Reform des Urheberrechtsgesetzes - „Das ist eine schwierige Abwägung“

Der Bundestag hat eine Reform des Urheberrechtsgesetzes beschlossen. Die Rechte der Urheber standen gegen die der Wissenschaft. Nun beschweren sich die Urheber. Was ist der Streitpunkt? Ein Interview mit dem Medienrechtler Fabian Schmieder

Künstler und Urheber protestieren gegen die Reform des Urheberrechts / picture alliance
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Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Herr Schmieder, warum wurde das Urheberrechtsgesetz reformiert?
Mit der Reform des Urheberrechts möchte der Gesetzgeber in erster Linie die so genannten Schrankenbestimmungen des Urheberrechts für die Wissensgesellschaft neu ordnen und den Erfordernisses anpassen, welche die Digitalisierung von Forschung und Lehre in den vergangenen Jahren mitgebracht haben.Der Gesetzgeber schafft dazu eine Reihe von Schrankenbestimmungen des Urheberrechts ab März 2018. Diese ermöglicht es Nutzern vornehmlich zu Forschungs- und Lehrzwecken, die geschützten Werke der Urheber ohne deren Zustimmung zu nutzen. So ist es zum Beispiel zulässig, bis zu 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes zur vervielfältigen, zu verbreiten oder öffentlichen zugänglich zu machen. Zum Beispiel, indem der Inhalt auf einer Lernplattform für die Studierenden öffentlich gemacht wird.

Also eine gute Nachricht für die Universitäten?
Das klingt erstmal nach einer guten Nachricht für Bildungseinrichtungen. Allerdings musste der Gesetzgeber dazu eine schwierige Abwägung vornehmen. Auf der einen Seite stehen die Bildungseinrichtungen, deren Tätigkeit durch die Wissenschafts- und Lehrfreiheit besonderen Schutz durch das Grundgesetz erfährt; auf der anderen Seite stehen freilich die Urheber, deren Werke ebenfalls unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen. Die Werke sind als eine Art „geistiges Eigentum“ durch die Eigentumsfreiheit geschützt.

Die Urheber freut das bestimmt nicht so sehr.
Ja, die Schrankenbestimmungen greifen nun genau in dieses Eigentumsrecht ein. Mit der Folge, dass die Urheber nicht mehr darüber bestimmen können, ob ihre Werke genutzt werden dürfen oder nicht. Aus diesem Grund sieht das Gesetz auch Vergütungsansprüche der Urheberrechtsinhaber vor, welche diese über Verwertungsgesellschaften, wie zum Beispiel die VG Wort, geltend machen.

Wie sehen diese Vergütungsansprüche denn aus?
Gegenwärtig ist die Vergütung pauschal geregelt. Aber die Frage nach der Vergütung wird kontrovers diskutiert. Denn: Wer nicht mehr über die Nutzung seines Eigentums bestimmen kann, kann auch den Preis nicht verhandeln. Der Urheber hat keine Möglichkeit, ein Verbot der Nutzung seiner Werke durchzusetzen. Wenn der Vergütungsanspruch dann noch durch einen Dritten, wie die VG Wort, durchgesetzt werden muss, die ihrerseits keine genaue Kenntnis über den Umfang der Nutzung der verschiedenen Werke hat, sondern teilweise auf pauschale Vergütung angewiesen ist; dann fürchten sie als Eigentümer natürlich, dass sie nicht angemessen für die Nutzung ihres Werk entlohnt werden. Es wird sich erst noch zeigen müssen, welche konkreten Tarife die Verwertungsgesellschaften für die Nutzung von Werken erheben werden.

Eine pauschale Vergütung stellt doch aber einen Eingriff in das Eigentumsrecht im Grundgesetz dar. Das wäre so, als ob man sich beim Bäcker um die Ecke bis zu 15 Prozent jeder Backware für 20 Cent mitnehmen könnte. Ganz egal, ob es sich um ein Stück Graubrot oder ein Stück Wiener Sachertorte handelt. Der Bäcker könnte sich dagegen nicht mal mehr wehren. Ist so eine Pauschalvergütung für 15 Prozent des Inhalts also gesetzlich zulässig?
Die Frage ist, ob eine pauschale Vergütung zwingend notwendig ist. Aus meiner Sicht beantwortet das Gesetz das nicht eindeutig. Es heißt dazu lediglich, die pauschale Vergütung würde „genügen“; Einzelerfassungen sieht das Gesetz lediglich für besondere Formen der Nutzungen vor. Pauschalvergütungen stellen einen vergleichsweise starken Eingriff in die sich aus dem Grundgesetz ergebende Eigentumsfreiheit der Urheber dar. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur zulässig, wenn die Nutzungsvorgänge nur mit unverhältnismäßigem Aufwand individuell erfasst werden können. Ist eine Einzelerfassung mit vertretbarem Aufwand möglich, ist dies als grundrechtsschonendere Variante der Pauschalvergütung vorzuziehen. Ich denke nicht, dass wir bereits am Ende der Entwicklung sind und dass die Verwertungsgesellschaften die Einzelerfassung als Mittel der gerechteren Verteilung der Einnahmen weiterverfolgen werden.

Viele Verlage befürchteten wirtschaftlich negative Konsequenzen durch die Änderung und sind dagegen vorgegangen.
Ob die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen in dem von den Verlagen befürchteten Umfang tatsächlich eintreten, muss sich erst noch erweisen, denn entschädigungslos erfolgt die Nutzung der Werke natürlich nicht – der Gesetzgeber sieht hierfür ja gerade Vergütungsregelungen vor. Richtig ist allerdings, dass die Verlage von diesen Vergütungen grundsätzlich nichts erhalten, weil der bisherige Verlegeranteil an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften unzulässig war. Es ist also verständlich, dass sich die Verlage mit einiger Vehemenz gegen das Gesetz gewandt haben. Viel erreicht haben sie mit ihrer Kritik beim Gesetzgeber letztlich nicht. Sie müssen jetzt die Evaluation abwarten und sich bezüglich der Ausschüttung der Verwertungsgesellschaften mit ihren Autoren einigen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Grundsätzlich sind Pauschalvergütungen natürlich ein einfaches Instrument. Für die Nutzung im Bildungskontext sind sie vor allem einfach handhabbar. Für die Rechteinhaber ist eine Pauschalvergütung freilich mit einer gewissen Ungerechtigkeit verbunden, da nicht erfasst wird, welche Werke tatsächlich genutzt werden und in welchem Umfang diese Nutzung erfolgt. Es wird vielmehr nach einem Verteilungsplan der Verwertungsgesellschaft eine pauschal vereinnahmte Summe an eine Vielzahl von Urhebern ausgeschüttet. An der Festlegung dieses Verteilungsplans wirken allerdings nur die Mitglieder der Verwertungsgesellschaft mit, die eine bestimmte Mindestausschüttung erreichen. Die so genannten Wahrnehmungsberechtigten, teilwiese auch nur Bezugsberechtigten, haben auf den Verteilungsplan keinen Einfluss.

Das klingt erstmal unfair. Wie hoch ist der Schwellenwert, ab dem man bei der VG Wort mitbestimmen darf?
Man muss bei der VG Wort über drei Jahre eine jährliche Mindestausschüttung von durchschnittlich 2.000 Euro erreichen, um Mitglied werden zu können.

Und wie realistisch ist es das zu erreichen?
Ich kann da auch nur orakeln. Ich persönlich erreiche diese Mindestausschüttung nicht und vermute, dass es einem Großteil meiner Kolleginnen und Kollegen ähnlich geht.

Wurde das das Urhebergesetz für die Hochschulen gelockert?
„Gelockert“ ist vielleicht etwas missverständlich. Die insbesondere für die Hochschulen relevanten Schrankenbestimmungen wurden neu systematisiert und sind dadurch bestimmter und verständlicher. Der Gesetzgeber hat gerade beim Umfang der Werknutzung eine klare Grenze gezogen. Bei dieser Gelegenheit hat er auch Hürden aus dem Weg geräumt, die bisher zu Verunsicherung bei den Rechtsanwendern geführt haben. 

Ist es deswegen zukünftig leichter zu forschen?
Wissenschaftler wollen sich üblicherweise rechtstreu verhalten. Die neuen Schrankenregelungen verbessern insoweit die Bedingungen für Forschung und Lehre, weil sie mehr Klarheit und weitergehende Möglichkeiten für eine Nutzung bringen. Das gilt auch für Text und Data Mining, die automatisierte Auswertung einer Vielzahl von urheberrechtlich geschützten Werken zur Forschungszwecken. Ein neuer Paragraph sorgt durch die Übermittlungsmöglichkeit der Korpusdaten an wissenschaftliche Bibliotheken und Archive für die in der Forschung notwendige Transparenz und Nachvollziehbarkeit.

Die Änderung des Urheberrechtsgesetzes muss nach fünf Jahren evaluiert werden. Was halten Sie davon?
Auch wenn einige Redner bei der Beratung des Gesetzes im deutschen Bundestag diese Klausel des Gesetzes kritisiert haben, kann ich die Entscheidung sehr gut nachvollziehen. Ich halte es es auch für das richtige Signal an die Urheber, dass das Parlament deren Sorgen, vor allem wegen der Angemessenheit der Vergütung, ernst nimmt und sich nach angemessener Evaluierung der Vorschrift erneut mit den Schrankenbestimmungen befasst.

Die jetzige Vereinbarung zwischen VG Wort und den Hochschulen läuft im September diesen Jahres aus. Das neue Gesetz tritt aber erst im März 2018 in Kraft. Was passiert, wenn für dieses Wintersemester keine Einigung mehr gefunden wird?
Den aktuellen Stand der Verhandlung zwischen VG Wort und den Hochschulen kenne ich nicht. Es würde jedoch nur der Paragraph 52 des Urheberrechts betroffen sein. Der regelt vor allem die öffentliche Zugänglichmachung von Werken auf Lernplattformen der Hochschulen. Links auf anderweitig verfügbare Quellen, zum Beispiel lizenzierte E-Books der Hochschulbibliotheken sind natürlich auch ohne die Nutzung der Schrankenbestimmung möglich. Und ansonsten müssen die Studenten eben wieder in die Bibliothek gehen.

Fabian Schmieder / Foto: privat.

 

Fabian Schmieder ist Professor für Medienrecht an der Hochschule Hannover. Sein Forschungsschwerpunkt ist das Urheberrecht.

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