Umgang mit der AfD - Warum alle gegen einen nicht funktioniert

Die Jamaika-Koalition ist gescheitert. Doch eine Regierungsbeteiligung der AfD ist weiter ausgeschlossen. Nicht einmal als Tolerierer einer Minderheitsregierung kommt sie infrage. Ein Blick über die Grenzen zeigt, wie der Umgang mit Rechtspopulisten gelingen kann

Durch den Einzug der AfD in den Bundestag ist jedem Fall viel Bewegung entstanden / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler. Er lebt seit fünf Jahren in Tallinn, Estland, und ist als Politikberater und -experte zu den Themen Flüchtlinge und Digitalisierung tätig. Im Oktober 2018 erschien sein Buch „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ bei Hoffmann und Campe. Im Februar 2020 wurde das Buch aktualisiert und in englischer Fassung vom Springer-Verlag veröffentlicht. 

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Nach Trump, Brexit, nun das Scheitern von Jamaika: Schadenfreude ist für die AfD die schönste Freude. Björn Höcke, von Beruf Geschichtslehrer und einer der radikalen Köpfe der Partei, beschwört „eine Wende in der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Die Strategie ist leicht zu durchschauen, ebenso das Manöver, eine Minderheitsregierung unterstützen zu wollen. Die Verhandlungskrise gilt der AfD als Menetekel für eine fundamentale Demokratiekrise. Was können die etablierten Parteien einer Kraft entgegensetzen, die ihnen als unliebsam gilt? Immerhin ist deren Präsenz im Bundestag für die Akteure eine völlig neue Situation – ebenso der schwierige Weg einer Regierungsfindung im konsensgeprägten politischen System. Was klar ist, dass die AfD nicht Teil von Balkongesprächen werden wird – auch nach Neuwahlen. 

Fast unisono ertönen Rufe nach der Ausgrenzung der Partei – mit Verweis auf die deutsche Vergangenheit. Schon ein Jamaika-Bündnis galt als notwendig für den propagierten „Kampf gegen Rechts“. Der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt sagte, eine Rechtsaußenpartei dürfe sich in Deutschland langfristig nicht etablieren. Kommen nun wirklich Neuwahlen, gehen die Sorgen vor einer weiter erstarkenden AfD um. Schließlich könnten die gescheiterten Sondierungsgespräche, die keine Koalitionsverhandlungen waren, dahingehend fehlinterpretiert werden. Das wäre fatal, sind doch derartige Vorgänge untypisch für die deutsche Sehnsucht nach Ordnung und Stabilität, doch ziemlich normal in einer Verhandlungsdemokratie.

Andere Länder, andere Sitten

Immerhin wird zwischen den Parteien wieder um Inhalte gestritten. Ein Blick über die Grenzen würde generell zu mehr Gelassenheit führen. In fast allen Ländern Europas ist eine rechtspopulistische Partei etabliert, hat mitunter die Rolle des Königsmachers. In Deutschland kommt die AfD nicht einmal als Tolerierer einer Minderheitsregierung infrage – ein Modell, das in Skandinavien seit Jahrzehnten praktiziert wird. Ähnlich ist es in anderen Ländern. Anders als in Deutschland ist es dort kein Tabu, die Rechtspopulisten einzubinden. Die „Schatten der Vergangenheit“ wirken offenbar nur hierzulande. 

„Ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“, lautete der CDU-Wahlslogan, der nicht wirklich verfing. Weltweit zeigen Studien, dass eben, unabhängig von den Wirtschaftsfakten, das Grummeln über Immigration den Populisten Zuspruch beschert. In abgewandelter Form heißt es eben nicht, „it‘s economy, stupid!“ (so einst Bill Clinton), sondern „it‘s migration, stupid!“. Auch wenn es politische Entscheidungsträger ungern hören: Die Folgen der Flüchtlingskrise wirken nach. Populisten sprechen weit mehr als nur Modernisierungsverlierer an. Anders sind ihre Erfolge etwa in wohlhabenden Ländern wie den skandinavischen, Finnland und der Schweiz nicht zu erklären. 

Rechtspopulisten nicht in die Hände spielen

Wir wissen von unseren Nachbarländern, dass großkoalitionäre Einmütigkeit den Rechtspopulisten nützt. So hat sich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) als angeblicher Kämpfer gegen Die-da-oben etabliert. Gab es einst, im Jahr 2000, einen gesamteuropäischen Aufschrei gegen ihre Regierungsbeteiligung, rührt sich heute kaum mehr Protest gegen eine Neuauflage. Die FPÖ ist, anders als die AfD, fest im politischen System verhaftet, so dass eine schnelle Entzauberung als unwahrscheinlich zu gelten hat.

Gerade der ständige Verweis, wie alptraumhaft die Existenz einer rechtspopulistischen Kraft gerade in Deutschland sei, hilft wenig weiter. Im Gegenteil: Damit spielen etablierte Politiker den Ausgrenzungsstrategien und Märtyrerstilisierungen der rechtspopulistischen Vertreter in die Hände. Der moralische Aufschrei à la „Finger weg – das sind Antidemokraten” verfängt nicht. Eine Argumentation „Wir-die-ehrlichen-Etablierten-versus-die-bösen-Populisten” pervertiert quasi die populistische Logik. 

Positive Effekte

Interessant ist die Frage, welche Auswirkungen die Etablierung einer rechtspopulistischen Partei hat. Die negative Auswirkung ist bekannt: eine Vergiftung des politischen Diskurses durch Tabubrüche und Provokationen. Doch gibt es auch positive Effekte? Anders gesagt: Können rechtspopulistische Kräfte zu einer Regeneration der Parteiendemokratie beitragen? Wenn es innerhalb der CDU heißt, zu Angela Merkel gebe es keine Alternative, ist das kein gutes Zeichen. Der Erfolg der AfD ist ja gerade auch durch die von Merkel propagierte Willkommenskultur verursacht worden.

Bei der Schwesterpartei CSU scheint sich mehr zu tun. Eine offene Nachfolgedebatte ist auch deshalb entstanden, weil die AfD in Bayern zweistellige Ergebnisse selbst im Bayerischen Wald einfuhr – und das ein Jahr vor der Landtagswahl. Die CSU hat es nun durch kluge Personalentscheidungen selbst in der Hand, sich nicht bayerisch zu verzwergen, was ihr durch einen Ministerpräsidenten Markus Söder drohen würde. Manfred Weber, als Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei bestens international vernetzt, könnte den Abstieg zur Regionalpartei zumindest inhaltlich verhindern. 

Eine neue Zeit bricht an

Auf jeden Fall ist viel Bewegung entstanden und gängige Muster erodieren. Und das ist nach einem inhaltsarmen Wahlkampf gut so. Immerhin stellen sich bedeutende Fragen – von der Zukunft der EU über die innere Sicherheit bis zur Digitalisierung. Das gilt auch für Themen wie die Energiewende, soziale Gerechtigkeit gerade in Großstädten oder eine Belebung der ländlichen Räume. Plötzlich ist die Omnipräsenz der AfD in den Debatten aufgehoben. Die FDP hat durch ihren Ausstieg aus den Jamaika-Gesprächen den schwarzen Peter, und schwarz-grüne Vertreter üben sich in ungewohnter Eintracht. Das ist gelebte Parteiendemokratie, die nicht nur vom Balkon aus praktiziert werden sollte. Die notwendigen neuen Konstellationen, Dreierkoalitionen oder Minderheitsregierung, lassen gar keine andere Wahl. Politikwissenschaftliche Lehrbücher über das politische System Deutschlands müssen neu geschrieben werden. 

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