch nebenan noch hören kann. Sie beschreibt sich selbst als Hedonistin. „Natürlich müssen wir darüber nachdenken, welche Konsequenzen unsere Lebensweise für die Umwelt hat, und trotzdem sollten wir als Partei mehr Genuss zulassen“, sagt sie, „gerade in der Ernährung.“ Manche in ihrer Partei setzen sich etwa für eine Zuckersteuer ein oder wollen Werbung für das Rauchen verbieten. „Wir sollten häufiger das Unvernünftige anerkennen, als Moment der Lebensfreude, in dem man sich dem Druck, immer perfekt sein und etwas leisten zu müssen, entzieht“, sagt sie und trinkt von ihrem Kaffee mit Hafermilch.

Die Feministin

Auch sie ganz persönlich bekommt häufig zu hören: „Du musst dich gesünder ernähren.“ Dabei gehöre es doch zur individuellen Freiheit, wie sich ein Mensch ernährt, findet sie. „Mehr Sport machen, weniger Zucker essen und so weiter; mich stört dieser neoliberale Selbst­optimierungssound daran.“

Politisch optimiert sich Lang gerade selbst. 2012, kurz nachdem sie in Nürtingen in der Nähe von Stuttgart ihr ­Abitur mit 1,1 abgelegt hat, tritt sie den Grünen bei. „Ich gehöre zu den wenigen, die nicht wegen der Öko-Themen zu den Grünen gekommen sind.“ Der Feminismus habe sie politisiert, sagt sie. Sie fängt an, in Heidelberg Jura zu studieren, tritt in die Grüne Hochschulgruppe ein, wird Ökologiereferentin im Asta und in den Hochschulsenat gewählt. Schnell wird sie erst Landessprecherin, dann Bundessprecherin der Grünen Hochschulgruppe. 2015 kommt sie in den Bundesvorstand der Grünen Jugend und zieht nach Berlin – in eine Neuköllner WG mit zwei Dragqueens. Bis dahin schafft sie die Doppelbelastung von Studium und ihrem politischen Engagement.

Ganz der Genussmensch

Als sie 2017 zur Bundessprecherin gewählt wird, muss ihr Studium pausieren. Das Amt verlangt ihr rund 60 Stunden in der Woche ab. In ihrem Jurastudium ist sie mittlerweile scheinfrei.

Diesen Herbst aber wird sie ihr Amt abgeben, sie kann kein drittes Mal wiedergewählt werden. Lang strebt eine Laufbahn als Politikerin an, sagt sie, am liebsten auf Bundesebene. Aber was sie vom nächsten Herbst an macht, wenn ihr Amt als Bundessprecherin endet, das weiß sie selbst noch nicht. Das lässt sie – ganz Genussmensch – einfach auf sich zukommen.

Dieser Text ist erschienen in der September-Ausgabe (2019) des Cicero, die Sie bei uns kaufen können.

 

 

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