Rechtsextremismus - Der Feind in meinem PC

2019 wird als Jahr des Rechtsextremismus in die deutschen Nachkriegsgeschichte eingehen. Die Bundesregierung hat die Gefahr erkannt und den Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt aufgestockt. Doch sind das wirklich die richtigen Waffen im Kampf gegen Rechts?

Gedenken an die Opfer von Halle: Nur knapp entkam die Synagoge einer Katastrophe/ picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler. Er lebt seit fünf Jahren in Tallinn, Estland, und ist als Politikberater und -experte zu den Themen Flüchtlinge und Digitalisierung tätig. Im Oktober 2018 erschien sein Buch „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ bei Hoffmann und Campe. Im Februar 2020 wurde das Buch aktualisiert und in englischer Fassung vom Springer-Verlag veröffentlicht. 

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Die öffentliche Wahrnehmung von Extremismus konzentriert sich ganz auf Rechtsextremismus. Das ist ein zweischneidiges Schwert, ist diese Fixierung politisch gewollt. So bezeichnete Michael Roth, immerhin Staatsminister im Auswärtigen Amt,  in einer unsäglichen Äußerung die AfD als „politischen Arm des Rechtsterrorismus“. 

Damit werden aktuelle wie relevante Formen von Extremismen vernachlässigt, von links  bis islamistisch motiviert. Der Fall „Anis Amri“ gibt immer neue Rätsel auf. Die zahlreichen Klimaproteste werden etwa gezielt durch linksextremistische Trittbrettfahrer unterwandert. Richtig ist aber: 2019 war das Jahr des Rechtsterrorismus und dreimal Anlass für eine Titelgeschichte des Magazins Der Spiegel. Nach einem Bericht des Verfassungsschutzes ist die Zahl der Rechtsextremisten um ein Drittel gestiegen. Spektakuläre Gewaltverbrechen haben die Gefahr aus dieser Richtung unterstrichen. Im März 2019 ermordete ein Australier nach jahrelanger Planung im neuseeländischen Christchurch Dutzende von Menschen und übertrug das Verbrechen mit einer Kopfkamera live per Facebook.

Livestream vom Verbrechen 

Der 28-jährige Täter Brenton Tarrant, einst Fitnesstrainer, hinterließ ein 74-seitiges Manifest, in dem ein durchaus reflektiertes Selbstinterview Aufschluss über seine Motive gibt. Im Juni sorgte der erste rechtsextrem motivierte Mord an einem Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik für Entsetzen. Stephan Ernst, einst in der rechtsextremistischen Szene aktiv aber nicht mehr auf dem Radar der Sicherheitsbehörden, ermordete nachts aus nächster Nähe den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. 

Der 27-jährige Stephan Balliet versuchte am 9. Oktober mitten am Tag in eine jüdische Synagoge einzudringen, ermordete nach dem gescheiterten Versuch willkürlich zwei Menschen. Er nahm sich ein Vorbild an dem Täter von Christchurch, streamte live auf der Plattform Twitch. Der Dienst gehört Amazon, die meisten Nutzer veröffentlichen dort Livestreams von Videospielen. Schülerinnen und Schüler aus Halle bekamen das Video unter anderem per Whatsapp geschickt. Alle drei Täter eint, dass sie in der Tatausführung alleine gehandelt haben.

Hässliche Blutspur 

Sie sind so genannte einsame Wölfe, also Menschen, die keiner Organisation angehören, selbst für die Propaganda sorgen und aufgrund von politischen Überzeugungen töten. Rechtsradikale wie in diesen Fällen töten, um eine Gesellschaft nach ihren Maßstäben zu errichten, ohne große Organisation im Hintergrund, sondern autonom und scheinbar unvorhersehbar.

Nun wehrt sich der Staat. Das zeigte schon die Herbsttagung des Bundeskriminalamtes Ende des Jahres, auf der deutliche Worte gesprochen wurden. Die Sicherheitsbehörden des Bundes sollen 600 zusätzliche Stellen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus bekommen. Die neuen Stellen sollen je zur Hälfte beim Bundeskriminalamt und beim Bundesamt für Verfassungsschutz eingerichtet werden. Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach von einer „hässlichen Blutspur“, die Rechtsextremisten vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) bis hin zum Anschlag auf die Synagoge in Halle gezogen hätten

Wo zieht man eine Linie zwischen Trollen und Terroristen? 

Die virtuellen Räume gelten zumindest als zentraler Radikalisierungshort. Es ist von außen nur schwer einschätzbar, ob man dort auch die inhaltlich wie technisch richtigen Experten sitzen hat. In der Polizeiausbildung wird das Thema nur gestreift. Spezialisten sind rar gesät. Fragen über Fragen stellen sich bei der Auslotung von Freiheit und Sicherheit.

Wo zieht man eine Linie zwischen Meinungsfreiheit und Hassverbrechen? Zwischen Trollen und Terroristen? Dazu kommt: Auch mit mehr Personal hätte man die Tat von Halle nicht verhindert. Und der Mörder von Lübcke hatte Job und Familie. Auch jetzt würde ein solcher Tätertyp wohl vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwinden. Statt in politischen Aktionismus zu verfallen, sollte eher die Gamification des Terrors diskutiert werden – seine Inszenierung als Computerspiel.

Das NetzDG - eine stumpfe Waffe 

Dabei soll es nicht darum gehen, die alte Killerspieldebatte wieder zu beleben und in Gamern potentielle Terroristen zu wittern. In Deutschland ist Anfang 2018 das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft getreten. Es schreibt vor, dass Online-Plattformen wie Facebook klar strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach einem Hinweis löschen müssen. In weniger eindeutigen Fällen haben sie eine Woche Zeit. Bei Verstößen drohen Strafen von bis zu 50 Millionen Euro.

Wenn die Netzwerke nicht schnell genug reagieren, können sich die User beim Bundesamt für Justiz beschweren. Computer- und Videospiele fallen aber nicht unter das Gesetz, weshalb die Wirksamkeit begrenzt sein dürfte. Offenbar hat es die Lobby der Spielindustrie geschafft, dass Online-Spiele ausgenommen sind. Der Fokus auf Facebook und Twitter wirkt angesichts der aktuellen Bedrohungslage ohnehin antiquiert. Somit bleibt das NetzDG eine stumpfe Waffe.

Affinität zwischen Gaming und rechtsextremen Gefährdern? 

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) kritisierte den Vorstoß ihres Parteifreundes Horst Seehofer nach Halle, die Gamerszene ins Visier nehmen zu wollen. Die interfraktionelle Parlamentsgruppe eSports & Gaming hat kürzlich eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht und sich darin klar gegen Behauptungen positioniert, die eine grundsätzliche Affinität zwischen Gaming und rechtsextremen Gefährdern suggerieren.

Der Täter von Halle war nicht in der lokalen Szene verwurzelt und polizeilich ein unbeschriebenes Blatt. Der nach Halle von den Innenministern eifrig beschlossene 9-Punkte-Plan spricht lediglich davon, dass Anbieter von Internetdiensten verpflichtet werden sollen, vor allem bei Morddrohungen und Volksverhetzung die betreffenden Inhalte sowie die IP-Adressen der Urheber einer neu zu errichtenden Zentralstelle beim Bundeskriminalamt zu melden.

Es wird wieder passieren 

Valve, der Betreiber von Steam, sitzt ohnehin in den USA. Gerade deshalb ist das Maßnahmenpaket nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn die Betreiber sozialer Medien in die Pflicht genommen werden sollen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Diskussion abebben wird, da es auch in Zukunft derartige Taten geben wird. Dabei sollte es nicht nur um ein Mehr an Überwachung und IT-Kompetenz gehen, sondern auch um Deradikalisierung. Die sollte sich an Menschen richten, die in virtuellen Räumen aus ihrer Bewunderung für solche Tätertypen keinen Hehl machen. Neue Stellen helfen hier nur bedingt.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikel war vom Steam-Betreiber Verge die Rede. Der Betreiber in den USA heißt Valve. Dies haben wir korrigiert.

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