Rechtsextremismus in Polizei und Bundeswehr - „Ein tiefes Missverständnis der eigenen Rolle im Rechtsstaat“

„NSU 2.0“-Morddrohungen in Frankfurt, Todeslisten in Mecklenburg-Vorpommern und Prepper in der Armee – Fälle von Rechtsextremismus in Polizei und Bundeswehr häufen sich. Der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle fordert Konsequenzen, auch von Innenminister Horst Seehofer

„Wer auf interne Probleme hinweist, darf nicht der Dumme sein“, sagt Konstantin Kuhle (FDP) / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Konstantin Kuhle ist der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Mitglied im FDP-Bundesvorstand und Generalsekretär der FDP in Niedersachsen.

Herr Kuhle, das hessische Landeskriminalamt ermittelt gegen ein mutmaßlich rechtsextremes Netzwerk innerhalb der Frankfurter Polizei. Es geht um Volksverhetzung, verfassungswidrige Symbole und um Morddrohungen gegen die kleine Tochter der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz. Wie schwer wiegt dieser Vorfall?
Dieser Fall ist schon allein wegen der mutmaßlichen Straftaten durch Polizeibeamte höchst problematisch. Da es sich bei der betroffenen Person zudem um eine Rechtsanwältin handelt, die unter anderem die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vertritt, ist es eine besonders delikate Konstellation. Das Vertrauen bestimmter Gruppen unserer Gesellschaft in die Sicherheitsbehörden wird so weiter abnehmen. Diese Menschen haben durch den NSU-Prozess und durch die Aktivitäten des NSU ohnehin schon viel Vertrauen verloren, dass der Staat und seine Beamten sie ausreichend schützen.

Was bedeutet es für den Staat selbst, wenn er Polizisten beschäftigt, die per Fax angedroht haben sollen, das kleine Kind von Frau Basay-Yildiz zu „schlachten“ und sich NSU 2.0 nennen?
Dahinter stehen ein fundamentaler Angriff auf den Rechtsstaat und ein tiefes Missverständnis der eigenen Rolle. Denn hier werden Angehörige der Exekutive, also der vollziehenden Gewalt, verdächtigt, eine Rechtsanwältin, die insbesondere Mandanten mit Migrationshintergrund wie den nach Tunesien abgeschobenen Sami A. vertritt, massiv bedroht zu haben. Um solche Abschiebungen rechtssicher durchzusetzen, bedarf es aber eben auch der anwaltlichen Vertretung der Täter oder der Betroffenen. Auch wenn die Mühlen des Rechtsstaats mitunter langsam mahlen, sie dürfen nicht pauschal diskreditiert werden.

Gilt das auch für Wahlkämpfe, in denen Politiker eine Anti-Abschiebe-Industrie anprangern?
Ja, Politiker haben auch in dieser Hinsicht eine demokratische Vorbildfunktion. Wenn Alexander Dobrindt von einer Anti-Abschiebe-Industrie oder ein Horst Seehofer von einer Herrschaft des Unrechts spricht, löst das eine gewisse Verunsicherung aus, auch in Beamtenkreisen. Das geht nicht. Innenpolitiker müssen bei der Frage der Führung von Polizeibeamten unmissverständlich auf der Seite des Rechtsstaats stehen und das auch öffentlich und intern kommunizieren.

Vorfälle, die nahelegen, dass in deutschen Polizeien und auch in der Bundeswehr rechtsextreme Netzwerke bestehen, häufen sich. Der Fall Franco A. in der Bundeswehr, die aktuellen Ermittlungen in Mecklenburg-Vorpommern wegen rechtsextremer Chatgruppen und Todeslisten, ein bedrohter Kölner Anwalt und nun noch „Rechte Vorfälle“ in drei weiteren hessischen Polizeipräsidien sind weitere Beispiele. Wie groß ist dieses Problem?
In der Tat steht der Frankfurter Fall in einem Zusammenhang mit Ereignissen auf Bundesebene. Soldaten und Soldatinnen in der Bundeswehr oder Polizistinnen und Polizisten, die dem eigenen Staat misstrauen und ihn sogar bedrohen, sind eine große Gefahr, die wir erkennen und bekämpfen müssen. Über solche Probleme berichteten uns vergangene Woche im Innenausschuss des Bundestages auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Generalbundesanwalt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Innenministerium. Es ging dabei um das sogenannte Prepper-Netzwerk in der Bundeswehr und in den Sicherheitsbehörden des Bundes.

In diesen sich häufenden Fällen um rechtsextreme Netzwerke in Sicherheitsbehörden entsteht für manche bisweilen der Eindruck, es gehe hierbei auch grundsätzlich um die politische Einstellung von Beamten. Wie sehr sehen Sie hier die Gefahr eines Generalverdachts?
Wir brauchen Polizistinnen und Polizisten, die sich äußern und kritisch ihre Meinung sagen. Aber es macht eben einen fundamentalen Unterschied, ob man mit bestimmten politischen Entscheidungen nicht einverstanden ist, oder ob man aus dieser Motivation heraus Gewaltandrohungen an Menschen und deren Kinder verschickt. Polizeibeamte sollten nicht ihrer politischen Meinung beraubt und auch nicht unter einen Generalverdacht gestellt werden. Wer aber offen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu Felde zieht, muss mit Konsequenzen rechnen.

Konstantin Kuhle, FDP

Gedankengut im wortwörtlichen Sinne, auch das von Polizisten oder Soldaten, ist an sich nicht strafbar. Wie egal muss es uns sein, ob sie links, rechts oder liberal eingestellt sind?
Klar, die Gedanken sind frei. Polizisten und Soldaten als Staatsbürger in Uniform gehen wählen und dürfen sich außerdienstlich politisch äußern und betätigen, soweit sie sich im Rahmen unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegen. Das ist die eine Seite. Wenn andererseits eine politisch motivierte Straftat wie die Frankfurter Morddrohung geschieht, ist die Sache ebenfalls klar: Das wird strafrechtlich und disziplinarrechtlich verfolgt. Es gibt aber einen hochsensiblen Bereich, in dem die Grundhaltungen von Polizisten und Soldaten besonders wichtig sind. Und das hat weder mit freien Gedanken, noch mit Straftaten zu tun.

Können Sie das näher beschreiben?
Dabei geht es um die Auswirkungen rechtsextremistischer oder diskriminierender Einstellungen auf die tägliche Polizeiarbeit. Das hat gerade beim NSU eine massive Rolle gespielt. Opfer und Opferanwälte haben vielfach berichtet, dass der eigene Bruder oder Vater ermordet wurde und die Polizisten als erstes gesagt haben: Das ist eine türkische Familie. Dann war das bestimmt Organisierte Kriminalität. Daran sieht man sehr gut, dass die persönliche Einstellung auch dazu führen kann, dass die Qualität der Polizeiarbeit leidet. Deshalb gibt es nicht nur erlaubt und nicht erlaubt. Gerade bei Staatsdienern gilt: Wegen der eigenen politischen Einstellung darf man andere nicht diskriminieren und erst recht nicht bedrohen.

Frankfurter Polizisten beobachten teilweise eine Radikalisierung bei Kollegen, die tagtäglich etwa mit Drogendelikten zu tun haben, die von bestimmten ethnischen Gruppen begangen werden. Wie kann man dem vorbeugen?
Auch das muss man differenziert betrachten. Denn natürlich sind nachvollziehbare Arbeitsbelastungen oder frustrierende Erfahrungen kein Grund, Menschen Todesdrohungen per Fax zu schicken. Da muss man eine ganz klare Grenze ziehen. Auf der anderen Seite wünschen sich viele Polizistinnen und Polizisten, dass ihre Erfahrungen und Belastungen in der Politik stärker Gehör finden. Beim Thema Abschiebungen sind viele Beamte beispielsweise sehr frustriert. Denn die scheitern oft, weil mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der jeweiligen Ausländerbehörde, der Bundespolizei und der Landespolizei so viele Behörden mitmischen. Da geht sehr oft etwas schief.

Bei Polizei und Bundeswehr wird immer vom sogenannten Korpsgeist gesprochen. Wir sehr behindert ein solches, an sich wünschenswertes Zusammenhalten, dass Straftaten aus den eigenen Reihen angezeigt werden?
Seit 2015 gibt es bei der Bundespolizei Vertrauensstellen, an die sich Polizeibeamte wenden können, wenn sie extremistische Umtriebe in ihrem Dienstumfeld beobachten. Das brauchen wir auch in anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Man muss sich darauf verlassen können, dass man sich als Beamter anonym melden kann und dass dann auch tatsächlich etwas passiert. Polizisten und Polizistinnen dürfen nicht fürchten, im Dienstalltag Nachteile zu erfahren, weil sie sich für die Wahrung des Rechtsstaats einsetzen. Was das angeht, müssten die Landesinnenminister außerdem viel stärker zusammenarbeiten.

Aus welchem Grund?
Es scheint so zu sein, dass wir eine Vernetzung rechtsextremer Netzwerke erleben über verschiedene Behörden hinweg. Da sitzen also Menschen bei der Polizei und kommunizieren mit Gleichgesinnten in anderen Behörden oder mit Personen innerhalb der Bundeswehr. Was nicht passieren darf ist, dass Rechtsextremisten, die gegebenenfalls aus dem Beamtenstatus entfernt werden müssten, besser vernetzt sind als jene Behörden, die solche Strukturen eigentlich bekämpfen sollen.

Wie bewerten sie die behördliche Zusammenarbeit bislang?
Wir erleben, dass sich der hessische Landesinnenminister Peter Beuth aktuell gar nicht zu dem Frankfurter Fall äußert, weil die Ermittlungen noch laufen. Das ist prinzipiell auch richtig. Aber gerade angesichts der NSU-Brisanz, angesichts der Prepper-Netzwerk-Debatte in der Bundeswehr und der anderen Vorfälle müssten sich eigentlich alle Innenminister gemeinsam an die Spitze einer Bewegung setzen. Bei der Innenministerkonferenz im kommenden Jahr muss dieses Thema Priorität haben und es muss ein gemeinsamer Vorschlag präsentiert werden zur Aufarbeitung extremistischer Tendenzen in unseren Institutionen. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) für die Bundeswehr. Die Landeskriminalamt (LKA) in Frankfurt. Der Generalbundesanwalt. Am Ende brauchen wir ein Gesamtbild, um der Gefahr zu begegnen.

Wie wichtig ist dieses Thema für den Bundesinnenminister?
Mein genereller Eindruck ist, dass Horst Seehofer nicht verstanden hat, dass er selbst durch sein eigenes Verhalten und seine eigenen Formulierungen Verunsicherungen innerhalb der Sicherheitsbehörden ausgelöst hat. Und er scheint auch nicht verstanden zu haben, welche Verunsicherungen andererseits in bestimmten Milieus durch Fälle wie den NSU entstanden sind. Sonst würde er hier eine klare Linie kommunizieren.

Die Mehrheit der Soldaten und Polizeibeamten macht offensichtlich einen guten, verfassungsgemäßen Job. Wie alarmiert müssen wir also sein?
Ich habe ein großes Vertrauen in die große Mehrzahl der Mitarbeiter unserer Sicherheitsbehörden. Auf der ganzen Welt werden wir für unsere sehr gute Polizeiausbildung geachtet. Darum bilden wir ja auch Polizisten in anderen Ländern aus. Innerhalb unserer schon sehr guten Ausbildung müssen wir aber auch die vorhandenen Anlagen nutzen, um rechtsextremistische Tendenzen schneller und besser aufzudecken. Die Behörden müssen dazu aber den Mut haben, strukturell daran zu arbeiten, dass gerade jemand, der auf interne Probleme hinweist, am Ende nicht der Dumme ist.

Wie sehr spiegeln all die Geschehnisse eine politische Spaltung im Land wider?
Wenn man den Staatsbürger in Uniform will, ob in der Polizei oder der Bundeswehr, dann ist auch klar, dass diese Menschen nicht kalt gelassen werden von gesellschaftlichen Debatten. Der Staat hat für seine Beamten aber eine Fürsorgepflicht. Und Teil dieser Pflicht ist es, entstehende Gräben wieder zuzuschütten. Der Dienstherr kann kein neutraler Beobachter bezüglich unserer Verfassung sein. Er muss dafür werben, unser Grundgesetz jederzeit strikt zu verteidigen.

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